Die Auswahl von 57 Exzellenzclustern ist ein Meilenstein der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern. Doch nicht überall herrscht Freude.
Da dürften im Rektorat der Technischen Universität Dresden (TUD) die Sektkorken geknallt haben: Am 27. September gab die Exzellenzkommission aus Wissenschaftlern und den Wissenschaftsministern von Bund und Ländern bekannt, welche Exzellenzcluster, also komplexe Forschungsvorhaben, sich dank der Exzellenzstrategie (Exstra) über Fördermillionen freuen dürfen – darunter drei der TUD: Physics of Life (PoL) will die Grundlagen des Lebens aus physikalischer Perspektive betrachten, das Centre for Tactile Internet (CeTI) die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine verbessern und das (zur Einfachheit hier nur bei seinem Kürzel erwähnte) ct.qmat gemeinsam mit der Uni Würzburg die Erforschung von Quantenmaterialien revolutionieren. Die Zukunft der drei erfolglosen Bewerbungen ist noch nicht klar, sagt TUD-Pressereferentin Anne-Stephanie Vetter. Aber für „solch hervorragenden Vorhaben finden sich in der Regel andere Wege einer Förderung.“ So hat die TUD bereits die Fortführung des cfaed versichert, eines Exzellenzclusters der vergangenen Runde.
Insgesamt werden von 88 Anträgen, die nach der Vorauswahl im September 2017 noch im Rennen waren, 57 gefördert. Sie verteilen sich auf nur 34 Universitäten, denn 16 Cluster entstehen im Verbund von bis zu drei Unis. Auch wenn andere Unis mehr Anträge durchbringen konnten – so war die Uni Bonn mit sechs von sieben, die Uni Hamburg mit fünf von fünf Bewerbungen erfolgreich –, ist die TUD sehr zufrieden. „Angesichts des harten bundesweiten Wettbewerbs“ findet Pressereferentin Anne-Stephanie Vetter den Erfolg „alles andere als selbstverständlich“. Besonders wichtig: Dank der Entscheidung ist die TUD eine von 17 Unis mit mindestens zwei Clustern, die sich bis Dezember auf den Titel als Exzellenzuniversität bewerben. Diese bekommen jedes Jahr zusätzliche Millionen, insgesamt stehen 148 Millionen Euro jährlich bereit. Die Entscheidung fällt im Juli 2019.
Für die Exzellenzcluster stehen 385 Millionen Euro jährlich zur Verfügung, 75 Prozent zahlt der Bund und 25 Prozent das jeweilige Land. Cluster werden ab dem 1. Januar 2019 mit drei bis zehn Millionen Euro jährlich gefördert. Hinzu kommt eine Universitätspauschale von bis zu einer Million pro Jahr und Cluster, die die Unileitung in Struktur und Strategie stecken kann. Doch die Mittel pro Cluster werden kleiner ausfallen als ursprünglich gedacht. Der Grund: Die Zahl der Cluster wurde auf Betreiben von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) kurzfristig ausgeweitet – profitiert haben davon drei Bundesländer mit CDU-Regierungsbeteiligung. Statt den geplanten 45 bis 50 gibt es jetzt 57 Cluster. Wie sich die Mittelkürzung auf die Dresdner Cluster auswirkt? Das wird sich laut Pressereferentin Anne-Stephanie Vetter erst an den Zuwendungsbescheiden zeigen, die in den nächsten sechs Wochen kommen.
Doch die Entscheidung sorgte nicht nur für euphorische Pressemitteilungen und Fotos grinsender Forscher mit Sektglas, sondern auch für Stirnrunzeln und Besorgnis.
