Am Institut für Soziologie der TU Dresden gibt es Probleme mit der Sicherung der Lehre. Doch diese Probleme sind nur die Spitze eines Eisbergs, der die gesamte Universität bzw. das gesamte deutsche Wissenschaftssystem betrifft.
Die prekäre Lage von wissenschaftlichen Mitarbeitern an deutschen Universitäten ist lange bekannt. Verursacht werden sie u. a. durch sogenannte Kettenbefristungen. Das bedeutet, dass Verträge jeweils eine sehr kurze Zeit laufen – manchmal nur drei bis sechs Monate. Eine befristete Stelle wird immer wieder gewährt und die betreffenden Personen können sich nach jahrelanger Aneinanderreihung von Kurzverträgen glücklich schätzen, wenn sie diese Zeit psychisch unbeschadet überstehen. So hatte die ZEIT bereits 2011 darauf hingewiesen, dass bei Hochschulmitarbeitern eine besorgniserregende Zunahme von Depressionssymptomen zu konstatieren ist. Einer nicht repräsentativen Onlinebefragung der ZEIT von 2015 zufolge überlegen 81 Prozent der Hochschulbeschäftigten sogar, ihre Wissenschaftskarriere an den Nagel zu hängen. Gerade die Mitarbeiter im Mittel- und Unterbau, also die Nicht-Professoren, leben dabei in ständiger Unsicherheit, ob sie für das kommende Semester einen neuen Vertrag bekommen oder ein neuer „Kunde“ fürs Arbeitsamt werden. Diese radikalen Perspektiven gehören zur Normalität im deutschen Hochschulsystem. Ein Beispiel: Am Institut für Soziologie der TU Dresden wurden einige Verträge von Beschäftigten weniger als eine Woche vor Weihnachten verlängert. Das Auslaufdatum dieser Verträge sollte der 31. Dezember 2016 sein – mitten im Semester.
Auch für die Studenten der Soziologie hat diese Praxis Folgen: So wurde ihnen am Anfang dieses Semesters mitgeteilt, dass einige Seminare nur verkürzt angeboten werden, da die Verträge der Beschäftigten zum Jahresende auslaufen. Die Folge war nicht nur, dass die Studenten sich darauf vorbereiten mussten, die gleichen Inhalte sechs Wochen schneller aufzunehmen. Die schlimmste Konsequenz für die Akademiker in spe war der Hinweis, dass alle Hausarbeiten nicht wie üblich bis zum 31. März 2017, sondern bis zum 20. Dezember 2016 abgegeben werden müssen. „Mitten im Semester eine Prüfungsleistung abzugeben hat mich ganz schön unter Druck gesetzt und war verdammt stressig. Letztlich ist es aber doch noch gut gegangen“, sagt Katharina Lerch, Soziologiestudentin im fünften Semester.
Nun wurden alle Verträge bis zum Semesterende verlängert. Da die Tinte zur Vertragsverlängerung erst Mitte Dezember getrocknet war, hilft das den meisten Studenten aber nicht weiter. Diejenigen, die sich dazu durchgerungen hatten, das Seminar dennoch zu besuchen, hatten die Arbeit zu diesem Zeitpunkt oft bereits fertig. Nun können sie diese noch gut zwei Monate Korrekturlesen.
Dass Verträge mitten im Semester auslaufen ist ein generelles Problem. Der Grund dafür ist, dass Bewilligungen von Finanzmitteln für Universitäten vom sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) jährlich erfolgen. Doch das Semester läuft nicht bis zum 31. Dezember, sondern bis zum 31. März. Auf Anfrage von Campusrauschen an das SMWK, ob das Problem bekannt ist und was man daran ändern könnte, antwortet Pressesprecher Andreas Friedrich: Das SMWK „kann an der Jährlichkeit des Haushaltes nichts ändern. Sie ist ein Grundprinzip des Haushaltsrechts. Um den Hochschulen Planungssicherheit zu geben, arbeitet das SMWK mit Inaussichtstellungen der Mittel. Die Hochschulen können sich also darauf verlassen, dass die Mittel auch im neuen Jahr fließen. Es ist kein Fall bekannt, bei dem das Ministerium die Inaussichtstellungen nicht bedient hat. Das SMWK hat die Hochschulen wiederholt darauf hingewiesen, bei Projekten, die über den Jahreswechsel hinausgehen, die immer am Jahresende orientierte Befristungspraxis zu hinterfragen.“ Die TU Dresden, namentlich der stellvertretende Pressesprecher Mathias Bäumel, bestätigt diese Aussage zumindest tendenziell und spricht davon, dass „die in Aussicht gestellten Gelder dann fast immer zugewiesen wurden“.
