Saitenweise Jazz

Seit über zehn Jahren steht Cellist Johann von Ruthendorf auf Bühnen in Dresden und Umgebung. Solo oder gemeinsam mit anderen spielt er von Bach bis Bruckner in allen Genres. Nach der EP „Arama“ im Jahre 2021 folgt nun sein neues großes Projekt: Am 21. März erscheint das Debütalbum „Saudade“.

Vom Küken zum Vogel

Wenn Johann von Ruthendorf mit den Fingern nach den Saiten greift und mit dem Bogen über jene streicht, dann wundert sich der Hörer ganz entrückt, welcher Ton gerade das Licht der Welt erblickt. Seit er sieben ist, spielt er sein Instrument. Mittlerweile ist er ausgebildeter Musiker und Cello-Lehrer. Angefangen habe alles mit der musikalischen Früherziehung, erzählt er. „Ich war in so einem Piepmatz-Kurs und dann habe ich in der ersten Klasse am Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden ein Instrumentenkarussell gemacht. Dort habe ich jeden Monat ein anderes Instrument gespielt und da war die Cello-Lehrerin cool. Inzwischen ist das eine Kollegin“, sagt er und lacht. „Und da bin ich dann hängengeblieben.“

Später wurde Johann von Ruthendorf Teil der Kinder- und Jugendorchester des Heinrich-Schütz-Konservatoriums (HSKD), danach folgte das Landesjugendorchester. Für ihn ein Erweckungserlebnis, denn: „Das war auf einmal Musikmachen mit anderen, die richtig Bock haben und richtig bereit waren, Zeit zu investieren“, beschreibt er.

Zwei Welten pro Woche

Die Musik auch als Beruf ergreifen zu wollen, das wäre ihm schon früh klar gewesen, erzählt der Musiker. Aber was konkret, wusste er nicht. Um später abgesichert zu sein und zum Wohle der Eltern, habe er erst mal Musik auf Lehramt studiert, dann aber festgestellt, dass er darauf keine Lust habe. Johann von Ruthendorf erklärt: „Das ist anders als am HSKD. Hier leite ich das Jugendstreichensemble mit 35 Leuten, und die sind da, weil sie Musik machen wollen.“

Schließlich studierte er sowohl Schulmusik als auch Instrumental- und Gesangspädagogik an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber (HfM) Dresden. Damit kann er sowohl an einer (allgemeinbildenden) Schule Musikunterricht geben als auch Cello an einer Musikschule lehren. Oder auf Bühnen Konzerte spielen. Auf seiner Visitenkarte steht daher simpel „Cellist“.

Aktuell bedeutet das, dass er an zwei Tagen in der Woche Schüler am Heinrich-Schütz-Konservatorium betreut, einen Tag beim Kreuzchor aktiv ist und in der restlichen Woche Zeit für andere Projekte hat. Sowohl die Stunden als Künstler als auch als Lehrer sind ihm wichtig, doch an das richtige Maß musste sich Johann von Ruthendorf erst herantasten. Er erklärt: „Ich habe beides in Extremen ausprobiert. Ich hatte vor zwei Jahren ein Jahr, da habe ich fast 100 Konzerte gespielt und es völlig übertrieben. Und es gab eine Phase, da habe ich fünf Tage in der Woche unterrichtet, zwei Musikschul-Orchester geleitet und ein Schulorchester. Und ich habe gemerkt, dass ich darauf auch keine Lust habe, weil mir das andere gefehlt hat. Jetzt habe ich einen guten Mittelweg. Das ist richtig schön.“

Aufs und Abs der Hochschuldbildung

Den Weg dorthin über das Studium sieht Johann von Ruthendorf mit gemischten Gefühlen. „Es ist eine Bereicherung. Vor allem für das soziale Miteinander ist es super wertvoll, weil man einfach richtig viele Menschen kennenlernt, netzwerken kann. Es gibt engagierte Studierende und massig studentische Projekte. Kleine Orchester, die Dirigier-Studierende leiten, oder einen Jazz-Studi, der Musik komponiert und eine Gruppe gründet. Da entsteht etwas aus eigenem Antrieb, die Hochschule stellt den Raum dafür.“ Die Hochschule selbst bietet im Rahmen der jeweiligen Studiengänge Chöre und Ensembles an, manche haben sich auch aus der Hochschule heraus gegründet. The Jazz Messengers Ensemble war beispielsweise Mitte Januar im Jazzclub Blue Note zu Gast.

