Seit 2014 machen Niklas Ciecior, Paul Riemer und Johan Keilig zusammen Musik – elektronisch, melodiös und mit steter Veränderung als Konstante. Mit „A“ veröffentlichten sie als ISOLATE im Dezember 2018 ihr erstes Werk mit sechs Songs. Im Juli 2021 folgte nun die EP „Topology“ mit vier Stücken, die länger und eindrücklicher sind. Zwei Platten, vier Jahre und ein Prozess, dem nicht nur Covid-19 neue Impulse gegeben hat.
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Ein Mord in einem guten Krimi braucht ein Motiv, eine Gelegenheit und ein Mittel. Eine Band zu gründen braucht jemanden, der eine Anzeige schaltet, einen, der darauf antwortet, und einen dritten, der einen Probenraum hat. „Tatsächlich war es der glückliche Zufall des sozialen Netzwerkes“, wie Paul Riemer erzählt. Er kam im Jahre 2014 nach Dresden und suchte über eine Facebook-Gruppe nach Mitstreiter:innen für eine Band. Niklas Ciecior las die Anzeige und die beiden trafen sich auf einer Jam-Session im Café „Die 100“ auf der Alaunstraße. Später kam Johan Keilig dazu, der besagten Probenraum in der Nähe des Flughafens gemietet hatte. „Dort sind wir einfach mal hingefahren und haben uns ab dem ersten Tag relativ regelmäßig getroffen, ohne darüber zu quatschen“, berichtet er.
Musikalische Vorbilder sind die Post-Rock-Bands SIGUR RÓS aus Island, MOGWAI aus Schottland, EF aus Schweden und die amerikanische Band INTERPOL. „Unter dem Aspekt haben wir uns dann auch getroffen, also erst mal instrumental. Das war lange Zeit so, wie man das vom klassischen Post-Rock kennt. Schlagzeug, Gitarre, Bass, ein bisschen Klavier“, erklärt Johan Keilig.
Die Topologie von „Topology“
Die Wurzeln der Band erkennt man auf dem Debüt „A“. Die Songs klingen atmosphärisch und trotz manch dunkler Töne so, als würde man durch eine Wolke schweben. Bei „Topology“ wandelt sich das – musikalisch, aber auch textlich. Johan Keilig beschreibt das so: „Bei der ersten EP sind die Texte relativ malerisch gewesen, viel verschleierter, mehr auf Klang betont. Es gibt auf jeden Fall Bedeutungen, aber das man das immer sofort versteht, das ist auf der ersten EP schwierig.“
Für Niklas Ciecior war der Prozess des Schreibens neu, aber eine interessante Erfahrung. „Ich fand es mit der neuen EP spannend, sich da mal ranzusetzen. Man kommt auch schnell in einen Modus, wo man viel nachdenkt und wirklich coole Sachen dabei rumkommen“, erzählt er. Meist präsentiert Johan Keilig seinen Kollegen die Texte und sie füllen gemeinsam die Lücken. Paul Riemer fasst die Stimmung auf der EP zusammen: „Lyrisch geht es viel um das Auseinandersetzen mit sich selbst, wie man sich fühlt, recht emotional. Es ist eine Geschichte vom Rauskommen im Sinne von Träumen, ganz grob gesagt.“
Besonders deutlich wird das in „Quarry“, das man mit „Steinbruch“ übersetzen kann. In diesem sitzt das lyrische Ich in der Dunkelheit eines Panzers und blickt nach oben. Dazu das düstere Gitarrenriff, das den Song von Anfang an trägt. Energischer ist „Eden“, das vom inneren Feind und Prokrastination handelt, untermalt von lauten Drums. Ein klarer Hinweis, das eigene Hinterteil zu bewegen, wenn sich etwas ändern soll. „Topology“ wiederum erzählt vom Schweben, von Ungewissheit, dem Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Hobeln, Feilen, Polieren
Das Lied steht auch für einen Teil des Schaffensprozesses. Niklas Ciecior erklärt: „Der Track ist eine Idee, die vor drei Jahren von Paul kam. Er ist gereift über die Zeit und zum Zweit-Lieblingstrack der EP geworden.“ Bei ISOLATE ist ein Song nicht wirklich „fertig“, er verschwindet mit 60 bis 70 anderen Projekten in einer Schublade und wird später angeguckt. Johan Keilig formuliert das so: „Wir haben echt einen lustigen Fundus an Songs, mit lustigen Titeln und lustigen Namen in einem echt breiten Spektrum. Die werden alle drei, vier Jahre mal gesichtet.“
Vom Über-Arbeiten und Reduktion
Perfektion und damit Weiterentwicklung ist wichtig, kann aber auch bedeuten, dass man kein Ende findet. Bei ISOLATE geht die Entwicklung daher rückwärts. „Das Problem war, dass wir live angefangen haben, zu viel vom Band zu spielen, weil wir drei Menschen sind, aber die Produktion nach zehn klingt. Und dann muss etwas mitlaufen. Wir haben festgestellt, dass das so nicht funktioniert. Es geht, macht aber nicht richtig Sinn, weil zu viel aus dem Computer kommt. Das ist nicht mehr glaubwürdig genug. Daher nehmen wir uns vor, das wieder zu reduzieren, um mehr an dieses Drei-Menschen-Ding ranzukommen. Wir können das live auch so spielen, wie es auf der EP klingt“, erklärt Paul Riemer.
