Kopfsteinpflaster und andere (Radfahr-)Probleme

Dresden ist bekannt für sein historisches Kopfsteinpflaster. Für Fußgänger*innen, die die malerische Architektur bewundern, fügt es sich wunderbar ein in das malerisch barocke Stadtbild Dresdens, in dem gewisse Epochen nicht repräsentiert werden und so das patriotische Herz schon mal ein bisschen höherschlagen kann. Für alle, die nicht zu Fuß oder mit dem Auto unterwegs sind, ist das Kopfsteinpflaster aber vor allem historisch veraltet und voller Barrieren. Unebene Gehwege und Straßen mit Spalten – so groß, dass die Reifen stecken bleiben – sind für Menschen im Rollstuhl, mit Fahrrad oder Kinderwagen ein Graus. 

Und so kommt es, dass für leidenschaftlich Fahrradfahrende, nach Rädern in all ihrer facettenreichen Baukunst, Gesprächsthema Nummer zwei die schreckliche Fahrradsituation in Dresden ist. Man kann sich auch zu gut über die Verkehrsplanung aufregen: das genannte Kopfsteinpflaster, im Nichts endende Fahrradwege oder Straßenführungen, bei denen Radfahrende gar nicht mitgedacht werden und so nur die Wahl zwischen Slalom zwischen den Fußgänger*innen, dicht vorbeirasenden Autos oder Umweg bleibt. Zum Glück bleibt es aber nicht beim Echauffieren und es gibt zahlreiche Gruppen, Vernetzungen und Aktionen, um die Situation von Radfahrenden zu verbessern und die zahlreichen Probleme in der Stadt anzugehen. Diese hat der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Dresden schon auf der interaktiven Karte Radwatch Dresden gesammelt. Ganze 447 Mängel sind hier dokumentiert, für die wenigsten sind durch einen Stadtratsbeschluss Lösungen in Aussicht.

Endlich – der Radweg auf der Albertstraße

Der nicht vorhandene Radweg auf der Albertstraße ist ein solcher Mangel, der zeigt, dass langsam, sehr langsam und mit genügend Druck auch in Dresden etwas zugunsten der Radfahrenden verbessert werden kann. Die Strecke zwischen Albert- und Carolaplatz wird vor allem von Menschen genutzt, die das Fahrrad als alltägliches Transportmittel aus der Neustadt zur Arbeit oder in die Uni und wieder zurück nutzen. So kennen auch viele Studierende das Problem, wenn man ab dem Albertplatz sich quälend langsam über Fußwege und Nebenstraßen schlängeln muss. Nachdem der Stadtrat im Frühjahr 2019 den Beschluss, auf der Albertstraße einen Radweg zu bauen, überraschend gekippt hatte, gab es deswegen tägliche Pendler-Critical-Mass zur Uni. Auf Initiative der TU-Umweltinitiative wurde so auf das Problem aufmerksam gemacht und zugleich sicheres und zügiges Radfahren in einer größeren Gruppe auf einer Autospur ermöglicht.

Die Geschichte um die Albertstraße geht aber schon 2010 los. Damals hatte der ADFC eine Petition für einen Radfahrstreifen auf der Strecke eingereicht. Daraufhin sagte die Stadtverwaltung einer Untersuchung der Situation zu. Diese zog sich über mehrere Jahre und hatte unter anderem zum Ergebnis, dass der Autoverkehr auf der Strecke gesunken war und ein Umbau die Autofahrer 1 s mehr Fahrtzeit und für Radfahrende eine Verbesserung von 2:25 min bedeuten würde. So wurde 2017 ein Bauplan beschlossen und ausgeschrieben. Doch mit dem Austritt zweier Stadträte aus der SPD hatte die Mehrheit im Stadtrat auf einmal kein offenes Ohr mehr für die Klagen der Radfahrenden. Die Ausschreibung für den Bau auf der Albertstraße wurde im Januar 2019 beendet.

