Campuskolumne

Ein ungewohnter Anblick im Audimax: Nur vereinzelt sitzen die Menschen in den Stuhlreihen, einige laufen in den Gängen hin und her – doch die meisten sitzen auf dem Boden im Kreis und diskutieren angeregt. Im Raum aufgehängt sind Banner, Fotos, Diagramme und viele Infos wurden auf die Rückseite von alten Plakaten geschrieben. Eine kleine Stehlampe und Couch neben dem Redner*innenpult brechen mit dem eigentlichen Klima im Raum. Der Hörsaal ist besetzt. Warum? Die Besetzenden haben ein gemeinsames Anliegen, sind verzweifelt, wütend, aber voller Ideen: Das Problem ist der Klimawandel, Klimagerechtigkeit die Idee und System Change not Climate Change eine häufig gehörte Parole.

Doch wie rechtfertigen die Besetzenden, sich einfach den größten Hörsaal der TU Dresden zu nehmen? Mit 892 möglichen Zuhörer*innen finden hier die ganze Woche über wichtige Veranstaltungen statt. Vor allem Wirtschaftswissenschaften und Maschinenwesen werden hier gelehrt. Doch alle Veranstaltungen müssen diese Woche aufgrund der passiven Gewalt der Besetzenden ausfallen. 

Selten hat man so viele Studierende gesehen, die auf ihr Recht pochen, endlich eine Vorlesung hören zu dürfen. Montagmorgen in der 2. DS ist der Raum gefüllt mit Machinenbaustudierenden, nur wenige beteiligen sich am Plenum. Die meisten reagieren feindlich auf die Besetzung und fühlen sich sichtlich gestört von der großen Sambagruppe Rhythms of Resitance, die durch ihre Lautstärke jegliche Vorlesung unmöglich macht. Nach einigen Verhandlungen erklärt sich der Dozent bereit, seine Vorlesung im rechten Drittel des Raums abzuhalten – ohne Mikro, denn der ausgehandelte Kompromiss zwischen einigen der besetzenden Personen und einigen der Maschinenbaustudierenden ist, dass alle geplanten Veranstaltungen gleichberechtigt stattfinden.

Doch auch wenn der Dozent die verbleibenden 15 Minuten seiner Vorlesung mit Humor nimmt, schlägt den Besetzenden die Feindseligkeit und das Unverständnis vieler Studierender entgegen. Auch das Rektorat schreibt in einer Mail an alle Studierende, es empfände die Besetzung als Vertreibung, als einen demokratiefeindlichen und unfriedlichen Akt und unsolidarisch gegenüber anderen Interessengruppen. 

Ist die Aktion #HSZfuersKlima also ein Bärendienst beim Kampf darum, die Folgen des Klimawandels möglichst gering zu halten? Schließlich findet diese Woche gleichzeitig auch die Public Climate School von Students for Future Dresden statt – genehmigt, von der TU Dresden beworben und in zugewiesenen freien Räumen des Hörsaalzentrums (HSZ). Wer sich über Klimagerechtigkeit informieren will, kann also dort die Veranstaltungen besuchen.

Doch genau in dem Will und Kann sehen viele Besetzende das Problem. Dies folgt aus ihrem Verständnis von Klimagerechtigkeit. Dieses Konzept besagt, dass Klimawandel auch als ethisches und politisches Problem, verknüpft mit der sozialen Frage, betrachtet werden muss – und zwar global. Während wir im globalen Norden, also die Länder, die auch Industriestaaten genannt werden, mit die größten Verursacher des Klimawandels sind, leiden die Länder im globalen Süden, also diese, die auch Entwicklungsländer genannt werden, am meisten unter den Folgen. Wenn in den kommenden Jahrzehnten in den Niederlanden immer mehr bewohnte Landgebiete unter Wasser stehen werden, wird es vermutlich Regelungen und Auffangpakete für den Großteil der Bevölkerung geben, um den Schaden einzudämpfen. Auf den Fidschi-Inseln wird dies nicht so leicht funktionieren. Dort fehlen die Ressourcen und Infrastruktur, um insbesondere die ärmere Bevölkerung zu unterstützen.

Uns werden die Folgen des Klimawandels vermutlich nicht ganz so hart und schnell treffen wie z. B. die Menschen auf den Philippinen. Wir haben das Privileg, uns entscheiden zu können, ob wir uns mit dem Thema beschäftigen wollen, während andere Menschen schon heute direkt in ihrer Existenz bedroht sind. Und genau dieses Privileg, welches mit dem Kann und Will einhergeht, wollen die Besetzenden aufzeigen. Es geht also um Solidarität mit Aktivist*innen und Menschen weltweit, die von Vertreibung durch Naturkatastrophen, ansteigende Meeresspiegel und Dürreperioden betroffen sind. 

Darüber hinaus ist der globale Norden deutlich mehr als der Süden daran beteiligt, dass der Klimawandel so schnell fortschreitet, und tut zu wenig, die Folgen möglichst schnell einzugrenzen. Im globalen Norden profitieren wir, zumindest materiell, vom Kapitalismus, und ein Großteil der Bevölkerung folgt in seinem Lebensstil, der Arbeit und dem Konsum dessen Logik und treibt so den enorm schnellen Verbrauch von Ressourcen voran. Auch von der deutschen Bundesregierung wird immer wieder zwischen wirtschaftlichen Interessen und Klimazielen abgewägt. Viele Besetzende sehen also einen Widerspruch zwischen Klimagerechtigkeit und den auf Wachstum ausgelegten Gesellschaften. System Change not Climate Change heißt für die Besetzenden also, Ideen außerhalb des Kapitalismus zu entwickeln. Das bedeutet auch, außerhalb der herrschenden Struktur an der Universität zu denken und, wenn es sein muss, dafür den Raum mit einem Sofa neben dem Redner*innenpult umzugestalten. 

Damit verbunden wird die Einladung an alle Studierende vorbeizukommen, sich das bunte Treiben anzuschauen, an Programmpunkten teilzunehmen und sich selber einzubringen. Laut einigen Besetzenden soll der Hörsaal als ein Raum für Utopien genutzt werden. Ein Raum, in dem man seine Privilegien reflektieren sowie neue Ideen und Forderungen entwickeln kann. Gemeinsam und im Austausch miteinander. 

In den Vorlesungspausen füllt sich der Hörsaal auch mit neugierigen Studierenden. Es kommt zu Gesprächen zwischen Maschinenbauer*innen und Besetzer*innen, ganz friedlich, ohne gegenseitige Anfeindungen. Leute schauen sich im Raum um und studieren die Forderungen auf den Plakaten, die Aufgaben, die übernommen werden können, oder das große Programm. Immer wieder finden in einzelnen Teilen des Raums Gesprächskreise, Workshops und auch mal hitzige Debatten statt und es wird diskutiert – wie die Menschen hier im Audimax zusammenleben wollen, in der Uni und auf der ganzen Welt. 

Dieser Text ist vom Referat WHAT (wissen, handeln, aktiv teilnehmen) des Studierendenrats der TU Dresden. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, politische Themen für alle Studierenden zugänglicher zu machen und so einen niedrigschwelligen Weg ins Engagement zu ebnen. Dabei stehen wir für Grundwerte wie Toleranz, Weltoffenheit und gelebte Demokratie ein. Bei #HSZfuersKlima waren wir als Gruppe nicht beteiligt. Einzelpersonen waren zu unterschiedlichen Zeiten im Audimax anwesend, um an dem Protest teilzunehmen, in politischen Austausch zu treten und davon zu berichten.

Text: WHAT

Foto: Amac Garbe

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