„Hattet Ihr in der DDR eigentlich Fahrräder?“
Das habe ich meine Eltern wirklich mal gefragt. Gut, ich war noch klein und die DDR für mich Geschichte, also das Gleiche wie Steinzeit und Mittelalter. Und dass meine Eltern Fahrräder und Autos hatten, das weiß ich heute. Aber ich habe das Gefühl, immer noch nicht viel mehr von ihrem Leben zu wissen.
Meine Eltern sind in der DDR geboren und aufgewachsen, beide in Sachsen. Mein Vater kam 1961, im Jahr des Mauerbaus, auf die Welt, meine Mutter ein paar Jahre später. 30 Jahre haben sie in der DDR gelernt und gearbeitet, geliebt und gelitten. Meine Eltern sind Zeitzeugen. Jeden Tag könnte ich sie ausfragen und etwas über meine Familie lernen, über die DDR, über Ostdeutschland.
Aber ich tue es nicht. Mein Wissen über ihr Leben in der DDR beschränkt sich auf Anekdoten. Wie meine Mutter bei SED-Parteisitzungen einschlief, weil sie direkt von der Schicht in der Kinderklinik kam. Wie mein Vater im NVA-Chor Lieder von Gundermann sang. Ich weiß, dass meine Eltern 1989 auf der Straße waren, aber nicht wo und wann. Ich weiß auch, dass meine Eltern ihre Stasi-Akten nicht sehen wollen. Warum? Hm.
Es ist nicht so, dass meine Eltern nicht von früher reden wollen. Das Problem ist, dass ich nicht frage. Lange Zeit fand ich Geschichte langweilig. Und jetzt, wo ich mich so sehr für die Wende interessiere wie nie, durchwühle ich eher meine Podcast-App und alles von saechsische.de bis Zeit im Osten oder bestelle mir Bücher wie dieses oder jenes, statt einfach mal mit meinen Eltern zu reden. Dabei interessiert mich so viel.
Mama und Papa, wie war Eure Jugend in der DDR? Wie gern seid Ihr in die Schule gegangen? Was waren Eure Lieblingsfächer? Wie habt Ihr Euch für einen Beruf entschieden? Ging das überhaupt? Wie hat es in FDGB-Heimen gerochen? Was habt Ihr am Wochenende gemacht? Wie hat sich die DDR angefühlt? Habt Ihr Euch oft in den Westen gesehnt? Was habt Ihr im Oktober und November 1989 gemacht? Wie habt Ihr den Mauerfall erlebt und wie die Treuhand? Und das sind nur die Fragen, die mir spontan beim Tippen eingefallen sind. Ich will sie meinen Eltern stellen. Jetzt. Sofort.
Oft heißt es, von der DDR gäbe es nur zwei Narrative: das Narrativ der Opfer und das Narrativ der Verfechter. Aber zu Ostdeutschland gehören auch die Geschichten der normalen Leute, die in der DDR einfach nur ein gutes, ja unauffälliges Leben führen wollten – und das auch geschafft haben. Plötzlich mussten sie das unter ganz neuen Bedingungen in einem ganz neuen System fortsetzen. Es sind Leute, die sich wohl fühlen in der liberalen Demokratie. Die aber auch den Satz „Früher war das besser.“ über die Lippen bekommen.
Meine Eltern sind solche Leute. Ich will ihre Geschichte erzählen können.
Text: Luise Martha Anter
Foto: Amac Garbe