Doch dort, wo künstlerische Freiheit, Selbstverwirklichung und Können gefördert werden sollten, sind auch Schatten vorhanden. „Es gibt wahnsinnig viel Leistungsdruck“, berichtet Johann von Ruthendorf. „Es gibt Personen, die keine positive Stimmung verbreiten, die nicht aufbauen, achtsam mit Studierenden umgehen, sondern sich selbst als sehr bedeutsam wahrnehmen und das auch so inszenieren. Da gibt es viele Drucksituationen. Einige Studierende machen später etwas völlig anderes oder brechen zwischendurch ab. Es gibt, glaube ich, niemanden, der ohne ein kleines Trauma da rausgeht.“

Das Lernen lehren

Es wird auch ein Unterschied gemacht zwischen Musiker:innen, die ein Instrument mit künstlerischem Schwerpunkt studieren, und denen, die die pädagogische Richtung gewählt haben. Doch: „Ich habe das Gefühl, dass da gerade ein bisschen was im Wandel ist“, stellt Johann von Ruthendorf fest. „Es war bis vor Kurzem so, dass Studierende, die Instrumentalpädagogik im Hauptfach studieren, im Hochschulorchester nicht erste Geige gespielt haben, auf dieser Position haben nur künstlerische Studierende gespielt. Das hat sich jetzt aber geändert. Ich glaube, dass man gerade ein Bewusstsein dafür schafft, dass man eben nicht diese ‚Dafür, dass du Schulmusik studierst, spielst du echt gut‘-Mentalität hat.“

Das Handwerk für die tägliche Arbeit bekam der Musiker durch die Praxis. Er berichtet: „Ich war fünf Jahre bei Musaik, einem sozialen Musikprojekt, und habe dort unterrichtet. Ich habe gefühlt 90 Prozent von dem, was ich pädagogisch kann, dort gelernt, durch Machen und Ausprobieren. Im Studium kam dann viel wissenschaftlicher Unterbau dazu.“ Der Verein Musaik wurde 2017 von Luise Börner und Deborah Oehler gegründet und ermöglicht Kindern verschiedener Gesellschaftsschichten und Kulturkreise kostenlosen Musikunterricht. Außerdem werden ihre sozialen Kompetenzen gefördert.

Mehr als Klassik

Im Laufe der Jahre war Johann von Ruthendorf schon in vielen Genres unterwegs: Mit seiner Schülerband 2C’n’T spielte er sowohl Klassik als auch Coversongs von Apocalyptica. In der Reihe „Gegenklang“ mit Organist Goetz Bienert interpretierte er Werke der modernen Komponisten Arvo Pärt und Pēteris Vasks in Kirchen. Im Trio al-Andalus mit Geigerin Yara Abou Fakher und Bratschistin Patricia Muñoz Vella erblickten lateinamerikanische Klänge das Licht der Welt. Seine wahre Liebe hat er jedoch in einem Genre gefunden, in dem das Cello bisher eine Nebenrolle spielt: im Jazz.

„Ich habe einfach irgendwann gemerkt, dass es mehr Spaß macht, die Musik zu machen, die ich selbst auch höre. Das ist jetzt nicht nur Jazz-Jazz, sondern vor allem mit dem Jazz verwandte Musik. Und die populäre Musik, die irgendwo Groove, Energie, Improvisation und Freiheit hat und einfach sehr viel offener ist als so eine Scheuklappen-Klassik-Sicht, dass Beethoven genauso gespielt werden muss und nicht anders“, beschreibt er.

Das Cello trat bereits zu den Anfängen des Jazz in den 1940er-Jahren in Erscheinung, wenngleich es nicht so präsent war wie Klavier, Saxophon usw. Heute wird es meist für Solopassagen eingesetzt oder in Kombination mit anderen Streichern. Dass das Cello als Teil einer „klassischen“ Jazz-Gruppe wenig zu finden ist, erklärt Johann von Ruthendorf so: „Es gibt rein spieltechnisch ein paar Nachteile, besonders, wenn man mit einer Combo mit Klavier, Schlagzeug, Bass, Saxophon spielt. Da bin ich einfach viel zu leise, egal wie laut ich spiele. Im Jazz geht es oft weniger darum, wie der Ton klingt, sondern wann er klingt. Und bei diesem Instrument mit dem Bogen ist es sehr viel schwerer, dass der Ton wirklich genau in DEM Moment kommt, weil die Saite erst mal ins Schwingen kommen muss, nicht wie ein gezupfter Bass.“

Während das Instrument im anglo-amerikanischen Raum im Jazz u. a. von Matt Turner oder Peggy Lee eingesetzt wird, ist es in Deutschland weniger bekannt. Einen Musiker, den man kennen kann, ist Stephan Braun. Er hat klassisches Cello und Jazz in Hamburg studiert und streicht die Saiten nicht nur, er zupft sie auch. Manchmal sogar, indem er das Instrument quer legt. Stephan Braun hat für Johann von Ruthendorf eine besondere Bedeutung. „Ich habe sonst nie so schlimme Fanboy-Momente, aber ich hatte eine Privatstunde bei ihm und er stand plötzlich da und ich dachte ‚Hach, er ist hier …‘. Ich habe richtig schlecht gespielt am Anfang, weil ich total aufgeregt war“, erzählt er amüsiert.

