Couragiertes im Kino

Das MOVE IT! Filmfestival für Menschenrechte macht Probleme des globalen Südens in Dresden sichtbar.

Am 9. November jährt sich zum 85. Mal die Reichspogromnacht, die einen ersten Höhepunkt der nationalsozialistischen Gewalt gegen Juden und Jüd:innen markierte. Am 9. November startet aber auch das 19. Internationale Filmfestival für Menschenrechte in Dresden, das MOVE IT!

Thematisch passend hat das MOVE-IT!-Team für den Eröffnungsabend „Nelly und Nadine“ von Magnus Gertten programmiert. Der Dokumentarfilm widmet sich der belgischen Opernsängerin Nelly Mousset-Vos und der chinesischen Widerstandskämpferin Nadine Hwang, die sich 1944 im Konzentrationslager Ravensbrück kennen- und lieben lernten.

Kommunikation im Vordergrund

Insgesamt steht das diesjährige MOVE IT! unter dem Motto Courage, das auf dem Festivalmotiv anhand von Morsezeichen verdeutlicht wird – eine universelle Sprache, die weltweit praktiziert wird. Und Kommunikation ist das, was den Festivalmacher:innen am Herzen liegt. Nicht umsonst planen sie für viele der Veranstaltungen Gespräche und laden Gäst:innen ein.

27 Dokumentar- und Spielfilme werden an sieben Festivaltagen gezeigt – von einer Familie im Jemen, die mit dem Alltag kämpft, bis zu einem Porträt über Reyhaneh Jabbari. Die junge Iranerin stach 2007 nach einem Vergewaltigungsversuch ihren Peiniger nieder und wurde dafür zum Tode verurteilt. „Sieben Winter in Teheran“ steht zusammen mit vier anderen Nominierten auf der Shortlist für den MOVE IT! Filmpreis für Menschenrechte, zudem gibt es den Nachwuchspreis bei MOVE IT! YOUNG.

Das Filmfestival für Menschenrechte wurde 2005 vom Aktionsgemeinschaft für Kinder- und Frauenrechte AKIFRA e. V., der sich eigentlich um Bildungsprojekte in Ostafrika kümmert, aus der Taufe gehoben, damals als Frauenfilmtage. Doch der Themenschwerpunkt wurde schnell erweitert. „Unsere Kernthemen sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. Das sind auch die Themen in unseren Filmen“, sagt Silvia Zimmermann. Sie wurde 1975 in Salzwedel geboren und kam 1993 fürs Studium nach Dresden. Schon bei der Gründung des Vereins AKIFRA im Jahr 2002 war sie dabei.

Seit 2015 leitet Silvia Zimmermann das Festival. Sie hat die dreiköpfige Auswahlkommission installiert, die aus etwa 40 Filmen die fürs Festival wertvollsten auswählt und die Shortlist für den MOVE IT! Filmpreis für Menschenrechte erstellt. Den vergibt wiederum eine internationale Jury.

Preisgeld als Anschubfinanzierung

Auch der Preis wurde 2015 eingerichtet und zunächst mit 2.000 Euro dotiert. Mittlerweile stiftet die Sächsische Staatskanzlei 5.000 Euro dafür. „Damit können die Filmemacher:innen ihre Schulden abbezahlen, weil sie ja auch privates Geld in ihre Filme stecken, oder neue Projekte anschieben“, erzählt Zimmermann. Eine Filmemacherin habe mal geschrieben, sie hätte mit dem Preisgeld Flüge in den Iran bezahlt.

Die Recherche des Teams beginnt jedes Jahr beim One World International Film Festival im März in Prag, dem größten Human-Rights-Filmfestival weltweit, das zudem durch ganz Tschechien tourt und einen Ableger in Brüssel hat. „Wir fahren meist mit großen Teilen des Teams dahin und teilen uns auf“, erklärt Zimmermann. „Dann bekommen wir schon eine thematische Orientierung und dadurch entstehen die ersten Ideen fürs Jahresthema.“

So kam es auch zum aktuellen Jahresthema Courage. „Es gibt viele Geschichten von Aktivist:innen, die sich in gefährliche Situationen begeben, um in ihren Gemeinschaften etwas zu verändern und um für Gerechtigkeit und Freiheit zu kämpfen. Und die Filmemacher:innen müssen ja auch den Mut haben, sich in diese Situationen hineinzubegeben und über diese Menschen Filme zu machen. Das zeigt für uns ein unglaublich couragiertes Handeln – auf beiden Seiten.“

Normalerweise zeigt das Festival Probleme im globalen Süden auf. Aber: „Das Thema Kriege rückt immer näher. Und es braucht couragierte Menschen, die angesichts dieser Situation etwas verändern“, sagt Silvia Zimmermann. Auch das Jahresthema 2022 „Right Here, Right Now“ machte das deutlich.

