Fünf Gründe, gen Osten zu fahren

Keine anderthalb Stunden dauert es von Dresden aus auf Schienen in das schmucke Grenzstädtchen, das – in Abendrot getaucht – besonders schön anzusehen ist. Viele Brücken einen, was die Neiße trennt – die beiden Städte Görlitz und Zgorzelec. Eine der beiden deutsch, eine polnisch – offiziell. Im Alltag verschwimmen die Grenzen häufig und so ist es doch nur logisch, dass auch das regionale Filmfest, das 16. Neiße Filmfestival, grenzüberschreitend gefeiert wird. Schauplätze sind neben Görlitz und den polnischen Zgorzelec und Sieniawka auch Bautzen und Löbau sowie die tschechischen Orte Varnsdorf, Liberec, Hrádek nad Nisou und Rumburk. Zwischen den Spielstätten in Großhennersdorf, Mittelherwigsdorf und Zittau fährt ein Kleinbus-Shuttle. Ausreden à la „Da kommt man ja mit den Öffis nicht gut hin.“ zählen also nicht. Campusrauschen rät: Erkundet die Oberlausitz, denn das Festivalprogramm des Neiße Filmfestivals ist mit viel Liebe, Weitblick und Fingerspitzengefühl für aktuelle Themen gestrickt worden! Im Folgenden die Beweise …

Ein Zeichen für den europäischen Zusammenhalt setzen

Wenige Tage vor der diesjährigen Europawahl bietet das Neiße Filmfestival zum 16. Mal die Möglichkeit, unsere polnischen und tschechischen Nachbar_innen besser kennenzulernen. Was wir der EU zu verdanken haben, das wird nicht nur in solchen trinationalen Projekten erkennbar, sondern auch die Filme selbst laden dazu ein, darüber nachzudenken, was uns Europäer_innen verbindet – und trennt. Der Fokus „Homo politicus“ nimmt gesellschaftliche Entwicklungen der Geschichte und von heute in den Blick. Dabei geht es nicht nur um die Folgen nationaler Abgrenzung, sondern auch darum, wie gefährlich grenzübergreifender Nationalismus ist. Das Neiße Filmfestival steht nicht nur für eine vielfältige trinationale Filmlandschaft, sondern auch für ein einiges Europa, einen länderübergreifenden gesellschaftlichen Zusammenhalt. Filmtipp: „Fortschritt im Tal der Ahnungslosen“, ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 2019 von Florian Kunert über das Zusammentreffen von ehemaligen DDR-Bürger_innen und Asylbewerber_innen, die auf unterschiedlichste Weise ihre Heimat verloren haben.

Analoge Filmvorführkunst wiederentdecken

Wir leben in unromantischen digitalen Zeiten, in denen viele Filmprojektoren nur noch aus dem Museum kennen. Auch wenn in Dresden die Produktion von Projektoren wie des „Imperators“ bis ins Jahr 1909 zurückgeht, können heute kaum mehr Vorführer_innen mit der alten Technik umgehen. Obwohl die Umstellung auf digitale Projektion kaum zehn Jahre her ist. Die „gute alte Zeit“ wiederaufleben lässt das Centrum Panorama im tschechischen Varnsdorf. Dort werden innerhalb der 70mm-Reihe zum Filmfestival Klassiker wie Alfred Hitchcocks „Vertigo“ (10. Mai, 21.30 Uhr) von 1958 oder Ridley Scotts „Alien“ (11. Mai, 20 Uhr) von 1979 gezeigt. Für Schüler_innen, Student_innen und Azubis kostet das Ticket nur einen Euro.

Die Oberlausitz als filmischen Schauplatz kennenlernen

Nein, gemeint ist nicht Görliwood, sondern beispielsweise Waltersdorf, Jonsdorf, Zittau und Liberec, die mitsamt zahlreicher ortsansässiger Kompars_innen in zwei Spielfilmen zu entdecken sind. Sie sind die Kulissen für den DEFA-Film „Schwester Agnes“ (am 8. Mai, 18 Uhr, im Sudhaus Löbau und am 10. Mai, 20 Uhr, in der Kulturfabrik Meda Mittelherwigsdorf), deren Protagonistin trickreich gegen die Wohnungsnot in ihrem Dorf angeht, und den erst im vergangenen Jahr gedrehten „Orangentage“ (am 11. Mai, 14 Uhr, in der Kulturfabrik Meda Mittelherwigsdorf sowie am 12. Mai, 15 Uhr, im Kronenkino in Zittau), ein Coming-of-Age-Drama über das Aufwachsen im Lausitzer Bergland.

Wertvolle Fische verteilen und selbst gewinnen

Insgesamt werden in diesem Jahr zehn Neiße-Fische, vom Künstler Andreas Kupfer gestaltete Preisskulpturen, vergeben. Diese sind insgesamt mit rund 19.000 Euro dotiert. Über einen 1.000 Euro wertvollen Fisch darf das Publikum entscheiden – für den besten Langfilm. Und auch den Lieblingskurzfilm dürfen die Festivalbesucher_innen aussuchen. Der Eintritt zur Preisverleihung (11. Mai, 18 Uhr, im Miejski Dom Kultury in Zgorzelec) ist kostenfrei. Und schließlich darf das Publikum nicht nur Preise vergeben, sondern kann selbst gewinnen: Unter allen Teilnehmer_innen an der Abstimmung zum Publikumspreis werden live vier Kino-Jahreskarten verlost.

Der Ehrenpreis dieses Jahres steht bereits fest und geht an den polnischen Schauspieler Jan Nowicki, der heuer 80 Jahre alt wird. Beim Neiße Filmfestival werden drei seiner Filme gezeigt, so auch „11 Minuten“ von 2015, der die Geschichten verschiedener Personen – zum Beispiel einer Schauspielerin, eines Drogenhändlers, eines Hotdog-Verkäufers oder Nonnen – erzählt, die alle eine Gemeinsamkeit haben.

Gleichzeitig den Geldbeutel und das Klima schonen

Die Eintrittspreise des Filmfestivals sind äußerst human. Schüler_innen, Student_innen und Azubis zahlen pro Film nur vier Euro (regulär sechs Euro), ein Festivalticket für alle Vorstellungen kostet für sie nur 20 Euro (regulär 60 Euro). Alle Festivalbesucher_innen, die mit den Öffentlichen anreisen, zahlen pro Film nur drei Euro. Das gesparte Geld darf getrost in den örtlichen Lokalitäten wie den ausgewiesenen Festival-Cafés wie der urigen Camillo-Kneipe in Görlitz, dem Café Jolesch in Zittau oder dem Kulturcafé Alte Bäckerei in Großhennersdorf auf den Kopf gehauen werden.

Text: Marie-Therese Greiner-Adam

Foto: Amac Garbe

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