In dieser neuen Reihe werden wir Euch neben den monatlichen cineastischen Höhepunkten weitere aktuelle Angebote in den Kinos vorstellen und besprechen. Ab heute entführt uns ein ambitionierter europäischer Animationsfilm in das ländliche Polen des auslaufenden 19. Jahrhunderts.
Die erste Erscheinung beeindruckt
Felder erstrecken sich in flacher Landschaft, nur von ein paar vereinzelten kleinen Wäldern und schlichten Häusern durchbrochen. Vögel lösen sich aus diesem Panorama und fliegen durch das Bild davon. Menschen kehren von ihrem Tagwerk zurück nach Hause. Das alles ist stilistisch in groben Pinselstrichen gehalten, alle Bewegungen im Bild entwickeln sich wie in einem langsamen Prozess, als wenn sie in diesem Moment gemalt werden würden.
Dieser Effekt wird dadurch erzeugt, dass es sich bei „Das Flüstern der Felder“ um einen Animationsfilm handelt, der auf einer Vielzahl individueller Ölgemälde basiert, die in filmischer Form aneinandergelegt wurden. An sich ist die Aneinanderreihung gezeichneter Einzelbilder die althergebrachte Grundlage des zweidimensionalen Trickfilms, wie sie üblicherweise noch vor dem Aufkommen der dreidimensionalen Computeranimation und beispielsweise bei den frühen Disney-Klassikern zum Einsatz kam.
Das Ungewöhnliche hierbei ist jedoch, dass in dieser polnisch-serbisch-litauischen Filmproduktion, die heute in den deutschen Kinos startet, jedes Einzelbild für sich ein aufwendig handgefertigtes Ölgemälde nach zuvor mit Kamera aufgenommenen Szenen ist – ein Aufwand, der bei herkömmlichen Animationsfilmen an sich nie betrieben wird, da die sekündlich sichtbaren Einzelbilder lediglich dazu dienen, ein stimmiges Bewegtbild zu erzeugen. Das Team um das Regie-Duo Hugh und DK Welchman hat keine Mühen gescheut, um durch ihren Film eine ganz bestimmte, wirkungsvolle Bildästhetik zu erzeugen.
Eine stilistische Zeitreise
Sobald man den Inhalt von „Das Flüstern der Felder“ in Betracht zieht, ergibt diese aufwendige Animationstechnik durchaus Sinn, schließlich bebildert der Film das ländliche Polen des späten 19. Jahrhunderts. Kein motorisiertes Fahrzeug weit und breit, die Menschen auf dem Land verrichten mühsame körperliche Arbeit, dabei lediglich durch Pferde und andere tierische Arbeitskraft unterstützt. Dabei machen sie sich Mut mit altertümlichen Liedern, auch die Abendstunden sind erfüllt mit traditioneller Musik und Tanz. Schon auf der tonalen Ebene erweckt der Film die Klänge und Geräuschkulissen von damals.
Dementsprechend ist auch die Stilistik der bewegten Ölbilder an den im Polen dieser Zeit vorherrschenden Kunststil angelehnt und vermittelt dadurch eine zeitgemäße Ästhetik. Inhaltlich basiert der Film auf dem ebenfalls zeitgleich entstandenen Roman „Die Bauern“ des polnischen Literatur-Nobelpreisträgers Władysław Reymont. Und über die erzählerische Ebene bekommt das, was zunächst als im wahrsten Sinne des Wortes malerische Kulisse erscheint, sehr schnell deutliche Risse.
Das Idyll bekommt Risse
In diese Umgebung hinein ist die Protagonistin Jagna (Kamila Urzędowska) geworfen und findet sich in all diesem trügerischen Idyll von toxisch-patriarchalen Strukturen eingeschlossen, gegen die sie sich in einem aussichtslosen Kampf auflehnt. Sie wird von allen Seiten kritisch beäugt, als sie zunächst versucht, ihr Leben als unverheiratete junge Frau zu bestreiten.
