Campuskolumne

Ihr wünscht Euch, dass alle Bürger* unter Generalverdacht stehen? Gefahrengebietszonen? Präventive Telekommunikationsüberwachung? Die Aushebelung der Unschuldsvermutung? Die Einschränkung der Grundrechte? Dann heiße ich Euch herzlich willkommen in Sachsen anno 2019!

Könnten soeben geschilderte Szenarien bald beängstigende Realität werden oder ist all das nur Panikmache von Kritikern? Die Rede ist vom neuen Polizeivollzugsdienstgesetz. In Dresden fanden bereits mehrere Protestaktionen statt, denn das Gesetz, welches dieses Jahr noch verabschiedet werden soll, ist umstritten. Andere Bundesländer verabschiedeten sehr ähnliche Polizeigesetze. In Nordrhein-Westfalen demonstrierten ca. 40.000 Menschen dagegen, in München ca. 30.000. In Bayern klagten drei Bundestagsparteien vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz, da es „Menschen unter Generalverdacht stellt“, so die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.

Grob gesagt ist die entscheidende Neuerung, dass nun repressive Präventivmaßnahmen in sogenannten abstrakten Gefahrensituationen ergriffen werden können. Eine abstrakte Gefahr ist „eine nach allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen mögliche Sachlage, durch die im Fall ihres Eintritts eine Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut entsteht.“ (§4, 3f) Als polizeiliches Schutzgut wird das Gesetz bezeichnet. Das bedeutet, es müssen weder eine Straftat noch konkrete Beweise vorliegen, um präventive Maßnahmen zu ergreifen.

Die CDU argumentiert, dass diese Neuerungen sinnvoll sind, um mehr Rechtssicherheit und -klarheit zu schaffen, Terrorabwehr und -bekämpfung zu fördern. Des Weiteren verneinen Vertreter der Polizei, dass Präventivmaßnahmen nach Gutdünken möglich sind, da sich schwerwiegende Eingriffe in das Grundgesetz vor dem richterlichen Vorbehalt rechtfertigen müssen.

Das Bündnis Sachsens Demokratie allerdings, welches sich seit mehreren Monaten aktiv gegen das Polizeigesetz einsetzt, befürchtet, dass nun de facto gegen alle Menschen Maßnahmen ergriffen werden können, basierend auf einem bloßen Verdacht. Dies würde die Unschuldsvermutung außer Kraft setzen. Inwiefern eine Person wegen Bagatelldelikten oder Ordnungswidrigkeiten (z. B. Lärmbelästigung) als Gefährder eingestuft werden kann, das ist unklar. Ganz zu schweigen ist hierbei von Menschen, die auf Grund von Fehleinschätzungen durch Polizisten solche Maßnahmen erleiden könnten.

Auch Dr. Kati Lang, Rechtsanwältin, Strafverteidigerin und Nebenklägerin beim Gruppe-Freital-Prozess, bemerkt, dass juristisch unklare Begriffe, wie die Einschätzung von Gefahrensituationen basierend auf „Lebenserfahrung“, juristisch nicht handelbar sind. Des Weiteren wäre auch der richterliche Vorbehalt gegenüber den Maßnahmen kaum akribisch genug prüfbar, wegen unklaren Gesetzesformulierungen. Das Anfechten dieser seitens der Betroffenen würde eine finanzielle Belastung bedeuten, die für Normalverdiener schwer tragbar ist.

Folgende präventive Maßnahmen gegen Gefährder sind per Gesetz in Zukunft möglich: Es können für höchstens drei Monate sowohl Platzverweise als auch Hausarreste erteilt werden. Verdächtigte dürfen für diese Dauer also bestimmte Orte nicht betreten oder ihren Aufenthaltsort nicht verlassen. Anknüpfend daran dürfen Polizeibeamte auch Kontaktverbote aussprechen. Das bedeutet, dass die Person keinen Kontakt zu Menschen aufnehmen darf, von denen die Polizei vermutet, sie könnten von den geplanten Straftaten wissen. Linke-Innenpolitiker Enrico Stange empört sich darüber: „So sollen aufgrund polizeilicher Prognosen unbescholtene Menschen mit Meldeauflagen, Aufenthaltsver- und -geboten sowie Kontaktverboten belegt werden können.“