Von Computern und Drums
Das Arbeiten mit digitalen und analogen Mitteln sind Bestandteile des Schaffensprozesses, die sich gegenseitig befruchten. Die Musiker komponieren Songs mit einem Programm, z. B. Logic Pro, und spielen den Song später analog ein. Dabei entstehen zufällig Fehler, die den Song ausmachen. Paul Riemer berichtet, wie das am Ende von „Landescapes“ aussah: „Im Prinzip hört man nach dem letzten Beckenschlag, wie die Sticks auf die Trommel drauffallen. Das war ein guter Abschluss.“ Für Niklas Ciecior ist das auch eine Möglichkeit, sein Können zu verbessern. „Ich programmiere da ein Schlagzeug, das ich potentiell noch gar nicht spielen kann, wo ich mich dann auch ein bisschen zwinge, das zu üben“, erklärt er.
Und auch für Johan Keilig, dessen Stimme man in den Songs hört, war der Weg vom heimischen Zimmer in den Probenraum erst mal ungewohnt: „Manchmal ist es auch gruselig, wenn man am Rechner eine riesige Soundscape hat und dort draufsingt. Und dann steht man im Probenraum, hat zwei Leute um sich und singt so ins Leere. Auch die eigene Stimme zu hören. Das ist spannend und macht viel Spaß.“
Zoomen oder Chillen?
In den vergangenen Monaten waren die Künstler gezwungen, die Probe über Plattformen wie Zoom zu machen. Das lag einerseits an der Pandemie, andererseits daran, dass Johan Keilig seit 2020 seinen Master in Musikproduktion an der Königlichen Musikhochschule Stockholm macht. Den Umstieg sehen die Musiker mit gemischten Gefühlen. Paul Riemer erzählt: „Es ist generell lustiger, beieinander zu sitzen, ein Bier zu trinken und zu sagen ‚Spiel mal das und das!‘. Dass man sich gemeinsam im Raum ausprobiert. Das ist eine Sache, die online so eher nicht passiert.“
Allerdings kann es analog passieren, dass die drei müde sind oder drei bis vier Stunden an Songs tüfteln, aber am Ende nicht glücklich sind. Über Zoom bringen sie bereits Songideen mit und arbeiten dann digital daran weiter. Das kann produktiver sein, weil man sich nicht an einem Ort treffen muss und sich vorbereiten kann. Das Arbeiten über die Ferne bringt mehr Struktur mit sich.
Auch Corona hatte für ISOLATE positive Seiten. Niklas Ciecior berichtet von den ersten Wochen: „Weil die Clubs geschlossen waren, wurde man nicht durch Feiern abgelenkt. Wir hatten keine Gigs, mussten uns nicht drei Wochen vorher vorbereiten. Wir konnten komplett etwas Neues machen. Das wollten wir schon lange.“
Brücken zum Beruf
Die Leidenschaft für Musik bringen die drei auch in ihre Berufe ein. Niklas Ciecior hat an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden Elektrotechnik mit Vertiefung Automatisierungstechnik studiert und arbeitet seit 2,5 Jahren als Softwareentwickler. Mittlerweile ist er in ein Unternehmen gewechselt, das Musiktools entwickelt, wie die Band sie verwendet.
Paul Riemer hat in diesem Jahr seinen Bachelor in Landschaftsarchitektur an der TU Dresden gemacht und sieht Parallelen zur Kunst: „Das ist gar nicht so weit auseinander: das ästhetische Denken in der Landschaftsarchitektur und das künstlerische Denken in dem Sinne, wie man Sachen gestaltet, wie man Konzepte ausarbeitet.“
Johan Keilig hat von 2012 bis 2016 Gitarre an der Hochschule Lausitz bzw. seit der Fusion 2013 an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg studiert und macht nach seiner Zeit als Musiklehrer seinen Master in Schweden. Ein perfektes Trio: „Johan hat die EP gemischt, Paul hat das Cover gemacht und ich gestalte die Website. Unsere Studiengänge helfen uns auch. Wir können alles selber machen“, fasst Niklas Ciecior zusammen.
Text: Vivian Herzog
Zum Foto: Niklas Ciecior (links) und Paul Riemer (rechts) von der Band ISOLATE.
Foto: Amac Garbe