Das nun bevorstehende Aus des Radweges wollten die vielen Radfahrenden in Dresden aber nicht hinnehmen, also mussten die Klagen lauter werden. Mit vielen Aktionen wie verschiedenen Critical Mass bekam das Thema eine große Öffentlichkeit und viel Aufmerksamkeit. Und mit den Stadtratswahlen 2019 sowie einem neuen Antrag der Grünen, Linken und SPD wurde schließlich am 31.09.2019, dem letzten möglichen Tag, um Fördermittel für Bauprojekte der Stadt für 2020 zu beantragen, eine erneute Ausschreibung genehmigt. Nun sollen am 20. Juli die Bauarbeiten beginnen. Ein kleiner Sieg für die Radfahrenden. Einer von 447 Mängeln, die in Dresden nun angegangen werden, auf den Weg gebracht durch den ADFC und viele laute Demonstrationen. Dies zeigt, dass Engagement mühsam ist, sich aber auch lohnen kann. Noch schöner wäre es, wenn die Mitgestaltung der Stadt noch einfacher für alle hier lebenden Menschen wäre. „Recht auf Stadt“ ist das Schlagwort.

Stadtradeln – Greenwashing oder Verkehrswende?

Ein anderes Projekt, welches seit dieser Woche Montag zum neunten Mal in Dresden stattfindet, ist das Stadtradeln. In den 21 Projekttagen sollen möglichst viele Menschen ihre Wege mit dem Rad zurücklegen. Das Projekt, das 2008 vom Klima-Bündnis gestartet wurde, zielt auf eine Verkehrswende ab – weg vom Auto hin zum Rad sowie öffentlichen Verkehrsmitteln. Es soll „den Radverkehr im öffentlichen Diskurs sichtbarer machen“. Gleichzeitig werden für die meisten gefahrenen Radkilometer Preise an die Kommunen und Städte vergeben. Schon toll, so eine Auszeichnung!

Während Dresden von 2011 bis 2015 noch die „fahrradaktivste Kommune mit den meisten Radkilometern“ war, sah ab 2016, mit steigender Teilnehmendenzahl von anderen Kommunen, das Ranking für Dresden nicht mehr so rosig aus. 2019 feierte sich Dresden dann für einen 4. Platz im Vergleich mit 17 weiteren teilnehmenden Großstädten. Ganze 440 Tonnen Kohlenstoffdoxid hätten vergangenes Jahr die 6.154 Dresdner Radelnden so in drei Wochen eingespart. Super für die Stadt, wenn die Umweltprobleme einfach auf der individuellen Ebene betrachtet werden und man sich für die Aktivität der eigenen Bürger*innen rühmen kann. Dass die 6.154 Radelnden sich dafür regelmäßig in Lebensgefahr begeben, wenn sie den Radweg neben den parkenden Autos nutzen (Gefahr durch plötzlich geöffnete Autotüren und dadurch in den Autoverkehr gedrängt zu werden) oder gleich auf die Straße ausweichen müssen, braucht dann ja nicht erwähnt zu werden. Hauptsache das Klima wird durch das individuelle Verhalten „gerettet“ und nicht durch ein Umdenken und Andershandeln auf politischer und ökonomischer Ebene. Stadtradeln bietet also die hervorragende Möglichkeit zum Greenwashing.

Doch das Projekt versucht gegenzusteuern und bietet Ansatzpunkte, das Umdenken tatsächlich voranzutreiben. So werden explizit Kommunalpolitiker*innen aufgerufen, sich am Stadtradeln zu beteiligen, um die Radfahrsituation in ihrer Gegend selbst zu erfahren. Dafür gibt es dann auch einen Preis. Dieser sollte doch mal das in Dresden angestrebte Ziel sein.

