Die Stadt lebt. Zwischen Straßen und Häusern tummeln sich Fuchs, Hase und Igel. Doch das tierische Stadtleben ist nicht immer ein Zuckerschlecken. Gerade Insekten wie die Wildbienen stehen vor Herausforderungen.
Morgens um vier zwitschern die ersten Vögel. Spätestens. Sie scheren sich nicht darum, ob sie Menschen damit erfreuen oder stören könnten. Auf dem großen Baum vor dem Balkon turtelt wenig später das vertraute Taubenpärchen und baut sich ein Nest. Und das verräterische Trappeln über dem Balkon verheißt: Elster oder Rabe sind wieder in der Dachrinne unterwegs.
Wer genau hinschaut und hinhört, wird sie wahrnehmen, die wilden Tiere, die den Stadtraum mit seinen Grünflächen erobern. Als er sie nicht mehr hören konnte, ist er aufmerksam geworden. Tom Zschaage ist Jungimker und Kräuterkundler. Sein Häuschen, drum herum verschiedene Bäume und Sträucher sowie eine Wildblumenwiese stehen in Dresden-Tolkewitz. Eines Tages war es weg, das Brummen und Summen im Kirschbaum hinter dem Haus, erzählt er, während sich eine Hornisse im Strauch direkt neben seiner Terrasse herumtreibt. Zschaage fing an, sich zu informieren, besuchte einen Kurs über die Honigbiene bei der Volkshochschule. „Und dann war ich infiziert“, erzählt der 40-Jährige. Er wälzte Bücher und erfuhr, dass es in der Gartensparte unweit von seinem Haus einen Imker gab, der aufgehört hatte. Das erklärte das Ausbleiben der Bienen im Kirschbaum.
Nun ist die Westliche Honigbiene als einzig in Europa vorkommende Honigbiene nicht die alleinige Bestäuberin im Reich der Blüten. Das tun auch Wildbienen. „Wildbienen sind von der Artenvielfalt her die größere Menge. Allein in Sachsen gibt es über 400 verschiedene Arten. Da gehören auch die Hummeln dazu“, erklärt Zschaage, im Berufsleben eigentlich Softwareentwickler. Eine Untersuchung fand 2003 beispielsweise im Botanischen Garten der TU Dresden über 100 Bienenarten. Zudem würden aber auch Fliegen, Schmetterlinge und Käfer Blüten bestäuben – sowie der Wind.
Die Aussage, dass das Aussterben der Bienen gravierende Folgen für die Menschheit hätte, ist trotzdem nicht falsch, wie Tom Zschaage insistiert: „Denn Bienen sind recht tough und hart im Nehmen. Die sind schon den Dinosauriern um die Nasen geflogen und sehr anpassungsfähig. Wenn die aussterben, dann sind vorher schon viele andere Lebewesen ausgestorben.“
Der Vorteil der Honigbiene: Sie hat eine Lobby. Die Imker. Und das sind derzeit allein in Dresden etwa 550 an der Zahl, wie Tom Zschaage verrät. Zum Vergleich: 2009 waren es nur 80. „Die Wildbienen haben aber keine Lobby – und sind viel stärker betroffen. Eine Honigbiene ist auch Generalistin, was die Nahrung betrifft. Sie kann sehr viele Nektar- und Pollenquellen anfliegen, während es bei Wildbienen Arten gibt, die nur auf eine bestimmte Pflanze fixiert sind.“ Ein Beispiel dafür: die Glockenblumen-Scherenbiene.
Aber auch in Sachen Lebensraum haben die Wildbienen ein Nachsehen. „Drei Viertel aller nestbauenden Wildbienenarten nisten in der Erde und graben dabei bis zu einem Meter tiefe Gänge. Denen ist mit Insektenhotels zum Beispiel nicht geholfen. Wir müssen also gar nicht so viel extra bauen. Es würde schon reichen, wenn wir einige Dinge einfach mal so lassen würden. Indem wir nicht jeden Quadratzentimeter zupflastern. Wildblumen blühen lassen“, erklärt Zschaage und nimmt einen großen Schluck vom Infused Water, wie Kräuterwasser Neudeutsch heißt.
Sehr häufig wachsen im Sommer auf den Wiesen kleine gelbe Blümchen, das sogenannte Habichtskraut. „Aber sobald diese Blüten ihre Köpfchen hochstrecken, kommen die Männer mit dem Rasenmäher. Damit geht zum Beispiel ein Nahrungsangebot für die Zottelbiene verloren. Was nicht vom Rasenmäher geschreddert wird, das verhungert.“ Klar, Rasenflächen zum Fußballspielen sollten gemäht werden, aber sonst müsse das nicht unbedingt sein. „Oder einfach mal die Hälfte stehen lassen. Dann kann das, was überlebt hat, auf die andere Seite flüchten.“ Die Wohnungsgenossenschaft Aufbau mache das vorbildlich. Oder auch die Wohnungsgenossenschaft Johannstadt, auf deren Flächen Zschaage bis vor Kurzem zwei seiner Völker untergebracht hatte.