Dass Jagna unbedingt heiraten soll und dies auch wird, steht nicht nur für die bäuerliche Gemeinschaft außer Frage. Es ist auch der Wille ihrer verwitweten Mutter, welche sie kurzerhand dem mindestens doppelt so alten und zugleich reichsten Bauern des Dorfes Maciej (Mirosław Baka) zur Heirat verspricht. Dabei ist Jagna eigentlich in dessen Sohn Antek (Robert Gulaczyk) verliebt, welcher wiederum nur für den Verlauf einer leidenschaftlichen außerehelichen Affäre an ihr interessiert zu sein scheint. Durch ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse eckt sie überall an, wird förmlich aufgerieben zwischen versteinerter, überwiegend maskuliner Starrköpfigkeit um sie herum.
Eine tiefgründig kritische Thematisierung und überzeugende filmische Auseinandersetzung mit einer in patriarchalen Traditionen und Frauenfeindlichkeit erstarrten, geradezu daran erkrankten Gesellschaft hätte das imposante Erscheinungsbild von „Das Flüstern der Felder“ mit inhaltlicher Relevanz füllen können. Es wäre eine wichtige Brücke gewesen zwischen der in aufwendiger Animationstechnik angedeuteten ländlichen Welt im Polen von vor über 100 Jahren und einer europäischen Gegenwart, in welcher derartig misogyn-traditionalistische Tendenzen erneut an Stärke zu gewinnen scheinen.
Eine verpasste Chance auf Relevanz
Leider bleibt dieser Aspekt des Films letztlich an der Oberfläche hängen und erreicht nicht die nötige Tiefe. Das liegt zu einem großen Teil an der Figurenzeichnung, welche insgesamt zu überzogen geraten und dadurch wenig glaubwürdig ist. Die dargestellten Charaktere wirken überwiegend wie stereotype Abziehbilder, welche ihre jeweilige Rolle innerhalb der vorurteilsbehafteten Dorfgemeinschaft erwartungsgemäß erfüllen, aber keine individuellen Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten sichtbar werden lassen. Das ist besonders in Bezug auf die zentrale Figur der Jagna schade, soll sie doch gerade jene Menschlichkeit verkörpern, an der es einer derart feindseligen Umgebung fehlt.
Grund für diesen Mangel an glaubhaften Figuren sind vor allem die Dialoge und ihre Inszenierung. Die Darsteller:innen werfen sich gefühlt ununterbrochen hochdramatische, bedeutungsschwangere Sätze entgegen, wodurch jener Facettenreichtum menschlicher Interaktionen und Zwischentöne verloren geht, welcher diese überhaupt erst spannend und interessant machen würde. Daraus resultieren Szenen, welche eher an rührselige Telenovelas denn an großes literarisches Kino erinnern.
Die schöne Oberfläche täuscht
Auch an der visuellen Gestaltung von „Das Flüstern der Felder“ lässt sich diese inhaltliche Oberflächlichkeit bei genauem Hinsehen erkennen. Sobald die initial unbedingt beeindruckende Wirkung der aufwendig erzeugten, animierten Ölbilder einmal nachlässt, erscheinen die animierten Bilder plötzlich ebenfalls glatt und alles in allem schlichtweg zu perfekt.
Auch wenn der Animationsfilm keinesfalls vor der Darstellung von Brutalität und Niedertracht zurückschreckt, letztlich wollen die Bilder doch immer gefallen, scheinen zurückzuschrecken vor Unansehnlichem. Selbst die überwiegend hart arbeiteten Menschen erscheinen stets perfekt herausgeputzt. Nichtsdestotrotz ist es wenn dann gerade die visuelle Oberfläche dieses Films, welche einen Kinobesuch überhaupt lohnenswert macht: Die Möglichkeit, sich den auf großer Leinwand wachsenden, ansehnlichen Pinselstrichen hinzugeben. Nur sollte man dann nicht zu tief eindringen.
Text: Carl Lehmann
Foto: Wilder Hochzeitsreigen: Gierig drängen sich die Männer des Dorfes, um mit der schönen Braut Jagna (Kamila Urzedowska) zu tanzen. ©PLAION PICTURES/Malgorzata Kuznik