Auch das Filmfestival Cottbus hat es erwischt. Die 30. Ausgabe des Festival of East European Cinema sollte Anfang November über Cottbuser Leinwände und heimische Bildschirme flimmern, dann kam der Lockdown light. Voller Hoffnung wurde das Filmfestival um einen Monat verschoben, doch auch das brachte leider nichts. Einen Vorteil hat die Lage aber: Weit mehr als 100 Filme sind bis zum 31. Dezember noch im Onlinestream zu sehen.
Starke Frauenfiguren
Im Wettbewerb Spielfilm etwa ist die litauisch-irische Produktion „The Castle“ von Lina Lužytė zu sehen. Im Mittelpunkt stehen drei Generationen starker Frauen aus Litauen, die sich in der irischen Realität zu behaupten versuchen. Allen voran die 13-jährige Monika, die von einer Musikerinnenkarriere zusammen mit ihrer Mutter Jolanta träumt, während letztere versucht, die Familie mit einem Job in der Fischfabrik über Wasser zu halten. Und schließlich müssen beide noch auf die demente Großmutter aufpassen. Besonders überzeugend spielt das die junge Hauptdarstellerin Barbora Bareikytė, die Monika verkörpert. Geradezu besessen schmiedet sie einen Plan, wie sie ihre Träume doch noch verwirklichen kann.
Starke Frauen sind auch die beiden Hauptfiguren des russischen Films „Bohnenstange“ von Kantemir Balagov, der in der Sektion Close Up WW II zu sehen ist. Der Film hat bereits mehrere Preise eingeheimst, u. a. bei den Filmfestspielen in Cannes 2019. Zu Recht. Denn Viktoria Miroshnichenko und Vasilisa Perelygina geben den Nachkriegsmonaten in Leningrad ein menschliches Gesicht. Das wurde im 2. Weltkrieg zweieinhalb Jahre lang von Nazideutschland und seinen Verbündeten belagert, bis zu eine Million Menschen verhungerten. Am Ausgang des Krieges ist die Lage aber immer noch prekär. „Bohnenstange“ Ija leidet unter einem Kriegstrauma und verfällt regelmäßig in Schockstarre, mit fatalen Folgen. Denn als ihre Freundin Masha von der Front kommt, ist ihr kleiner Sohn tot. Schuld und Sühne, Liebe und Abhängigkeit verschmelzen, ohne zu erdrückend zu werden. Auch visuell ist dieser Film ein Genuss.
In der gleichen Sektion beheimatet und ebenfalls mit einem Preis in Cannes dotiert: „The Valley of Peace“ von France Štiglic aus dem Jahre 1956, dessen Hauptdarsteller John Kitzmiller 1957 als erster afroamerikanischer Schauspieler einen Preis als bester Darsteller in Cannes gewann. Als US-Pilot Jim kämpft er sich mit dem verwaisten deutschstämmigen Mädchen Lotti und dem ebenfalls elternlosen slowenischen Jungen Marko durchs slowenische Hinterland, auf der Suche nach dem titelgebenden „Tal des Friedens“. Ein Antikriegsfilm, der ans Herz geht.
Grenzgänge
Für Diskussionen sorgte vor gut zwei Jahren der Dokumentarfilm „Lord of the Toys“. Zunächst beim DOK Leipzig, dann u. a. auch bei Diskussionsrunden in Dresden. Hier, wo der YouTuber Max Herzberg zu Hause ist und mit seinen Freunden in den sozialen Medien rechtes Gedankengut verbreitet. Unkommentiert würde Regisseur Pablo Ben-Yakov dies abbilden, so der Vorwurf. Aber doch mit reichlich Subtext, möchten aufmerksame Zuschauer:innen meinen. In der Sektion Stau 1990/2020 angesiedelt, ist nun kein direkter Austausch im Kino möglich. Diskussionsformate und Q&As hat das Filmfestival Cottbus trotzdem im Programm, die auch über den Jahreswechsel hinaus online verfügbar sind.
Von Grenzgängen handelt auch die Sektion Von Frust und Freiheit. Unter dem gleichen Titel kooperiert das Filmfestival Cottbus zudem mit dem Johannstädter Kulturtreff in Dresden, der bis Februar vier Filme zu diesem Thema kostenfrei online zeigt (nach Anmeldung). Wer in diesem Zusammenhang „Grenzland“ von Andreas Voigt verpasst hat, der kann bis 31. Dezember für 3,99 Euro noch im Rahmen des Filmfestival Cottbus in der Grenzregion zwischen Deutschland, Polen und Tschechien auf Reise gehen. Doch auch weit darüber hinaus gen Osten könnt Ihr mit den verschiedenen Sektionen und Filmen des Festivals Grenzen überschreiten und Mauern im eigenen Kopf einreißen.
Text: Nadine Faust
Foto: Amac Garbe
Zum Foto: Ursprünglich auf den 8. bis 13. Dezember verschoben und mit Vorstellungen in den Cottbuser Kinos geplant, ist das Filmfestival Cottbus nun „dank Corona“ noch bis 31. Dezember 2020 online erlebbar.
Transparenzhinweis: Die Autorin des Textes ist selbst für das Filmfestival Cottbus tätig.