Die Wildblumenwiesen erfreuen dabei nicht nur Bienen, sondern auch Falter. Seit 2015 koordiniert der Entomologe Dr. Matthias Nuss vom Dresdner Senckenberg Museum für Tierkunde die Mitmachaktion „Puppenstuben gesucht – Blühende Wiesen für Sachsens Schmetterlinge“. Hier erfahren Interessierte, wie sie Wiesen pflegen sollten, um etwas zur Artenvielfalt beizutragen. Beim 4. Langen Tag der StadtNatur Dresden, einer Veranstaltungsreihe der BUND Regionalgruppe Dresden Ende Mai, konnten Wiesenpfleger sogar den Umgang mit der Sense lernen. Auch „Biene sucht Blüte – Arbeitsgruppe für Wildbienenschutz und ökologische Bienenhaltung“ bietet solche Kurse an. „Insekten Sachsen“ heißt eine andere Aktion, bei der Laien die kleinen Tierchen zählen und melden können. Die Funde helfen Experten bei der Erforschung der sächsischen Insektenwelt.
In Sachsen gibt es zudem ehrenamtliche Naturschutzhelfer. Die gab es schon zu DDR-Zeiten, nach der Wende wurden sie in §43 des Sächsischen Naturschutzgesetzes festgeschrieben. „Ehrenamtliche Helfer sind sozusagen verlängerter Arm der chronisch unterbesetzten Naturschutzbehörden und denen hilft es schon, wenn Probleme und Missstände vor Ort rechtzeitig erkannt und zur Anzeige gebracht werden“, erklärt Sebastian Schmidt von der Unteren Naturschutzbehörde der Stadt Dresden. Viele Ehrenamtliche würden sich im Laufe der Jahre durch ihre Tätigkeit ein umfangreiches Spezialwissen aneignen, fügt er hinzu. Die meisten der derzeit 55 ehrenamtlichen Helfer im Stadtgebiet arbeiten in der Betreuung von Schutzgebieten, es gibt aber auch reine Artenschützer.
Naturnahe Wiesen erfreuen also nicht nur Insekten und andere Tiere, sondern auch Erwachsenen- und Kinderherzen. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man dort von einer Biene gestochen wird“, sagt Tom Zschaage. Ein Fakt, von dem Zschaages Frau erst einmal überzeugt werden musste, weswegen es zwei Jahre dauerte, bis 2012 der erste Bienenstock im heimischen Garten stand. Bisher wurde nur sein Sohn einmal gestochen, als er seinem Vater beim Ernten des Honigs half – und Zschaage selbst natürlich. Dass man auf der Terrasse nun aber von den Tieren belästigt werden würde, das bestätigt sich auch beim fast zweistündigen Gespräch mit dem Imker nicht. Bienen verteidigen nur ihr Leben oder den Bienenstock. Also selbst wenn sich mal eine Biene in die eigene Wohnung verirrt: Ruhe bewahren und sie selbst den Weg nach draußen finden lassen!
Gefährlich sind eher die Menschen. „In den ausgeräumten Landschaften auf dem Land gibt es zum Beispiel riesige Felder mit Raps. Aber wenn der verblüht ist, finden die Bienen sehr wenig Nahrung. Deswegen müssen Imker auf dem Land teilweise zufüttern – mitten im Sommer“, erzählt Zschaage. Hinzu kommen Insektizide, die natürlich auch gegen Bienen wirken. Die werden in der Stadt weniger angewandt. „Und sie hat den Vorteil, dass hier fast das ganze Jahr über irgendetwas blüht“, fügt er hinzu.
Auch das Umweltamt der Stadt Dresden weiß: „Die intensive Landwirtschaft vernichtet zunehmend die Lebensgrundlagen für wildlebende Tiere, weshalb Tiere in den Siedlungsraum gedrängt werden.“ Der Elbebiber beispielsweise, von dem es gut 50 im Stadtraum gibt, ist dabei durch die Bundesartenschutzverordnung geschützt. Schwarz- und Rehwild, Rotfuchs und Waschbär werden allerdings auch im Stadtgebiet bejagt. Tauben werden vergrämt, Ratten grundlegend bekämpft. Die Stadt lebt. Eine Spielwiese findet sich aber nicht für jedes Lebewesen.
Text: Nadine Faust
Fotos: Manuela Kreibig (Insekten), Amac Garbe (Biber)
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