Für Dr. Tino Heim, Mitglied des Senats der TU Dresden sowie der Mittelbau-Initiative – eine Interessenvertretung des akademischen Mittelbaus –, ist das ein Ausweichargument: „Auch im Falle der Überlaststellen wurden keineswegs alle von den Universitäten beantragten Mittel bewilligt. Für die Universitäten gibt es keine Planungssicherheit, solange die Mittel nicht wirklich zugesagt sind, und auf eine hohe Wahrscheinlichkeit der Mittelzuwendung kann höchstens spekuliert werden, was etwas vollkommen anderes ist als im Haushalt mit ihnen rechnen zu können.“ Angesprochen auf einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma plädiert Heim auch für eine konsequentere Haltung der Unis: „Die Universitäten sollten sich gegenüber dem Ministerium selbstbewusster als gemeinsam agierende hochschulpolitische Akteure zeigen. Statt die Verantwortung zur Bewältigung der hochgradigen Planungsunsicherheit innerhalb der Universitäten nach unten durchzureichen – an die Fakultäten, Institute und betroffenen Beschäftigten –, könnten sie dem Land gegenüber klarmachen, dass die Lehre unter diesen Bedingungen nicht mehr zu planen und durchzuführen ist.“ Heim meint, dass das Ministerium sich den öffentlichen Skandal, dass an sächsischen Universitäten die Lehre nicht gesichert ist, nicht leisten könne. „Das könnte wenigstens dafür sorgen, dass die Mittelzuwendungen eher als bisher ankommen.“ Für dieses Semester hat die TU Dresden die Zuweisungen erst am 21. September erhalten. Zehn Tage vor Semesterbeginn. „Ich kann mich nicht erinnern, dass die Mittel jemals so spät gewährleistet wurden“, sagt Heim.
Zwar haben die Universitäten und das SMWK vergangenes Jahr einen „Rahmenkodex zur befristeten Beschäftigung“ ausgehandelt, der die größten Verwerfungen korrigieren soll. Darin wird den Universitäten zum Beispiel nahegelegt, mit wissenschaftlichen Hilfskräften mindestens halbjährige Verträge abzuschließen und dass die Vertragslaufzeiten für wissenschaftliche Mitarbeiter in der Promotionsphase zumindest einjährig sein sollten. Laut Heim ergibt sich aber das Problem, dass die Universitäten an diese Selbstverpflichtung rechtlich nicht gebunden seien und auch der Rahmenkodex selbst zahlreiche Ausnahmen etwa für „Überbrückungsmaßnahmen“ offenhält. Er erwartet zahlreiche „Einzelfälle“, die in der Summe zu einer Fortsetzung der kreativen und flexiblen Befristigungspraxis führen.
Ein sind auch die weiterhin wegfallenden Stellen an den sächsischen Universitäten. Zwar haben das SMWK und Dr. Eva-Maria Stange verkündet, dass der Stellenabbau dank des neuen Hochschulentwicklungsplans gestoppt sei. Doch diese vollmundige Ankündigung betrifft nicht die sogenannten Überlaststellen oder generell alle aus Bundesmitteln finanzierten Stellen (Bildungspaket, Hochschulpakt etc.). Eine Überlaststelle schafft einen Ausgleich zum zusätzlichen Arbeitsbedarf, der durch das reguläre Stellenvolumen nicht abgedeckt ist. So versucht die Universität, Fakultäten und Institute zu entlasten, die eine über 100-prozentige (über einen Zahlenschlüssel ermittelten) Auslastung aufweisen.
Es ist eine Entscheidung des Ministeriums, wie hoch die Mittel ausfallen, die für die Überlaststellen gestellt werden. So hat die TU Dresden für dieses Semester 138 Vollzeitäquivalenzstellen (VZÄ) beantragt, bewilligt wurden indes nur 92. Die Absenkung der VZÄ seien auf die Regelungen des „Rahmenkodex für den Umgang mit befristeten Stellen“ und auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zurückzuführen. Die Folge dieser faktischen Stellenkürzung ist, dass die Lehrenden der TU Dresden weiterhin überlastet sind. Auf Anfrage teilt Mathias Bäumel mit, dass die Universität aus diesem Grund nur eine Auslastung über 120 Prozent reduzieren könne. Das Ziel sei demnach, mittels der Überlaststellen die Auslastung flächendeckend unter 130 Prozent zu drücken.
So bleibt also erst einmal alles wie gehabt. Zwar werden laut Hochschulentwicklungsplan keine regulären Stellen mehr gekürzt – andererseits könnte man auch sagen: Bei einer Auslastung, die flächendeckend bei circa 130 Prozent des eigentlich veranschlagten Arbeitsvolumen liegt, muss man sich ob der besorgniserregenden Zahlen der ZEIT nicht wundern. Man könnte hinzufügen: Der Hochschulentwicklungsplan hat eine euphemistische Rhetorik.
Text: Martin Linke
Foto: Amac Garbe
Niemand hat die Absicht … Studentinnen und Studenten qualifiziert auszubilden. Auf diesen Gedanken könnte man kommen, wenn man sich die hochschulpolitische Entwicklung in Ruhe anschaut. An den Stellenkürzungen und -befristungen der Hochschulangestellten stört mich besonders, dass sie viel zu selten auch einmal aus der Sicht der Studentinnen und Studenten betrachtet werden. Dann muss man leider feststellen, dass die Befristung wissenschaftlicher Stellen zu Lasten beider Seiten geht. Dem aktuellen Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs und der Kommentierung der GEW zufolge (siehe z.B. die Zusammenfassung bei https://www.textundwissenschaft.de/2017/05/02/1272/ ) hat sich bislang nicht wirklich etwas zum Besseren gewendet. Wenn die Mehrzahl der Nachwuchswissenschaftler nach wie vor nur sehr begrenzte Chancen hat, eine echte Lebensplanung zu machen – wie sollen sie es da ihren Studentinnen und Studenten beibringen? Ich sehe hier die politisch Verantwortlichen, aber auch die Hochschulleitungen selbst gefordert, eine für alle betroffenen Gruppen akzeptable Lösung zu finden. Das Geld kann letztlich in einem reichen Land wie Deutschland nicht die Ausrede sein.