Des Weiteren ist die Telekommunikationsüberwachung legitim, wenn von einer Person eine Gefahr ausgeht. Paragraph 66 erklärt, welche Gefahren damit insbesondere gemeint sind. Wenn man an dieser Stelle aus den Augen der Kritiker auf die Formulierung des Gesetzes schaut, könnten beispielsweise auch Konsumenten von Drogen, egal ob legal oder illegal, überwacht werden, denn genau genommen stellt ihr Konsum eine „Gefahr für Leib und Leben der eigenen Person“ dar. (§66, 1.1)

Bei der Sachverständigenanhörung im Landtag warnte der Strafrechtsprofessor Clemens Arzt aus Berlin, die Telekommunikationsüberwachung sei verfassungsrechtlich bedenklich. Der Gesetzesentwurf „schützt die Grundrechte nicht hinreichend und räumt der Polizei vollkommen unverhältnismäßige Eingriffsbefugnisse ein.“

Zusätzlich wird es zur Videoüberwachung, automatischen Kennzeichenerfassung (§30 & §58) und zur Identitätsfeststellung in gefährlichen Gebieten oder Kontrollbereichen (§15) kommen.

Auch hier stellt sich wieder die Frage, wie Polizeibeamte gewährleisten können, dass nur schwere Straftäter von der Überwachung betroffen sind. Cathleen Martin von der Polizeigewerkschaft sagte in der Sendung Fakt Ist dazu: „Laufe ich mit meiner Familie über den Platz, interessiert das die Polizei herzlich wenig. Komme ich mit großen Taschen und benehme mich anders als andere, benehme mich verdächtig, dann bin ich natürlich erst mal im Visier der Polizei.“ Maria Scharlau von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert diese Argumentation jedoch, denn für die Bürger sei nicht transparent, wann sie in den Fokus der Polizei rücken könnten. Weiterhin befürchtet sie durch die Überwachungsmaßnahmen das Eintreten des „Chilling Effects“. Dieser Effekt konnte vom Wissenschaftler Jon Penney von der Universität Oxford nachgewiesen werden und erklärt folgendes Phänomen: „Massive Überwachung sorgt für Angst, Selbstzensur und konformistisches Verhalten. Sie schädigt die Meinungsfreiheit und den offenen, demokratischen Austausch von Wissen und Ideen.“

Sachen- bzw. Taschenkontrollen dürfen zukünftig an gefährlichen Orten durchgeführt werden oder wenn vermutet wird, dass eine Person verbotene Objekte oder Substanzen mit sich führt. (§28, §15) Jene Kontrollen können dann vor jeder Demonstration stattfinden, weil vermutet werden kann, dass dort Straftaten stattfinden könnten. Auch Fußballfans könnten bei einem Spiel „gefilzt“ werden, um zu prüfen, ob sie Objekte zur Sachbeschädigung (Sticker, Spraydosen etc.) mitführen.

Künftig können dann auch von Kommunen Alkoholverbotszonen festgelegt werden, wenn eine mögliche Gefährdung der Öffentlichkeit vorliegt. Nachgewiesen werden muss diese Gefährdung jedoch nicht. Das könnte zum Beispiel das für ein Feierabendbier beliebte „Assi-Eck“ in der Neustadt treffen.

Dr. Kati Lang kritisiert hier, dass auch ein Kaufhaus als gefährlicher Ort ausgelegt werden kann, weil dort Straftaten wie Diebstähle stattfinden. Demnach könnten diese Kontrollen je nach Auslegung des Polizeibeamten nahezu überall durchgeführt werden.

Diese Maßnahmen können auch für Kontakt- und Begleitpersonen gelten. Das sind Personen, die mit einer verdächtigen Person in Kontakt stehen, sodass naheliegt, dass sie mindestens Kenntnisse von der geplanten Straftat besitzen. (§4, 8a) Das Bündnis Polizeigesetz stoppen sieht von diesen repressiven Maßnahmen jedoch Geheimnisträger (z. B. Psychologen) oder Menschen in pädagogischen Berufen (z. B. Sozialpädagogen) betroffen, denn sie stehen in einem Vertrauensverhältnis zu eventuell verdächtigten Klienten oder Patienten und könnten auch von geplanten Straftaten wissen. Das heißt jedoch nicht, dass sie tatsächlich davon wissen. Falls sie doch von begangenen oder geplanten Straftaten wissen, weil sie beispielsweise einen Drogenkonsumenten therapieren (der Kauf von illegalen Drogen stellt eine Straftat dar), müssen sie ihrer Schweigepflicht nachkommen und das für sich behalten. Bestimmte Ausnahmeregelungen entheben diese Schweigepflicht (z. B. schwere Straftaten wie geplanter Mord). Die Überwachung von Geheimnisträgern, die auf Grund ihres Berufes auch mit potentiellen Straftätern arbeiten, ist demnach also zwar nicht erforderlich, laut §4, 8a jedoch möglich. Das wiederum beschneidet das Berufsgeheimnis.

