Opfermythos und Heidefriedhof – Der 13. Februar in Dresden

Am 13. und 14. Februar 1945 wurde Dresden durch die alliierten Luftwaffen bombardiert. Unmittelbar danach begann eine Mystifizierung, die bis heute wirkmächtig ist. Durch diesen Opfermythos, der in breiten Teilen der Gesellschaft verankert ist, entsteht ein Nährboden, den Neonazis für die öffentliche Großdemonstration ihrer menschenverachtenden Ideologie nutzen und versuchen, diese über das Thema anschlussfähig zu machen. Auch die AfD schließt sich dem Narrativ an und stellt mindestens eine Verbindung zwischen der rechten Ideologie und dem gesellschaftlich verankerten Opfermythos her. Umso wichtiger ist es, sich damit auseinanderzusetzen, woran genau am 13. Februar in Dresden gedacht und wieso dieses Datum so stark von rechts bespielt wird. Exemplarisch kann dazu das diesjährige Gedenken auf dem Heidefriedhof betrachtet werden – eine Paradebeispiel für unkritische, subjektive, politisch und psychologisch motivierte Geschichtserzählung.

Entstehung des Opfermythos in Dresden

Wie konnte ein Bombardement einer deutschen Stadt innerhalb des Zweiten Weltkrieges so stark mystifiziert werden? In den Nächten des 13. und 14. Februars bombardierten die Alliierten Dresden, dabei starben laut der Historikerkommission bis zu 25.000 Personen. Schon 1945 verbreitete NS-Propagandaminister Joseph Goebbels die falsche Zahl von 250.000 Bombentoten unter Berlin-Korrespondenten internationaler Zeitungen. Diese propagandistische Erfindung wurde in der alliierten Öffentlichkeit als Fakt selbstkritisch aufgenommen und fand weite Verbreitung. Die DDR-Geschichtsschreibung setzte, nach anfänglichem Zögern, an diesem Opferdiskurs an. Die Rede vom „anglo-amerikanischen Bombenterror“ passte gut in den Aufbau des Feindbilds USA, während damit gleichzeitig der Mythos von der „unschuldigen Kunst- und Kulturstadt“ entstand.

Paradebeispiel hierfür ist der Heidefriedhof mit einem Denkmal von 1965. Dort stehen 14 beschriftete Säulen kreisförmig angeordnet. Neben Leningrad, Warschau, Buchenwald und Ausschwitz steht hier gleichberechtigt Dresden um eine Opferschale. Nach der Wende wurde von Seiten der CDU, die seitdem durchgehend im sächsischen Landtag regiert, nie ein Bruch mit der zugeschriebenen Opferrolle Dresdens gesucht. Das pathetische Gedenken an „sinnlose Bombardierungen“ stärkte vielmehr das nationalistische Narrativ der CDU. Auf einmal waren die Deutschen nicht mehr Täter, sondern Opfer. Das passte gut zum Jubel um die deutsche Einheit und führte zu skurrilen Ereignissen: Mit dem Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche 1996 bis 2005 beispielsweise wurde groß Frieden und Versöhnung zelebriert. Das in Dresden auch mal eine Synagoge stand, die zu diesem Zeitpunkt noch in Trümmern lag, fiel den Beteiligten erst im Nachhinein auf. Auch der MDR hat den Opfermythos schon vor längerer Zeit dekonstruiert. Zum Schluss der Reportage fasst Matthias Neutzner von der Historikerkommision zusammen: „An einer Stelle aber behält Dresden seine Besonderheit, und das ist diese starke propagandistische, symbolische Aufladung. […]“

Der Opfermythos hat also eine lange Tradition – problematisch ist dabei die Fokussierung auf genau dieses Datum, die mit der selbst zugeschrieben Opferrolle und Vernachlässigung der Täterrolle einhergeht. Wieso findet kein so großes, städteweites Gedenken zu den Novemberprogromen statt? Die Toten der Bombardierung sind zunächst unabhängig von ihrer persönlichen Schuld umgekommen. Ein kollektives Gedenken durch die Stadt oder Zivilgesellschaft darf aber genau diese Schuldfrage nicht vernachlässigen. Unter den 25.000 sind viele Menschen, die wie die Bevölkerung in ganz Deutschland damals durch allgemeines Weggucken und Unterstützungsakte das NS-Regime und den Holocaust ermöglicht und mitgetragen haben. Mindestens eine Auseinandersetzung und Differenzierung muss es geben, bevor den Umgekommenen kollektiv gedacht wird. Denn: Deutsche Täter*innen sind keine Opfer. 