Da wäre zunächst die Kritik an der Entscheidung selbst. Beim Betrachten der Clusterliste fällt die Einseitigkeit der Fächer auf: Je nach Zählart haben nur sieben bis zehn Cluster einen geistes- oder sozialwissenschaftlichen Hintergrund. Auf eine genaue Zahl will sich die DFG wegen der Interdisziplinarität der Cluster nicht festlegen. So sind beim CeTI, also der Erforschung der Mensch-Maschinen-Kommunikation, laut TUD-Pressereferentin Vetter auch ethische und rechtliche Fragen oder Kommunikationsforschung relevant. Den Grund für die Übermacht der Natur- und Lebenswissenschaften sieht Lutz Thies, Sprecher des Studentenrates der TU Dresden (StuRa), in der generellen Benachteiligung der Geistes- und Sozialwissenschaften bei Drittmittelprojekten: weniger Publikationen, weniger Zitationen, weniger Aussicht auf Profit. „Viele sozial- und geisteswissenschaftliche Themen sind zudem nur national relevant und die Veröffentlichungen auf Deutsch“, ergänzt Nathalie Schmidt, StuRa-Geschäftsführerin für Hochschulpolitik. „In einem internationalen Expertengremium haben die wenig Chancen.“
Nicht nur deshalb wünschen sich die StuRa-Vertreter mehr Transparenz bei der Entscheidung – es gibt noch ein zweites Ungleichgewicht: die regionale Verteilung der Cluster. Sieht man von den Erfolgen des Univerbundes aus TU, Freier und Humboldt-Uni Berlin ab, kann sich neben der TU Dresden im Osten nur die Friedrich-Schiller-Uni Jena über ein Cluster freuen. Der Antrag der Uni Leipzig für das Cluster „Adipositas verstehen“ wurde abgelehnt. Andere ostdeutsche Universitäten wie die TU Chemnitz, die bisher ein Cluster hatte, haben sich gar nicht erst beworben oder sind in der Vorrunde gescheitert. „Selbstverständlich werden wir die Forschungsarbeiten auf dem Gebiet fortsetzen und es wird weiterhin essentieller Teil unseres Forschungsprofils sein“, sagt Diana Schreiterer, Marketingverantwortliche für das bisherige Bundesexzellenzcluster MERGE an der TU Chemnitz. Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gehen vollkommen leer aus – aber keines der westdeutschen Bundesländer. „Diese weißen Flecken im Osten sind traurig“, sagt Nathalie Schmidt. Nicht nur, dass von 195 Unis nur 34 von der Exstra profitieren – die Millionen fließen fast nur in die alten Bundesländer. Weil mit dem Erfolg auch ein besserer Ruf und die Chance auf den Titel als Exzellenzuniversität kommen, könnte die TUD den anderen Unis im Freistaat regelrecht vorauseilen. Schmidt sieht daher eine Spaltung des Unisystems, sowohl im Freistaat als auch bundesweit. Andreas Friedrich, Pressesprecher des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst (SMWK), bestätigt zwar, dass es für „kleinere, aber nicht spezialisierte Hochschulen schwerer wird, im internationalen Spitzenbereich mitzuhalten“. Von einer Spaltung zu sprechen, sei aber „nicht zutreffend und irreführend“. „Alle sächsischen Universitäten seien profiliert, forschungsstark und erfolgreich beim Kampf um Drittmittel. Zum Beispiel habe das Bundesministerium für Bildung und Forschung kürzlich entschieden, die Uni Leipzig mit einem Forschungsprojekt zu Populismus und Globalisierung am bundesweiten „Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu beteiligen. Überhaupt: „Keine Hochschule in Sachsen erhält wegen der Exzellenzstrategie weniger Landesmittel.“
Hier aber setzt die generelle Kritik des StuRa an: Schon die Grundfinanzierung der Universitäten sei nicht gewährleistet, woran der sächsische Haushaltsentwurf 2019/2020 nichts ändere. „Auch an Exzellenzuniversitäten bröckelt der Putz von den Wänden oder gibt es, wie im Weber-Bau, Warnungen vor dreckigem Leitungswasser“, sagt Thies. „Von Exzellenz zu sprechen ist da nur paradox.“ Zudem überdecke die Exstra die Bedeutung von guter Lehre und Studienbedingungen. Zwar wurde in dieser Runde erstmals eine „forschungsorientierte Lehre“ in die Förderkriterien für die Exzellenzcluster aufgenommen. Laut Thies und Schmidt ist aber noch unklar, wie das bei den Dresdner Clustern umgesetzt werden soll. TUD-Pressereferentin Vetter bestätigt das – und verweist auf die Kürzungen wegen der Erhöhung der Clusterzahl.
