CDU und FDP wollen, dass auf dem Zelleschen Weg im Dresdner Süden mehr Platz für Autos eingeräumt wird als von Rot-Rot-Grün vorgesehen. Es drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass es ihnen nur um Symbolpolitik geht. Gute Argumente fehlen fast gänzlich.
Und wieder hat Dresden eine der geliebten Verkehrspossen. Und erneut wird ein riesiges Politikum draus, welches Massen bewegt. Die Fridays-for-Future-Bewegung verlegte Mitte April eigens ihre Demonstrationsroute mit mehr als 1.000 TeilnehmerInnen auf den Campus, der Studentenrat (StuRa) schaltete sich via Presseerklärung ein und eine Podiumsdiskussion Anfang dieser Woche mobilisierte mehr als 400 Studis. Am Mittwoch fand erneut eine Demo am Zelleschen Weg statt. Was ist da los?
Im Jahr 2016 entschied die damalige rot-rot-grüne Stadtratsmehrheit über den Bebauungsplan für eine Neugestaltung des Zelleschen Weges. Der Bau wird notwendig, weil die sogenannte Stadtbahn 2020 gebaut werden soll: eine Straßenbahn, die von Striesen über die Südvorstadt nach Löbtau führen und die überfüllte Buslinie 61 langfristig ersetzen soll. Als Favorit kristallisierte sich für genannte Parteien eine Variante heraus, die breitere Radspuren als heute vorsieht und welche die derzeit bestehenden zwei Autofahrstreifen je Richtung durch eine überbreite Spur, auf der dennoch zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikommen, ersetzt.
Genau an diesem Punkt stoßen sich die Fraktionen von CDU und FDP, welche bereits 2016 gegen Rot-Rot-Grün gestimmt haben. Sie favorisieren eine Alternative, welche ursprünglich auch der Favorit der Stadtverwaltung war und die etwas schmalere Fahrradspuren sowie zwei vollständige Fahrstreifen für Autos vorsieht. Daher legten beide Parteien Anfang April im Ortsbeirat Plauen ihr Veto gegen die Variante von Rot-Rot-Grün ein, was bedeutet, dass die 2016 diskutierten Varianten wahrscheinlich erneut auf die Tagesordnung im Stadtrat kommen. Sollte von diesem, welcher in gut zwei Wochen neu gewählt wird, durch neue Mehrheitsverhältnisse tatsächlich eine andere Variante präferiert werden, muss mit der Planung noch mal von vorne begonnen werden.
So weit, so unspektakulär. Es klingt nach einem recht langweiligen Streit und nach Haarspalterei – doch das ist ein falscher erster Eindruck. Es geht um viel mehr. Man könnte gar den Eindruck bekommen: um alles.
Doch auch der Beginn der eingangs erwähnten Podiumsdiskussion, welche auf Einladung des StuRas und der Sächsischen Bibliotheksgesellschaft im Potthoff-Bau der TU Dresden stattfand, war recht unspektakulär. Die Diskutanten – David Färber, Referat Mobilität des StuRas, Johannes Lichdi von Bündnis 90/Die Grünen, Gunter Thiele von der CDU sowie Prof. Udo Becker, Lehrstuhlinhaber für Verkehrsökologie an der TU Dresden – markierten zunächst ihre eigenen Standpunkte. Moderator Eric Hattke, Vertreter der Sächsischen Bibliotheksgesellschaft, konnte sich entspannt zurücklehnen.
Ins Pedantische drohte die Diskussion allerdings abzurutschen, als es um die für den Bau der Straße nicht unbedeutende Prognose für den Verkehr auf dem Zelleschen Weg ging. Johannes Lichdi beharrte auf der Aussage, dass im Jahr 2030 mit 22.000 bis 24.000 Autos pro Tag rund fünf Prozent weniger Fahrzeuge als heute den Zelleschen Weg benutzen würden. Gunter Thiele warf ein, dass neueste Prognosen eher 26.000 Fahrzeuge vermuten.