Opfermythos als Nährboden für rechte Ideologien

Dass genau diese selbst zugeschriebene Opferrolle gut in die rechte Ideologie passt, zeigte sich spätestens ab 1998. Seit diesem Jahr geriet der Jahrestag der Bombardierung Dresdens in das Blickfeld organisierter Neonazis. Deren wichtigste Erfahrung in den ersten Jahren war die Duldung ihres organisierten Auftretens im öffentlichen Raum – dies war neu und gab den Nazis Auftrieb. Die Kombination aus jahrelangem Wegschauen der Landespolitik – der Satz von Kurt Biedenkopf, „Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus.“, ist nur ein gut bekannter Ausdruck dessen – und unverhältnismäßig großer Anschlussfähigkeit innerhalb der Dresdner Bevölkerung ließen die Beteiligung mit den Jahren in die Höhe schießen. Waren 1999 noch 200 Nazis auf der Straße, kam es 2005 zu einem Höchstmaß von 6.000 Teilnehmenden aus ganz Europa. Nur dank kontinuierlicher, antifaschistischer Arbeit konnte diese Entwicklung gestoppt werden.

Dieses Jahr feiern wir das 10. Jubiläum der ersten Massenblockaden in Dresden, bei denen die Neonazis keinen Meter laufen konnten. Nach einem erneuten antifaschistischen Erfolg brachen 2011 die Teilnehmendenzahlen der klassischen Neonazi-Demonstration zusammen. Trotzdem wird nach wie vor in „Trauermärschen“ die Bombardierung Dresdens als vermeintlicher „Völkermord am deutschen Volk“ angeprangert oder es werden Transparente mit der Aufschrift „Bombenholocaust“ durch die Stadt getragen. Im vergangenen Jahr gewann der 13. Februar in der klassischen Naziszene wieder an Fahrt. Waren es in den zurückliegenden Jahren noch um die 500, marschierten 2019 wieder 900 Nazis durch Dresden. Mit dem 75. Jahrestag der Bombardierung ist für 2020 mit einer erneuten Zunahme der Nazimobilisierung zu rechnen.

Doch anstatt die antifaschistische Arbeit zu unterstützen, setzt die Stadt Dresden weiterhin auf Veranstaltungen, die das historisch falsche Geschichtsnarrativ von den deutschen Opfern wieder bestärken. So ist dieses Jahr für den 13. Februar im offiziellen Programmheft und auf der Webseite der Stadt Dresden eine Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof angekündigt, bei der eine „Namenslesung“ der Toten der Bombardierung Dresdens stattfinden soll. Intention des veranstaltenden Vereins Denk Mal Fort e. V. ist es, den auf dem Heidefriedhof begrabenen Menschen ihre Individualität wiederzugeben. Durch die Einbettung in das öffentliche, städtische Gedenkprogramm findet dies aber nicht individuell für die Hinterbliebenen, sondern im Rahmen einer kollektiven Gedenkveranstaltung statt. Zudem wird das „Namenlesen“, eine gängige Form, um den Opfern des Holocausts zu gedenken, als Teil der Veranstaltung beworben. Ohne Differenzierung und kritische Einordnung, bestärkt durch Namen, Ort und Form der Veranstaltung, wird so die Möglichkeit geboten, im öffentlichen Gedenken die Toten der Bombardierung mit den Opfern des Holocausts gleichzusetzen.

So ist der Dresdner Heidefriedhof am 13. Februar schon länger ein zentraler Anlaufpunkt für diverse Geschichtsrevisionist*innen. Am 13. Februar 2018 konnte die NPD mit etwa 20 Menschen an der offiziellen Gedenkveranstaltung teilnehmen und unmittelbar nach der Ansprache städtischer Vertreter*innen ihre Kränze ablegen. Auch für anwesende rechtsnationale Burschenschaftler, die klar an Schärpen und Burschenschaftsmützen zu erkennen waren, wurde kein angemessener Umgang, wie etwa ein Ausschluss, gefunden. Die diesjährige Veranstaltung dort nährt wieder den Narrativ, laut dem die Dresdner*innen unschuldige Opfer eines Krieges seien, mit dessen Ursache sie nichts zu tun gehabt hätten, und bietet so eine Steilvorlage für Nazis. Und gerade Dresden hat ein Problem mit Nazis und rechten Vereinnahmungen. Das hat der Stadtrat vor kurzem offiziell festgestellt (Stichwort „Nazinotstand“). 

Antifaschistischer Gegenprotest

Doch wie jedes Jahr gibt es auch 2020 viele zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die sich für die Bewältigung des gegenwärtigen Naziproblems einsetzen und eine kritische Reflektion der Geschichte des historischen Naziproblems anstreben. Dabei haben die diesjährigen antifaschistischen Veranstaltungen einen feministischen Fokus. Durch eine Aktionswoche soll in mehreren Veranstaltungen die Geschichte aus einer feministischen Perspektive betrachtet werden (so geschehen z. B. bei den Veranstaltungen „Täterinnenschaft – Frauen – Feminismus – Körper und Nationalsozialismus – Deutschland, nein danke!“ oder „Weiblicher Widerstand gegen das NS-Regime – Antifaschistinnen der NS-Zeit in Sachsen“) und emanzipatorische Anregungen für das eigene Engagement beinhalten (z. B. bei Aktionstrainings und Workshops wie „High Fashion Demokleidung“ oder „Good for Something – Workshop zu depressiven Erfahrungen im widerständigen Alltag“). Die meisten Veranstaltungen sind bereits gelaufen, ausstehend ist der Gegenprotest zum „Opfermythos“ und den rechten Veranstaltungen am 13. und 15. Februar.

