Filmtipps des Monats II: „Helden der Wahrscheinlichkeit“ und „Schachnovelle“

So lange musste die Filmbranche darauf warten, wieder in die Kinos zu dürfen, dass sich die herausragenden Streifen jetzt quasi die Kinokarte in die Hand geben. Wir stellen Euch zwei weitere Filmperlen des Monats September vor.

Helden der Wahrscheinlichkeit

Der Zufall kann ein Arsch sein. Da fahren Emma und Tochter Mathilde mit der Bahn statt mit dem zugegebenermaßen kaputten Auto und Emma überlebt es nicht. Ein Zugunglück reißt die Mutter der Teenagerin aus dem Leben. Oder war es doch kein Unfall? Die recht stichhaltigen Gedankengänge von Mathematiker Otto, der ebenfalls im Zug saß, überzeugen Witwer Markus, dass es sich um einen Anschlag handelt. Die kriminelle Bande „Riders of Justice“ könnte so einen unliebsamen Zeugen aus dem Weg geräumt haben. Markus kann nun seine Trauer kanalisieren und Rache üben – und die wird gnadenlos sein.

Der dänische Regisseur Anders Thomas Jensen hat schon mit seinen Vorgängerfilmen wie „Adams Äpfel“ oder „Dänische Delikatessen“ Kultstatus erreicht. Nun legt er mit „Helden der Wahrscheinlichkeit“ wieder einen Film nach, der seinem Ruf alle Ehre macht. Gewohnt schwarzhumorig kommt der neueste Film mit Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas und Nicolas Bro daher, wobei dem Film eine der elementarsten Fragen unseres Lebens zugrunde liegt: Wie mit dem Tod eines geliebten Menschen umgehen?

Mikkelsen mimt den trauernden Ehemann Markus in seinem anfänglichen Sto­i­zis­mus, der in kontrollierte Wut und schließlich in kurzzeitigen Kontrollverlust mündet, absolut überzeugend. Er bildet den Kontrapunkt zu seinen schrulligen und liebenswürdigen Helfershelfern, die ihr Herz auf der Zunge tragen. Eine gelungene Mischung aus ernstem Thema und mitunter bitterbösem Humor, die trotz ihrer abstrusen Elemente und kleinen Ungereimtheiten glaubhaft ist. Beste Kinounterhaltung!

Schachnovelle

Eine andere existenzielle Frage wirft unser zweiter Kinotipp auf: Was muss einem Menschen passieren, damit er in den Wahnsinn abgleitet? In Depressionen oder Selbstmordgedanken? Während Stefan Zweig erstere Frage 1942 mit seinen Manuskripten zur „Schachnovelle“ literarisch beantwortete, folgte zur zweiten nur kurz darauf die Tat. Am 21. Februar gab Zweig die Manuskripte in die Post, in der Nacht vom 22. auf den 23. Februar 1942 begingen er und seine Frau in Brasilien Selbstmord. Acht Jahre zuvor hatten sie Österreich verlassen, doch die Umstände in Europa machten ihnen massiv zu schaffen – so sehr anscheinend, dass sie nicht mehr leben wollten.

Philipp Worm und Tobias Walker, die Produzenten des Films, haben zusammen mit Drehbuchautor Eldar Grigorian an Zweigs Stoff gefeilt und einen Twist gefunden, der Kenner:innen der „Schachnovelle“ überraschen wird. Im Zentrum steht nach wie vor Dr. Josef Bartok, der mit Frau Anna ein mondänes Leben in Wien führt. Der Einmarsch der Nazis scheint weit entfernt, doch plötzlich ist es soweit und Bartok rät in Gefangenschaft. Im Hotel Metropol soll er als Vermögensverwalter des Adels den Zugang zu den Konten freigeben. Sein Gegenspieler: Gestapo-Leiter Franz-Josef Böhm. Bartok bleibt standhaft und kommt dafür im eleganten Hotel in Isolationshaft. Von der Außenwelt völlig abgeschottet, gelangt er schließlich an ein Schachbuch und flüchtet sich ins Spiel.

Beginnt der Film in lichtdurchfluteten Räumen, so wird er nach und nach düster, so wie sich Bartoks Welt verdunkelt und in Nebel hüllt, bis sie zu einem klaustrophobischen Kammerstück verdichtet wird. Die Bildwelten des Regisseurs Philipp Stölzl und des Kameramanns Thomas W. Kiennast sind so bedrückend, dass man mit Bartok mitleidet und es für die Zuschauer:innen tatsächlich unangenehm wird. Dazu tragen im Besonderen aber die beiden Kontrahenten bei, die von Oliver Masucci als Bartok und Albrecht Schuch als Böhm verkörpert werden. Sie liefern sich im wahrsten Sinne des Wortes ein Duell, das absolut sehenswert ist.

Text: Nadine Faust

Zum Titelfoto: Gekommen, um sich zu beschweren: Die Unglücksvögel um Hollywoodstar Mads Mikkelsen und Filmtochter Andrea Heick Gadeberg bewaffnen sich gegen das Schicksal.

Foto: © 2020 Zentropa Entertainments3 ApS & Zentropa Sweden AB

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