Genug geschwiegen

Am 23. Januar hat die Initiative What des Studentenrats der TU Dresden zur Demo für Weltoffenheit geladen — und das war erst der Anfang.

Die Rettung naht: Links vom Lauti gibt’s Tee. Der macht zwar nicht die Füße warm, aber immerhin können die Hände den Pappbecher umklammern, der leider auch bald kalt und leer ist. Aber heute, an diesem Montagabend auf der Wiese hinter dem Hörsaalzentrum (HSZ), geht es auch nicht um Komfort und Yolo. Es geht um Wichtiges: um die Demo für eine offene Gesellschaft. What hat geladen.

What, das steht etwas kryptisch für „Wissen, handeln, aktiv teilnehmen“. Doch genau darum geht es den Gründern Georg und Kersten: „Wir wollen das politische Bewusstsein der Studierenden erweitern und ihnen zeigen, wie wichtig Engagement gerade jetzt ist.“ Dass man sich damit nicht nur Freunde macht, ist ihnen klar. Ihre Nachnamen wollen die beiden Gründer deshalb lieber nicht öffentlich lesen. Am Tag vor der Demo sitzen sie umgeben von leeren Kaffeebechern im Büro des Fachschaftsrats (FSR) Maschinenwesen und erzählen die Geschichte einer ziemlich steilen Karriere: der Karriere von What. Ihren Anfang nimmt sie im Studentenrat, genauer: im Referat für politische Bildung, in dem Kersten und Georg sitzen, auch wenn ihre Studienfächer das nicht unbedingt vermuten lassen. Kersten studiert Maschinenbau im siebten Semester, Georg Verfahrenstechnik im dritten. Doch beide hatten im Dezember 2016 das Gefühl, dass die Probleme immer größer werden: Trump, Pegida, VG Wort. „Es ist nicht mehr die Zeit, wo wir sagen können: Wir machen nichts mehr.“ Also gründeten sie What.

18.20 Uhr, immer noch auf der Wiese hinter dem HSZ. Die Demonstrierenden machen jetzt wirklich was. Sie hören dem Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen zu, der extra einen wichtigen Termin verschoben hat, um der studentischen Initiative seinen Dank auszusprechen. Auch Petra Köpping ist gekommen, die Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration. Später soll noch Jürgen Kasek sprechen, Landesvorstandssprecher der Grünen. Kersten und Georg ernten viel Respekt für ihre Initiative — und zwar auch von studentischer Seite. „Man muss doch etwas tun gegen die miese Stimmung in Dresden!“, meint Friederike, die gerade erst zum Medizinstudium hergezogen ist. In ihrer Heimat Hamburg sei Weltoffenheit selbstverständlich.

18.47 Uhr, der Tee ist endgültig alle, es kommt Bewegung in die Demo: Etwas mehr als 1.000 Menschen sind es der Dresdner Initiative Durchgezählt zufolge, die trillerpfeifend gen Theaterplatz ziehen, klar und laut sagen, dass Flüchtlinge willkommen sind, dass es kein Recht auf Nazipropaganda gibt. Die ihrem Unmut Luft machen, dass das Klima in Dresden nicht nur heute kalt ist.

Klar: Das What ist auch eines der Empörung. Der Empörung über den Rassismus zum Beispiel, der wieder salonfähig werde. Im FSR-Büro zeigt Kersten eine Studie der TU Dresden: 2016 hatten ausländische Studenten doppelt so viele rassistische Erlebnisse wie noch 2009. „Das ist doch erschreckend!“ Mindestens genauso erschreckend aber ist für die beiden, dass in einer Stadt mit einer halben Million Einwohnern und 36.000 Studenten kein breiter Protest gegen Pegida existiert, sondern die Straße Montag für Montag fast nur den Besorgten und Rechten gehört. Deshalb What, deshalb die Demo.

19.41 Uhr, auf dem Rathausplatz kommt jetzt doch ein wenig Partystimmung auf: Zur Zwischenkundgebung gibt es Küche für alle und Tee. Singasylum Gorbitz, ein Chorprojekt mit Flüchtlingen, gibt ein paar Lieder zum Besten, zu denen das frierende Publikum dankbar auf und ab hüpft. Trotzdem: Als sich der Zug wieder in Bewegung setzt, ist er merklich kürzer geworden, Parolen wie „Fight Law and Order“ und „Siamo tutti antifascista“ häufen sich. 1.500 Teilnehmer hatte What angemeldet, am Anfang sind es immerhin knapp über 1.000. Georg kommentiert: „Zufrieden macht mich das nicht.“ Ob es vielleicht am Wetter liege, dass weniger da sind als gehofft? „Nein, das liegt an der Faulheit der Studenten.“

Genau der aber will What den Kampf ansagen — denn es sind eben nicht nur die gesellschaftlichen und politischen Schieflagen, die Georg und Kersten umtreiben. Sondern auch, dass viele Studenten sich nicht einmal für Sachen engagieren, die sie direkt betreffen: Wieso ließ man die Schließung der Juristischen Fakultät fast klaglos über sich ergehen? Warum beschwert sich niemand, dass über der Neuen Mensa ein „Abbruch Dresden“-Schild hängt? Wo um Himmels willen ist eigentlich die politische Kultur an der Uni? Die beiden wirken jetzt ziemlich ratlos. Weitermachen wollen sie trotzdem, What soll wachsen. Gegenüber Formaten und Themen sind sie offen: Workshop oder Demo, Umwelt- oder Hochschulpolitik. Hauptsache, die Leute engagieren sich und verlassen ihre Komfortzone. Natürlich sei das ein hartes Brett, an dem sie da bohren. Aber: „Wir wollten es nicht unversucht lassen.“

21.10 Uhr, auf dem Theaterplatz geht Versuch Nummer eins langsam aber sicher zu Ende. Die Demonstrierenden haben sich in einem leicht überdimensionierten Halbrund versammelt, hören verfroren den letzten Reden zu. Es ist wirklich kalt geworden. Aber zum Glück gibt’s ja Tee. Neben dem Lauti links.

Text: Luise Martha Anter

Foto: Amac Garbe

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