Insgesamt wird deutlich, dass das Datum hier nicht zum Gedenken an die Bombentoten genutzt wird und der antifaschistische Fokus eher auf eigenen Inhalten bzw. dem Gegenprotest liegt. So sollte auch der Heidefriedhof betrachtet werden. Schon Swen Steinberg, ehemaliger Mitarbeiter an der TU Dresden, beschrieb, dass sich der Heidefriedhof eher als „Lernort“ als als „Gedenkort“ eignen würde. Denn seine Architektur, Anordnung sowie das Nichtvorhandensein von Arealen (z. B. jüdischer Friedhof) zeugen von den subjektiven, teilweise politisch motivierten Blicken auf die Geschichte und damalige Gegenwart. Dies kann genutzt werden, um die Perspektive auf die Geschichte und insbesondere den Umgang mit dem 13. Februar in ihrer Komplexität darzustellen und zu reflektieren. Wenn also der Opfermythos dort aufgearbeitet wird, so wird auch der Heidefriedhof vermutlich kein Nährboden für Nazis bieten und die Grundlage für ihre Geschichtsrevision wird ihnen entzogen.

Stadt und AfD – heutiger Umgang mit dem 13. Februar

Um den Nazis zu begegnen, bedarf es des konsequenten Handelns der Stadt und der kritischen Auseinandersetzung mit den stattfindenden Veranstaltungen. Dies wurde schon vor längerer Zeit immer wieder angestoßen und hat zum Beispiel mit dem alljährlich stattfindenden „Mahngang Täterspuren“ eine breite Öffentlichkeit gefunden und ein „Gegengedenken“ etabliert. Auch das Buch „Gedenken abschaffen“ hat einen wichtigen Diskursbeitrag geleistet.

Doch der aktuelle Umgang der Dresdner Stadtverwaltung mit dem 13. Februar, auch über den Heidefriedhof hinaus, bleibt unbefriedigend. Die jährliche Menschenkette, die als Gegenaktion zu den größten Naziaufmärschen Europas ins Leben gerufen wurde, bleibt rein symbolisch. Weder findet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Warum der Bombardierung Dresdens statt, noch wird ein aktiver Beitrag zur Verhinderung von geschichtsrevisionistischen Ereignissen geleistet. Es bleibt bei emotional aufgeladener Stimmung und Kirchengeläut. Der Wunsch nach kollektiver Trauer wird hier erfüllt. Dabei ist genau diese kollektive Trauer Grundlage für den jährlichen Naziaufmarsch und Anknüpfungspunkt des Opfermythos. 11.500 Menschen nahmen 2019 an der Menschkette teil. Am 27. Januar dagegen, dem Datum der Befreiung von Auschitz, blieb die Teilnahme der Dresdner Bevölkerung an Gedenkveranstaltungen überschaubar. 

Vieles schon Erarbeitete wurde vergessen oder ist durch die aktuelle Diskursverschiebung nach rechts wieder in den Hintergrund gerückt. Offen bleibt, inwiefern es der AfD in der nächsten Zeit gelingt, von parlamentarischer Seite aus auf den Gedenkdiskurs Einfluss zu nehmen. Die AfD hat in den vergangenen Jahren das Opfer-Narrativ für sich entdeckt und eindeutig gezeigt, wo sie sich ideologisch verortet. In seiner berühmt-berüchtigten Rede im Dresdner Ballhaus Watzke forderte Björn Höcke 2017 eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Dabei bezog er sich direkt auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Nicht der sechs Millionen zur NS-Zeit ermordeten Jüdinnen und Juden solle gedacht werden, sondern der deutschen Täter*innen. Auch wenn Höcke damit an die deutschen Traditionen des Verdrängen- und Vergessenwollens anknüpft, stellte die Radikalität seiner Aussage eine Zäsur dar. Höcke war im Übrigen selbst bereits an einem der sogenannten „Trauermärsche“ beteiligt – im Jahr der ersten erfolgreichen Massenblockaden 2010.

Es zeigt sich, wie durch unreflektierte perspektivische Geschichtserzählung rund um den Opfermythos in der Mitte der Gesellschaft ein Nährboden für rechte Ideologien entstanden ist und immer noch gepflegt wird. Diese Ideologien werden heute parlamentarisch von der AfD vertreten und radikal von (Neo-)Nazis auf die Straße getragen. Um dem zu begegnen, bedarf es erneut einer großen öffentlichen Aufarbeitung des Verständnisses vom Gedenken und den Ereignissen um den 13. Februar 1945 in Dresden.

Wir rufen dazu auf, sich kritisch in den Dresdner Gedenkdiskurs einzubringen und sich allen Naziaufmärschen entgegenzusetzen. No pasarán!

Text: WHAT

Foto: Amac Garbe

4 Gedanken zu “Opfermythos und Heidefriedhof – Der 13. Februar in Dresden

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