Außerdem gibt es seit drei Jahren die Möglichkeit, seine Routen mit der Stadtradel-App tracken zu lassen. Die so gesammelten Daten werden anonymisiert an das Forschungsprojekt MOVEBIS der Professur für Verkehrsökologie der TU Dresden weitergeleitet. Nach eigenen Aussagen in Dresdner Fahrradtelegramgruppen nutzen die Mitarbeitenden selber das Rad als alltägliches Fortbewegungsmittel und haben die guten und schlechten Fahrrad-Erfahrungen, auf die auch das Stadtradeln für die Kommunalpolitiker*innen abzielt, schon selbst im Alltag gemacht. Mit diesem Hintergrundwissen werden die Daten wissenschaftlich z. B. nach gefahrenen Routen inkl. Umwegen, Verkehrsaufkommen, Geschwindigkeit oder Wartezeit ausgewertet und den Kommunen bereitgestellt, die meist keine Ressourcen für eine solche Erhebung haben.

Stadtradeln mit App trägt also ebenfalls dazu bei, die Radverkehrsprobleme in Dresden sichtbar zu machen. Da die Datenerhebung an der TU Dresden geschieht, hat auch nur die TU Zugriff auf die Daten und eine kommerzielle Nutzung der eigenen, kostenlos zur Verfügung gestellten Daten ist so ausgeschlossen. Wenn die Kommunalpolitik, in Dresden also der Stadtrat, nun auch noch klug mit den ihnen bereitgestellten Daten umgeht und nach Lösungen zu den aufgezeigten Problemen sucht, dann profitieren die Radfahrenden schließlich sogar davon.

Kleine Schritte in Richtung Verkehrswende

Ein erstes Erfolgsbeispiel ist die neue Ampelschaltung auf der Könneritzstraße. Wer häufiger vom Bahnhof Neustadt zum Bahnhof Mitte unterwegs ist, dem ist die neue Fahrradampel an der Kreuzung Anton-/Leipziger Straße vielleicht schon aufgefallen. Die Daten aus MOVEBIS sowie eine kleine Anfrage im Stadtrat hatten ergeben, dass Fahrradfahrende auf dieser Strecke an sehr vielen Ampeln halten müssen. Dies wurde nun durch eine Grüne Welle für Radfahrende ausgebessert, so dass die Streckenzeit von 10 auf 5 min reduziert werden konnte.

Auch die vorübergehende Asphaltierung des Körnerwegs am Elberadweg auf der Neustadtseite kurz vorm Blauen Wunder schlug sich in den Daten von MOVEBIS nieder. Während hier die Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem auseinanderklaffenden Kopfsteinpflaster bei 12 km/h für Radfahrende lag, konnte dies durch den Asphalt auf 20 km/h gehoben werden. Auch der ADFC erhob in den ersten zwei Monaten einen Nutzungsanstieg von 30 Prozent bei den Radfahrenden. Der seit Januar eingesetzte Asphalt ist, nach langem Hin und Her mit Petitionen und Datenerhebungen, vorbereitend für das Sandsteinpflaster, welches mit kleineren und enger zusammenliegenden Steinen deutlich besser für Radfahrende ist und sich gleichzeitig in die denkmalgeschützte Umgebung einfügt. Klingt nach einer tollen Lösung für alle Nutzenden, die nun nur noch umgesetzt werden muss. Den Baubeginn hat die Stadt Dresden noch nicht verkündet.

Es sind also große Bemühungen und kleine Verbesserungen zum Thema Fahrrad fahren in Dresden zu beobachten. Schön wäre es, wenn die Erfolge der Radfahrcommunity weiter steigen. Dafür bedarf es aber noch des Engagements vieler. Aufregen über die Fahrradsituation ist im großen Maßstab unbedingt nötig, aber auch das individuelle Teilnehmen im kleinen Stil wie mit der Stadtradel-App hilft. So weicht das veraltete Kopfsteinpflaster, vor allem auf den Hauptradverkehrsrouten, vielleicht auch irgendwann einer barrierearmen Streckengestaltung im Sinne der Verkehrswende.

Text: WHAT

Foto: Amac Garbe

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