Campuskolumne

Ich wollte das nicht. Seine Worte poltern durch den Raum und ich sehe nichts. Nichts als Dunkelheit und Trauer. Ich halte das nicht aus. Es schnürt mir die Kehle zu. Ich nicke ihm zu und renne raus. Schließe die Tür hinter mir, so leise, wie mein Zittern es zulässt. Es ist nur Fiktion. Es ist nur Text, bestehend aus 758 Wörtern und so viel negativer Energie, dass ich es nicht aushalte. Das ist so gedacht, sagt mir der Künstler später, und ich verstehe das. Dass man die Menschen mit ihren Ängsten konfrontieren, den Finger in die Wunde legen muss, damit sich ein Schalter umlegt. Und ich? Ich war zu feige. Oder? Man muss die Dinge ausgehalten haben, sonst ist man nicht hart. Man muss das Ende gesehen haben, um das Werk in Gänze zu erfassen. Vielleicht kommt am Ende die große Wende, die Belohnung für all das Leid, für die Figur und für den Zuhörer. Warum sich all diese Möglichkeiten vergeben?

Und überhaupt: Ist das nicht respektlos? Der Künstler hat tage- oder wochenlang in einem Café an seinem Text getippt, hat Schweißausbrüche durchlitten und Kämpfe mit sich ausgetragen. Er hat sich auf das Podest gezogen, seine eigenen Ängste in die Flucht geschlagen, um dem Publikum seine Botschaft näherzubringen. Und mein Dank ist eine Kippe an der frischen Luft.

Meine Freunde finden das nicht schlimm. Ganz im Gegenteil: Manche Künstler würden sich freuen, wenn das Publikum eine klare Meinung hat, anstatt das Ende abzuwarten und aus Höflichkeit zu applaudieren. Sind wir zu brav geworden? Achten wir ausgerechnet in Zeiten darauf, in denen immer mehr Grenzen drohen gesprengt zu werden, zumindest diese aufrechtzuerhalten? Ein Zeichen zu setzen, dass wir gegenüber der Kunst alle uniform sind, egal, wie wild die Welt ist? Dass man zum richtigen Zeitpunkt klatscht und keine Sekunde zu früh? Und wenn keiner applaudiert, dann muss doch jemand Bescheid geben, dass das Stück vorbei ist. Man darf doch nicht selbst entscheiden, wann das Stück oder der Text aus ist.

Welchen Wert hat Kunst, wenn sie nicht nur eint, sondern gleicht? Wenn sie uns nicht dazu treibt, unsere Meinung öffentlich zu zeigen, sondern bei einem Glas Wein zu bekräftigen, wie außergewöhnlich sie war, obwohl wir eigentlich meinen, dass sie uns überhaupt nicht gefallen hat? Wann haben wir aufgehört uns zu beschweren, dass man für den Eintritt etwas „Gutes“ erwarten kann, und wann haben wir angefangen, uns nicht mehr aufzuregen? Warum werden Leute belächelt, wenn sie mitten in der Vorstellung laut loslachen, obwohl es zur Vorführung passt?

Aber so einfach ist das nicht. Auf der anderen Seite der Macht, auf der des Künstlers, wirkt jede Kritik, manchmal auch jedes unpassende Lachen, wie ein Stich ins Herz. Meine Kunstwerke sind wie Haustiere, und wenn jemand meine Kunst ablehnt oder sie nicht aufnimmt, wie ich ich mir das wünsche, dann fühlt es sich an, als würde man einen wesentlichen Teil von mir rausreißen. Als würde man mich nur halb akzeptieren. Nicht verstehen, dass es mich nicht einzeln zum Sonderpreis, sondern nur als Komplettpaket mit Kunst und komischen Metaphern gibt. Aber vielleicht bin ich zu weich. Vielleicht muss ich als Künstler damit klarkommen, dass das Publikum Reaktionen zeigt, die ich nicht mag. Vielleicht bin ich in solchen Momenten mehr Mensch.

Der Umgang mit Kunst ist ein komplexes Feld und einen Kompromiss zu finden zwischen den eigenen Bedürfnissen und der Achtung der Kunst, das ist schwer. Aber alles hat eine Mitte. Vielleicht nur annäherungsweise.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

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