Weltweites Netzwerk

Seit 2019 ist das MOVE IT! Mitglied im Human Rights Film Network – in Deutschland sind das außerdem nur noch das Human Rights Film Festival Berlin und das Internationale Nürnberger Filmfestival der Menschenrechte. „Seitdem bekommen wir auch viele Filmeinreichungen.“ Etwa 100 Filme kommen so zusammen, die dann hauptsächlich von ehrenamtlichen Sichter:innen begutachtet werden, bevor eine Vorauswahl an die Auswahlkommission geht.

Beim MOVE IT! fest angestellt sind nur Silvia Zimmermann und ihre Kollegin Pauline Nuszkowski. Letztere ist seit 2020 für das Jugendfilmprogramm MOVE IT! YOUNG zuständig, das das ganze Jahr über Angebote macht – angefangen bei Projekttagen für verschiedene Alters- und Klassenstufen, bei denen auf Grundlage vom jeweils ausgewählten Film Themen spielerisch aufbereitet werden. Beim Sommercamp wiederum gibt es die Möglichkeit, zusammen mit Profis eigene Kurzfilme zu drehen – und diese vielleicht beim Nachwuchswettbewerb einzureichen. Dieser wird von einer hauseigenen Jugendjury ausgewählt, die Gewinner:innen werden während des MOVE IT! Filmfestivals bestimmt.

Außerdem bietet MOVE IT! seit 2022 ein Schulkinoprogramm an, das individuell während des Festivalzeitraums gebucht werden kann. Das Schulkino wird nur im Thalia-Kino durchgeführt, das Festival findet aber mittlerweile in fünf verschiedenen Spielstätten statt.

Perspektivwechsel durch Bildungsarbeit

Das MOVE IT! selbst ist nicht mehr auf den Festivalzeitraum beschränkt, sondern reist herum und veranstaltet über das Jahr verteilt Filmabende in ganz Sachsen. „Ich begreife das Festival als Bildungsprojekt. Aber ich mache mir nichts vor: Die Menschen, die montags bei den Spaziergängen dabei sind, kommen nicht zum Festival. Ich kann nur hoffen, dass die, die zu uns kommen, Multiplikator:innen sind. Und mit den Projekttagen von MOVE IT! YOUNG erreicht man vielleicht einen Perspektivwechsel bei den Kindern“, sagt Zimmermann. „Wir wollen deswegen aber auch vermehrt Bildungsarbeit im ländlichen Raum machen“, fügt sie hinzu.

Um mehr Menschen zu erreichen, denken Zimmermann, Nuszkowski und ihr Netzwerk von Freiberufler:innen zudem darüber nach, mehr Spielfilme ohne Untertitel zu zeigen – auch wenn das MOVE IT! eher ein Dokumentarfilmfestival ist. „Wir wollen reale Geschichten von Menschen zeigen. Aber mit Spielfilmen kann man die Leute eben anders an solch ein Thema heranführen.“

Auch um deutsche Untertitel für seine Filme bemüht sich das Festivalteam immer mehr, um Barrieren abzubauen. Was bei internationalen Produktionen nicht einfach ist, da in vielen Ländern nicht synchronisiert, sondern auf Englisch geguckt wird. Fürs MOVE IT! gibt es also noch einiges zu bewegen – auch nach 20 Jahren. Im ganz wörtlichen Sinne kann das aber schon mal beim alljährlichen Festivalkonzert umgesetzt werden. Dieses Mal sind für den Samstagabend im Thalia die Ukrainiens geladen.

Das Festival ist vom 9. bis 15. November im Thalia, dem Programmkino Ost, dem Zentralkino, der Filmgalerie Phase IV und erstmals auch dem studentischen Kino im Kasten zu Gast.

Text: Nadine Faust

Zum Foto: Das MOVE IT! 2023 steht unter dem Motto Courage.

Foto: Amac Garbe

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