Die Beziehung zum Publikum

Auf der Bühne wirkt Johann von Ruthendorf unterschiedlich: Mal scheint er in sich gekehrt, bilden sein Instrument und er eine Blase, in der nur die Musik existiert. In anderen Momenten sieht man ihm an, was gerade funktioniert. Er selbst beschreibt die Beziehung zum Publikum so: „Es kommt zum einen auf den Raum an. Ob man die Leute überhaupt sieht oder es ein Bühnenlicht gibt, so dass man die Leute nicht wahrnimmt. Dann kommt es auf die Musik an, das Setting, auf den Tag, auf das Stück, auf die Art von Musik. Ich hatte mal ein komplett freies Impro-Konzert gemeinsam mit einer Geigerin, mit E-Cello und ganz vielen Effekten, und ich habe irgendwann komplett vergessen, dass da Menschen saßen. Wir haben angefangen zu spielen und 50 Minuten später wieder aufgehört, ohne abzusetzen. Und dann kam plötzlich Applaus, völlig unerwartet. Bei anderen Situationen gibt es schon Momente, in denen man sich denkt ‚Gefällt das den Leuten grade? Warum war der Applaus so spärlich?‘“

Die größte Nervosität empfinde er jedoch, wenn seine Schüler:innen spielen und er sie begleite. „Ich bin aufgeregt und habe wieder diese ‚Ich muss jetzt perfekt sein‘-Glaubenssätze. Weil die Eltern sehen, dass ich der Lehrer bin, sollte ich perfekt spielen.“

Aus Sport wird Musik

Sichtbar wird Johann von Ruthendorf wieder am 30. März, zum Releasekonzert seines Debütalbums „Saudade“, das am 21. März erscheint. Die Idee dazu entstand eher zufällig. Er erklärt: „Der Anlass dafür ist, dass meine Oma im Mai gestorben ist, ich Geld geerbt habe und nicht wusste, was ich damit machen soll. Ich war frustriert joggen und dann habe ich gedacht: ‚Ich mach von dem Geld einfach ein Album.‘“ Allerdings reichte das nicht aus, um Aufnahmen, Mastering, das Cover und andere Kosten zu decken. Daher rief er im Oktober 2024 über die Plattform StartNext ein Crowdfounding ins Leben. Innerhalb eines Monats wurde das Ziel von 3.000 Euro erreicht.

Der Titel „Saudade“ kommt aus dem Portugiesischen und beschreibt eine „sanfte Melancholie“, Heimweh, Sehnsucht. Der Begriff ist eher positiv besetzt und wird als Antrieb in der Kunst verwendet. Dies merkt man auch der ersten Single „Dying Trees“ an. Das Folk-Stück ist zusammen mit Nora Augustine entstanden, für das Video hat Max Bollow wunderschöne Bilder in einem düsteren Wald eingefangen. Auf dem Album werden sich weitere Stücke mit Musiker:innen finden, mit denen Johann von Ruthendorf regelmäßig zusammenarbeitet: Enrico Olivanti, Sebastian Wappler, Marie Hofmann und Yara Abou Fakher.

So viele Duette, so viele Termine

Dass aus einem Gedanken Stücke mit mehreren Künstler:innen entstehen, hätte sich ergeben, erzählt der Musiker. „Das war ein Prozess. Bei diesem ersten frustrierten Joggen ist das Konzept entstanden, das Album ‚Duo‘ zu nennen und dann nur Duos mit verschiedenen Leuten draufzupacken. Dann hat sich das gewandelt, weil mir aufgefallen ist, dass ein Großteil der Stücke wahnsinnig melancholisch ist. Schließlich ist noch ein Solostück dazugekommen und jetzt ist es ein Album geworden, das sich mit Melancholie und Sehnsucht beschäftigt. Es sind viele Genres und ganz verschiedene Leute dabei.“

Das Konzept der Duette bedingt, dass das Releasekonzert die einzige Möglichkeit sein wird, das Album mit allen (sechs) Musiker:innen in dieser Konstellation live zu genießen. Außerdem geladen ist Lea Černi. Es findet am 30. März um 19 Uhr im Kulturhafen (Leisniger Straße 53) statt. Karten kosten zwischen drei und 20 Euro. Im Laufe des Jahres ist er zudem in verschiedenen Konstellationen im Café Saite, im Blue Note und einigen Kirchen zu finden.

Text: Vivian Herzog

Fotos: Amac Garbe

Ein Gedanke zu “Saitenweise Jazz

  1. Lieber Johann,
    Deine Mama hat dich mir vorgestellt, da warst du noch süß und so zart- weniger als ein Jahr alt. Einmal hab ich dich schon auf einem Konzert spielen gehört und war sehr angetan. Eben auch von der beschriebenen Indichgekehrtheit.
    Ich würde mich wirklich sehr freuen, dich wieder spielen zu hören…

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