Auch aus dem akademischen Mittelbau kommt Kritik. Für Mathias Kuhnt vom Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft ist die Exzellenzstrategie die „symbolische Krönung“ der Abhängigkeit deutscher Unis von befristeten Drittmittel-Programmen. Diese „schaffen viele Stellen, deren Fortbestehen nicht langfristig gesichert ist.“ Der wissenschaftliche Nachwuchs hangelt sich von einer befristeten Stelle zur nächsten. „Dadurch verschiebt sich die Orientierung“, sagt Kuhnt. Priorität haben nicht mehr Lehre und Forschung, geschweige denn Engagement in Gremien – sondern nur noch die Frage der Existenzsicherung. So gehe ein großer Teil der Arbeitszeit für das Schreiben von Anträgen und die Planung von Projekten drauf, die womöglich in der Mülltonne landen. „Das ist Ressourcenverschwendung.“ Es brauche endlich planbare Karrierewege und eine nachhaltige Personalplanung der Unis. Kuhnt wirbt daher für eine erneute Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das in seiner bisherigen Form die Befristung nicht wirksam begrenze. Und: Der Bund müsse sich „dauerhaft und nachhaltig“ an der Finanzierung der Unis beteiligen. Möglich ist das: Im Januar 2015 fiel das Kooperationsverbot. „In Fällen überregionaler Bedeutung“, wie es im Artikel Artikel 91b des Grundgesetzes heißt, dürfen Bund und Länder zusammenarbeiten – wenn alle Länder zustimmen.
Eine weitere Stellschraube ist der Hochschulpakt zur Förderung von Lehre und Studienbedingungen, der den Unis allein in der dritten Programmphase 24,1 Milliarden Euro eingebracht hat. Nur: Er läuft 2023 aus. Die Bundesregierung hat sich daher im Koalitionsvertrag vorgenommen, ihn zu verstetigen. Das fordert auch der StuRa, schließt sich dabei aber der Forderung des Wissenschaftsrates nach einer jährlichen Steigerung der Mittel von drei Prozent an. Dauerhaft gesichert sehen wollen die StuRa-Vertreter auch den Qualitätspakt Lehre, der den Hochschulen zwischen 2011 und 2020 zwei Milliarden Euro für die Lehre gebracht hat. „Die Politik muss feststellen, dass Lehre ja auch ganz ‚nice‘ ist“, sagt Thies vom StuRa und lacht.
Doch die StuRa-Vertreter wollen die Exstra nicht verteufeln, bezeichnen sie als „ambivalent“. Schließlich kämen die Gelder zumindest an der TUD tatsächlich allen zu Gute. Beispielsweise haben viele Studierende etwas von neuen Laboren und renommierten Profs, die ein Exzellenzcluster anzieht. Der StuRa profitiert sogar ganz konkret: als Untermieter in jenem Gebäude, das für CeTI gebaut wird. Und im Zukunftskonzept, das die Unis für die Bewerbung als Exzellenzunis brauchen, geht es auch um Themen wie Nachhaltigkeit und Gleichstellung. „Natürlich wäre es für die TUD gut, wenn sie Exzellenzuni bleibt“, sagt Schmidt. „Aber davon haben Studierende anderer Unis ja nichts.“ Spitzenförderung dürfe Breitenförderung nicht ersetzen.
Text: Luise Martha Anter
Foto: Amac Garbe