Prof. Udo Becker erlöste die ZuhörerInnen, indem er betonte, dass es eben von der jeweiligen Verkehrspolitik abhinge, besser: von der Stadt, die sich die BürgerInnen wünschen, und wie viele Autos noch in den Städten bzw. konkret auf dem Zelleschen Weg fahren. Er könne sich vorstellen, dass nur noch 15.000 Autos diese wichtige Transitstrecke benutzen. Es sei aber bei einer anderen Politik auch möglich, dass es 35.0000 sind. Menschen würden, so Prof. Becker, ebenjene bequemen Strukturen nutzen, die ihnen angeboten werden. „Die Zukunft ist unsicher“, betonte er.
Auto oder Fahrrad?
Die Frage lautet also, wie bequem man es AutofahrerInnen machen will. Johannes Lichdi betonte allerdings, dass die von SPD, Linken und Grünen präferierte Variante keinerlei Nachteile für den Autoverkehr hätte, da es nur an den Knotenpunkten, den Kreuzungen, relevant sei, wie viele vollständige Fahrspuren es gebe. Und dort unterscheiden sich die zur Diskussion stehenden Alternativen eben nicht. Verkehrswissenschaftler Becker bestätigte Lichdis Auffassung. Untersuchungen hätten ergeben, dass es für den Verkehrsfluss irrelevant sei, ob nun eine überbreite oder zwei Fahrspuren existieren.
Gunter Thiele wies diese Auffassung zurück und betonte, dass vier Prozent des Verkehrs auf dem Zelleschen Weg Schwerverkehr sei, wobei der Verkehrsstrom mit zwei Fahrspuren besser gewährleistet wäre. Zudem würde die CDU die Interessen aller DresdnerInnen vertreten. Und diese führen eben nicht aus Jux und Tollerei mit dem Auto, sondern würden ihre Entscheidung heutzutage sorgsam abwägen. „Jede Fahrt hat ihren Sinn“, sagte Thiele. Die Heiterkeit des Publikums ob dieser Aussagen war ihm gewiss.
Als endlich über die Nachteile der beiden Varianten diskutiert wurde, erntete Thiele fast nur ungläubiges Kopfschütteln. Denn die CDU/FDP-Variante würde nicht nur schmalere Fahrradwege bedeuten – und das obwohl die Präferenz von Rot-Rot-Grün mit der Regelbreite für Radwege plant –, sondern wahrscheinlich auch den Wegfall des Walls samt der riesigen Lindenbäume vor der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB). Diese hatte sich deswegen in einer Stellungnahme gegen die Ideen von CDU/FDP gewandt. Zudem, so musste Thiele zugeben, ist die Variante von Schwarz-Gelb zirka fünf Millionen Euro teurer.
Eine Loose-loose-Variante also? Der CDU-Mann geriet mächtig in die Defensive und bot daraufhin an, „dass man ja noch mal von vorne planen könnte“. Er persönlich hätte zudem nichts gegen breitere Radwege, als die präferierte Variante bisher vorsieht, dies müsse allerdings in den betreffenden Fraktionen diskutiert werden. „Ich werde mich dafür persönlich einsetzen, dass noch mal völlig neu gedacht wird“, beteuerte Thiele. Breitere Fahrradspuren wären dann aber das garantierte Ende des Walls. „Dies müsste man dann auch gegen den Willen der SLUB durchsetzen“, so Thiele. Johannes Lichdi warf ein, dass sie dem Autoverkehr bewusst zwei Meter nehmen wollen, um den Wall zu erhalten. „Unsere Idee schadet keinem, nützt allen, daher soll sofort diese Variante gebaut werden.“
Man bekam den Eindruck, dass es CDU und FDP bar jeglicher Vernunft tatsächlich nur um Symbolpolitik geht – ganz so, wie die AktivistInnen von Fridays for Future sowie der Studentenrat es den beiden Parteien vorwerfen.
