An den Filmen von Terrence Malick scheiden sich die Geister. Für den einen gilt der eigenbrötlerische US-amerikanische Autorenfilmer als Kinopoet ohnegleichen, für die anderen sind seine Werke (insbesondere sein abstraktes Spätwerk) esoterisch aufgeladene, verkopfte Kunstfilm-Langweiler. Dass Malick eine einzigartige Herangehensweise an das Kino hat, wird jedoch kaum jemand abstreiten können. Wenige Regisseure haben so einen eindeutig definierten Stil, dass man schon anhand des Trailers direkt erkennt, von wem der Film stammt.
Prachtvolle Naturaufnahmen, improvisiert wirkendes, authentisches Schauspiel, Monologe aus dem Off und eine entfesselte, frei schwebende Kamera mit Weitwinkelobjektiv bestimmen mindestens seit seinem für einen Oscar nominierten Meisterwerk „The Tree of Life“ das Schaffen von Malick. Erzählerisch sind seine Filme mal mehr, mal weniger geradlinig. Während es sich bei seinem Frühwerk der 70er-Jahre um knackige Neunzigminüter mit eindeutigem Narrativ handelt, war schon Malicks Rückkehr ins Filmgeschäft nach langjähriger Abstinenz, „The Thin Red Line“ (dt. „Der schmale Grat“), ein dreistündiges Weltkriegsepos, welches sich gängigen Handlungsstrukturen widersetzt. Nachdem er damit Kritiker begeisterte, viele Zuschauer aber mit einem hohen Maß an Symbolismus, exzessivem philosophischen Off-Kommentar und der Verweigerung eines klassischen Spannungsbogens vor den Kopf stieß, wandte er sich mit seinen jüngeren Filmen wie „Knight of Cups“ und „Song to Song“ eindeutig dem experimentellen Kunstkino zu. Trotz namhafter Stars wie Christian Bale, Natalie Portman und Ryan Gosling gelang es keinem von Malicks letzten Filmen, ein größeres Publikum zu finden.
Nun erscheint Terrence Malicks neustes Werk „Ein verborgenes Leben“, nachdem er im Mai vergangenen Jahres bei seiner Premiere in Cannes für Begeisterung sorgte, endlich in den deutschen Kinos. Die deutsch-amerikanische Koproduktion handelt vom österreichischen Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter (August Diehl), welcher unter dem Tatbestand der „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt und im Jahr 2007 von der römisch-katholischen Kirche als Märtyrer selig gesprochen wurde. Ausführlich zeigt der Film zunächst den Alltag Jägerstätters und seiner Ehefrau Fani (Valerie Pachner) als Bauern in einem idyllischen Alpental. Grüne Wiesen, imposante Bergflanken, eine Dorfkirche mit charakteristischem Zwiebelturm, dazu James Newton Howards grandiose Filmmusik und – typisch Malick – unterlegt mit Off-Kommentaren der Protagonisten.
Man muss für diesen Film als Zuschauer schon einiges an Geduld aufbringen. Mit einer Laufzeit von 173 Minuten gehört er zu Malicks längsten Werken, dementsprechend gemächlich gestaltet sich das Erzähltempo. Doch in seiner Ruhe liegt die größte Stärke. Er lässt dem Zuschauer Zeit, sich in die gezeigten Umgebungen einzufühlen und ein Gefühl für die Charaktere zu bekommen. Auch aufgrund der subjektiven Kamera von Jörg Widmer, welche stets nah am Geschehen und an den Charakteren ist, spürt man förmlich die Wärme der Sonnenstrahlen oder meint das frisch gemähte Heu im Kinosaal zu riechen. Malicks Naturaufnahmen sind erhaben und sinnlich und der ruhige Erzählfluss bietet dem Publikum ausführlich Gelegenheit, die Eindrücke in sich aufzunehmen.
Bricht man den Film darauf herunter, was er tatsächlich erzählt, könnte man sich fragen, wozu die ausufernde Laufzeit vonnöten ist. Die Dauer ist jedoch ein bemerkenswerter, erzählerischer Kniff. Man begleitet die Protagonisten Franz und Fani in ihrem Alltag, erlebt gemeinsam mit ihnen, wie sich die Dorfgemeinschaft langsam von ihnen abwendet, wie selbst die katholische Kirche mit den Nationalsozialisten kollaboriert und keine Unterstützung bietet. Als Franz schließlich inhaftiert wird, wirkt seine Gefängniszelle ungemein einengend. Dominierten zuvor prachtvolle Naturaufnahmen die Bildsprache des Films, überwiegt nun das trübe Grau der Zellenwände, umso beklemmender durch die Weitwinkeloptik der Aufnahmen. Führten Franz und Fani zuvor auch Dialoge, wird der Kontakt zwischen beiden nun nur noch per Briefwechsel aufrechterhalten und Texte aus dem Off nehmen endgültig überhand.