Mit Maschinengewehren und Handgranaten sollen Sondereinsatzkommandos nun bestückt werden. (§ 40, 4) Bewaffnungen, die man eher aus dem Militär kennt, kommen nun also ins Inland. „Die sächsische Polizei braucht hier im wahrsten Sinne des Wortes Waffengleichheit mit den Tätern“, argumentiert die CDU.

Bei einer von Sachsens Demokratie veranstalteten Anhörung zum neuen Polizeigesetz äußerten Experten und Betroffene die Sorge vor einer Kriminalisierung von Randgruppen, einer Einschränkung vom Berufsgeheimnis und der Gefährdung der Grundrechte, wodurch Bürger unter Generalverdacht geraten würden.

Während die SPD noch unsicher ist und Nachbesserungen fordert, ist die CDU völlig überzeugt von dem Gesetz. CDU-Generalsekretär Alexander Dierks versucht Kritiker und aufmerksam gewordene Bürger mit folgender Aussage zu beruhigen: „Die absurden Behauptungen vom drohenden Überwachungsstaat sind reine Polemik.“ Er startete eine Kampagne für das Gesetz. Klickt man auf die in diesem Rahmen entstandene Website, erscheint die Aussage: „Mehr Sicherheit für unser Sachsen“. Ihr Hauptargument, die Abwehr von Terror und anderen schweren Straftaten, ist ihr einziges Argument. Ob unschuldige Bürger von Präventivmaßnahmen getroffen werden könnten auf Grund von Fehleinschätzungen oder schwammigen Formulierungen, das bleibt ungeklärt. Beweise, Studien oder Analysen, welche dieses neue Gesetz als sinnvoll und zweckdienlich bestätigen, lassen bisher noch auf sich warten. Deswegen bezeichnet Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen in Sachsen, dieses als „vollkommenes Placebo“.

Kommt es hier zur Einschränkung von Freiheit? Zur Aushebelung der Unschuldsvermutung für – vermutlich – mehr Sicherheit? Entzieht man Bürgern durch dieses Gesetz Vertrauen und Mündigkeit? Wird versucht, durch präventive Repression gesellschaftliche und soziale Probleme zu lösen? Werden Randgruppen nun systematisch kriminalisiert? Wir werden es erfahren, wenn das Gesetz in Kraft getreten ist.

Und: Wenn Sicherheit so wichtig ist, dann wären weitere logische Konsequenzen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen und die Aufnahme von Alkohol sowie Nikotin in die Liste der illegalen Betäubungsmittel. Denn daran sterben jährlich Tausende Menschen in Deutschland. Also wenn schon Freiheiten für Sicherheit aufgeben, dann doch bitte richtig!

Wie viele Menschen die Unschuldsvermutung und ihre Freiheit durch das neue Polizeigesetz gefährdet sehen, wird sich an der Teilnehmerzahl der Polizeigesetz-stoppen-Demo am 26. Januar zeigen, die um 13 Uhr am Wiener Platz startet.

*Das Maskulin als kürzeste Form meint stellvertretend alle Geschlechter (männlich, weiblich, divers) und wurde nur aus Platzspargründen verkürzt verwendet.

Text: Emilie Herrmann

Foto: Amac Garbe

2 Gedanken zu “Campuskolumne

  1. Der Artikel findet im Wesentlichen meine Zustimmung, zumal die Menschen, die dieses Gesetz haben möchten, die Vergangenheit scheinbar vergessen haben.
    Sie wurden von uns gewählt und sollten unsere Bedenken sehr ernst nehmen und nicht einfach bei Seite wischen. Sie sind unser angeblich verlängerter Arm, der uns aber nicht abwürgen soll.
    Die Polizei hat es wahrlich oft nicht leicht, aber die Macht geht nicht vom “kleinen Beamten” aus. Er muss oft ertragen, was durch “die Gesetzesumsetzung” erzeugt wird.

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