StellvertreterInnendebatte an der Uni
In einer Stellungnahme hatte sich auch der StuRa zuvor klar gegen die Ideen von CDU und FDP ausgesprochen. Wieso, dass erklärte David Färber auf dem Podium. „90 Prozent der Studis nutzen den Umweltverband aus ÖPNV, Fahrrad und Fußweg. Der StuRa ist der Interessenvertreter der Studierenden und deswegen ist es klar, dass wir für die Variante von Rot-Rot-Grün sind, welche die Interessen der Studis besser abdeckt.“ Zudem sei er gegen eine Neuplanung wie von Thiele angeboten, denn das würde den Bau unnötig lange hinauszögern. „Die CDU/FDP-Variante berücksichtigt eine Fahrradbreite für geringen Radverkehr.“ Davon könne auf dem Campus ja nun wirklich keine Rede sein, machte der gut vorbereitete Färber deutlich.
Genau diese Positionierung hatte der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) und die Liberale Hochschulgruppe (LHG) dem StuRa im Vorfeld der Diskussion vorgeworfen. Der StuRa und die TU-Umweltinitiative hatten am 26. April per Mail eine Pressemitteilung an alle Studierenden versandt, um auf die aus ihrer Sicht falsche Verkehrspolitik von CDU/FDP aufmerksam zu machen. RCDS und LHG warfen dem StuRa daraufhin „Wahlkampf für Rot-Rot-Grün“ vor und forderten eine „Richtigstellung“.
Doch auch Prof. Hans Müller-Steinhagen hatte sich klar für die Variante von Rot-Rot-Grün ausgesprochen: „Als Rektor der TU Dresden unterstütze ich die Argumentation des Studierendenrates und appelliere an die Mitglieder des Stadtrats, für die ursprüngliche Planung zu stimmen und sich damit für die Sicherheit der 45.000 Beschäftigten und Studierenden der TU Dresden einzusetzen.“ Mit „Sicherheit“ meint der Rektor die Sicherheit der Radfahrer, die auf breiteren Wegen natürlich besser gewährleistet ist.
„In welcher Stadt wollen wir leben?“
Prof. Becker brachte in der Diskussion noch eine andere Dimension ins Spiel. Eine, die weg vom Zelleschen Weg ins Grundsätzliche führt. Seine Frage: „In welcher Stadt wollen wir leben?“ In einer „autogerechten Stadt“, so wie die Städte bisher gestaltet waren? Oder in einer „lebenswerten Stadt“, in welcher die Aspekte Ruhe, Sicherheit, Umwelt sowie die Vermeidung von Schadstoffen wie CO2 eine wichtigere Rolle einnehmen? Dass, so Prof. Becker, sei „eine Entscheidung, die wir alle unter anderem bei den Wahlen Ende Mai treffen“. JedeR PolitikerIn wisse, dass eine Verkehrswende nötig sei, welche den Autoverkehr zu großen Teilen aus den Städten verbannt. Allerdings hätten viele PolitikerInnen Angst vor dem Unmut der WählerInnen. Und dennoch betonte er: „Wir brauchen eine neue Philosophie in der Verkehrspolitik.“ Jedes Auto würde innerhalb seiner Nutzungsdauer Kosten von durchschnittlich 2.000 Euro durch Umwelt- und Gesundheitsschäden am Menschen verursachen, welche der Halter selbst nicht trägt. „Die Zeit ist reif, mit der Subventionierung der AutofahrerInnen auf Kosten der Gesellschaft ein Ende zu machen“, betonte der Professor für Verkehrsökologie mit Nachdruck.
„Verkehrswende“ war offensichtlich das richtige Stichwort: Prompt erntete der Experte begeisterte und lang anhaltende Zustimmungsbekundungen aus dem Saal. Lichdi, Färber, Prof. Becker und der Großteil der anwesenden Gäste waren sich einig. CDU-Mann Thiele hielt sich dagegen freundlich schauend zurück.
Text: Martin Linke
Foto: Amac Garbe
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