Wer mit Malicks typischen Monologen nichts anfangen kann, wird hieran wohl keine Freude finden, aus erzählerischer Sicht haben die Monologe aber definitiv ihre Bewandnis, da die Ferne der Charaktere sowie die Hoffnungslosigkeit von Franz Jägerstätters Situation so für den Zuschauer spürbar wird. Außerdem geben seine Briefe Aufschluss über Jägerstätters Weltanschauung, Beharrlichkeit und Idealismus.
Dass „Ein verborgenes Leben“ so sehr beeindruckt, liegt neben Malicks poetischer Regie zu großen Teilen natürlich an den hervorragenden Darstellern, allen voran August Diehl. Der Charakterdarsteller, bereits 1999 für sein Spielfilmdebüt „23 – Nichts ist so wie es scheint“ mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet und international bekannt geworden durch Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“, brilliert als stoischer Idealist und harmoniert hervorragend mit der ebenfalls sehr überzeugenden Valerie Pachner. Im vergangenen Jahr waren Diehl und Pachner schon gemeinsam in Lars Kraumes hochgelobter Arte-Serie „Die neue Zeit“ über Bauhaus-Gründer Walter Gropius zu sehen.
Abgesehen von den beiden Hauptdarstellern gestaltet sich die (überwiegend deutschsprachige) Besetzung von „Ein verborgenes Leben“ als regelrechtes Who is Who. So sind unter anderem Mikael Nyqvist, Bruno Ganz (beide jeweils in der letzten Rolle vor ihrem Tod), Matthias Schoenerts, Franz Rogowski, Karl Markovics, Tobias Moretti, Martin Wuttke, Alexander Fehling und Jürgen Prochnow zu sehen, teils nur in kleinsten Nebenrollen. Das Darstelleraufgebot erinnert an „The Thin Red Line“ , in welchem gefühlt jeder renommierte Hollywood-Darsteller einen Auftritt hatte, nur dass Malick diesmal nicht mit einer amerikanischen, sondern mit einer überwiegend deutschsprachigen Besetzung arbeitete – ein Novum für den Regisseur.
Dass der Film dennoch weitestgehend auf Englisch gedreht wurde, mag einem internationalen Publikum zwar einen einfacheren Zugang ermöglichen, wirkt jedoch für Zuschauer, welche dem Deutschen mächtig sind, befremdlich, insbesondere da nur die Hauptcharaktere des Films englische Dialogzeilen haben, die restlichen hingegen auf Deutsch reden.
Ebenso wie die Wechsel der gesprochenen Sprache irritieren die Schauplätze. Während der Film zwar im oberösterreichischen St. Radegund, ca. 50 km nördlich von Salzburg, angesiedelt ist, fanden die Außenaufnahmen hauptsächlich auf den alpinen Hochalmen der Dolomiten statt. Selbst einem geographisch unbewanderten Zuschauer dürfte auffallen, dass die Drehorte etwas arg variieren, von Obstgärten und üppigen Feldern einer sanften Mittelgebirgslandschaft zu Almen vor schroffer Hochgebirgskulisse, um ein einziges Tal in Österreich darzustellen. Solche kleineren Unstimmigkeiten sind jedoch absolut zweitrangig gegenüber der überaus hohen Qualität des Films.
Mit „Ein verborgenes Leben“ ist Terrence Malick abermals ein beeindruckendes Filmkunstwerk gelungen, welches Philosophie und Religiosität mit einer präzisen Bildsprache, einer authentischen wie poetischen Inszenierung und hervorragenden darstellerischen Leistungen kombiniert. Wer zum bisherigen Schaffen des Ausnahmeregisseurs kein Zugang finden konnte, wird auch diesem Film wenig abgewinnen können. Durch seine geradlinige Erzählweise und hohe Emotionalität gestaltet sich der Film jedoch, trotz seiner ausufernden Laufzeit, als der wohl zugänglichste Malick-Film seit „The Thin Red Line“ . Ein filmisches Meisterstück, der dieses Jahr bisher wohl stärkste Kinostart in deutschen Landen und einer der beeindruckendsten Filme des vergangenen Jahres.
Text: Lukas Stracke/KiK, the Blog
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