Ob mit oder ohne Corona, Kunst belebt. Und so findet sich auch im Oktogon, der Kunsthalle der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Kunst in Hülle und Fülle oder auch: in Stein und Luft. 36 Diplomandinnen und Diplomanden geben Einblick in ihre Werke.
Bereits im ersten Raum wird man umspült von Erika Richters „Erosionen“, die wie Wellen anmuten und sich in ihrer Größe steigern. In der Mitte thront Victoria Kurnickis „Immer nur eine Annäherung“, eine handgeschriebene Abhandlung über ihr Schaffen, die über den Betrachtenden hängt und die man von vorn und mittels Spiegeln auch von hinten lesen kann. Die Reflexion einer Reflexion. Abgegrenzt mittels eines Vorhangs kann man Karla Kreys Installation „Planetarium“ genießen, bei der man tatsächlich auf dem Boden sitzt und in den Himmel guckt. Doch statt Sternen erwarten den Zuschauenden Geldstücke, die angeordnet wurden. Dazu gibt es einen gesprochenen Text über die Entdeckung des Sonnensystems und die Frage, was ein Planet ist. Wie hoch ist der Preis, den wir für Fortschritt zahlen? Und inwieweit beeinflusst ein Glaubenssystem unser Handeln? Was passiert, wenn wir dieses System aufbrechen, indem wir z. B. die Definition eines Planeten verändern? Fragen, über die man auf einem Sitzsack gut sinnieren kann.
Im Raum verteilt ist dagegen Willy Schulz’ Installation „Passive Aggresive“, die nicht nur eine Schlachtwanne und einen bunten (Kampf-)Hund zeigt, sondern auch eine Aufstellung von Sicheln mit einer Bomberjacke. Und tatsächlich lösen die Objekte nur durch ihre Anwesenheit Unwohlsein im Kopf aus.
Der Weberei widmet sich Nadine Glas. „Seeking the spheres to connect them“ zeigt hintereinander aufgestellte Rahmen, in die Formen gewebt sind. Je nach Blickwinkel ergeben sich andere Objekte und es liegt am Betrachter selbst, Verbindungslinien zu ziehen. Mächtig wird es bei Philipp Putzers „FF (Final Form)“: Betonschalen in vielen Größen, einige kann man sogar im Foyer erwerben. Was aussieht wie eine riesige Bonbonschale für das heimische Wohnzimmer, ist ein Ergründen von Raum und der namensgebenden Form.
Stefan Schleupner hat in „Diplom Studium F1“ eine Kunst-Mach-Maschine kreiert, die Linien auf eine riesige Papierrolle zeichnen kann, während an den Wänden Ergebnisse des Prozesses hängen. Kann etwas so Beruhigendes reiner Zufall sein? Oder ist es ein mechanischer Algorithmus, eine gleichmäßige Abfolge mit vorhersehbar zufälligem Ausgang?
Katina Ranks „All At Once“ arbeitet ebenfalls mit Brüchen – dem ruhigen Rauschen eines Baches, das auf eine Holzkonstruktion projiziert wird, während auf einem anderen Würfel ein Kreisel zu sehen ist. Zu viel Ruhe kann also wiederum Un-Ruhe erzeugen. Den Elefanten im Raum oder auch den Vulva-Badteppich an der Wand bestaunen kann man in Caroline Petris Installation „Insideout“. Rosa Schränkchen stellt sie babyblauen Fläschchen gegenüber und hinterfragt so Geschlechterklischees.
Felix Ermacoras „Implossion“ mag für Zuschauende mit empfindlichen Ohren unangenehm metallisch klingen, doch das Kunstwerk fasziniert mit seiner Greifbarkeit. Während bei anderen Klang-Installationen Töne aus dem Nirgendwo hervorwabern, kombiniert Ermacora diese mit simplen weißen Wänden, aus denen Drähte hervorstechen.
Das scheinbar digitalste und gleichzeitig analogste Kunstwerk hat Deborah Geppert kreiert. „Interconnected“ zeigt eine Frau in Computeroptik, die mittels Bildschirmen in ein Prisma projiziert wird. Im Raum angeordnet sind Äste und Kacheln mit Blumen. Fast fühlt man sich in einem dystopischen Film und fragt sich gleichzeitig, wie wir die Natur in das Digitale integrieren. Oder integriert sie sich selbst?
Doch auch wenn die gegenständlichen Kunstwerke dominieren, gibt es auch für Bewundernde „klassischer“ Ölmalerei etwas zu bestaunen: Leo-Constantin Fischers Werke aus der Serie „Menschen für das 22. Jahrhundert“ zeigen Figuren, die in Zimmern stehen. Bereiten sie sich auf die Zukunft vor oder existieren sie bereits in ihr? Schön und beruhigend hängen die Bilder an der Wand und lassen den Betrachtenden in sich versinken.
Die diesjährige Diplomausstellung ist das, was man von studierten Kunstschaffenden erwartet: Gesellschaftskritisch, ein bisschen politisch, ein bisschen feministisch. Und ein bisschen Ergründen der Welt, die uns umgibt, und der Mittel, mit denen wir uns ausdrücken. Ein vielseitiger Spaziergang durch das Schaffen junger Künstler.
Die Ausstellung ist noch bis zum 1. November geöffnet, Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr. Der Eingang befindet sich am Georg-Treu-Platz 1, schräg gegenüber dem des Albertinums. Der Eintritt beträgt fünf, ermäßigt 3,50 Euro.
Text: Vivian Herzog
Zum Foto: Willy Schulz „Passive Aggresive“
Foto: Amac Garbe