Campuskolumne

Gelbe Westen, grüne Schilder, Europafahnen, wütende „Bots“, schwarzer Block gegen einen braunen Mob … Viva la revolución?! Wird 2019 das Jahr des Umbruchs?

Herrschaft der Konzerne? Kapitalistische Diktatur? Lobbypolitik? Vorwürfe gegen die deutsche Regierung und Demokratie gibt es schon seit Jahren. Einige BürgerInnen hinterfragen, wie demokratisch dieses Land ist und inwieweit überhaupt noch mitbestimmt werden kann – also nicht nur von ExpertInnen, Unternehmen und optimalerweise WissenschaftlerInnen, sondern von uns. Deutschland und vor allem Sachsen ist in den vergangenen Jahren geprägt von einem Rechtsruck, der einmal quer durch die Gesellschaft ging und geht. Er brachte Pegida und Wahlerfolge der AfD hervor sowie Nazi-Partys wie das „Schild und Schwert“-Festival, das eine beängstigende Anzahl gewaltbereiter Neonaziakteure an einem Ort versammelte und eine Art Vernetzungstreffen darstellte. Solche dystopisch anmutenden Situationen konnten zwar nicht verhindert werden, doch stellen sich zum Glück viele Leute dagegen. In Dresden gab es im vergangenen Jahr über 10.000 GegendemonstrantInnen am Pegida-Jahrestag und die BürgerInnen waren verständlicherweise wütend, dass ihre Stadt eine Fläche für rechtes Gedankengut bietet. Die Berliner „unteilbar“-Demo im Oktober 2018, die sich klar gegen Rassismus positionierte, zählte sogar unglaubliche 240.000 Teilnehmer. Es wurde laut von rechts und links. Die „Mitte der Gesellschaft“ scheint immer mehr ein Mythos zu werden.

Wie bei jeder Revolution sind die Ursprünge der Handlungen schon über einen längeren Zeitraum nachzuvollziehen. Einige Bewegungen starteten erst 2018, andere schon viel eher. 2019 scheint das Jahr zu sein, in dem sich alle treffen. Forderungen, Umbruchswünsche, laute BürgerInnen und verschiedene Bewegungen. Die Proteste gegen ein neues Polizeigesetz wurden in mehreren Bundesländern, auch in Sachsen, laut. In München gingen über 30.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Reform des Gesetzes ihr Gesicht zu zeigen, denn sie befürchten die Einschränkung der Grundrechte. Exemplarisch zeigt sich in Sachsen bei der Protestbewegung eine interessante Entwicklung: Die DemonstrantInnen setzen sich aus verschiedenen Bündnissen, Vereinen, Parteien, Gruppen und Einzelpersonen zusammen: Neben Linken, Jusos und Grünen schlossen sich beispielsweise auch der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e. V., Amnesty International ebenso wie verschiedene Fußballfangruppen und viele mehr den Demos an. Aus vielen Richtungen schallt Kritik und heute soll das Gesetz verabschiedet werden.

Auch die großflächigen Proteste gegen Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform und die damit verbundenen Uploadfilter lockten die verschiedensten Menschen auf die Straße. Vor allem junge Leute wurden laut, unter anderem auch provoziert durch Aussagen, die unterstellten, dass die zahlreichen Beschwerde-Mails gegen die Reform von Bots kämen. Es ist die Rede von der Generation YouTube, die sich von CDU, CSU und SPD abwendet. Selbst Wikipedia schaltete sich für einen Tag aus Protest ab. Und das Ende von flammenden Gegenreden und Demos ist, dass es dieses Gesetz dennoch geben wird. Entgegen den Festlegungen des Koalitionsvertrags. Beschwichtigende Worte an die ProtestantInnen schienen niemanden zu beruhigen.

Auf die Straße zieht es (vor allem) die Jugend auch wegen eines anderen Themas: der Klimawandel. Mit Greta Thunberg startete die weltweite „Fridays For Future“-Bewegung, die am 29. März in Berlin von der Aktivistin selbst und über 25.000 SchülerInnen besucht wurde, bundesweit beteiligten sich zwei Wochen zuvor über 300.000 Menschen. Die Kinder und Jugendlichen fordern PolitikerInnen auf, den Klimaschutz ernst zu nehmen und sich der brachialen Folgen, die er haben wird, bewusst zu werden. Antworten der Politik? Linke und Grüne solidarisieren sich mit den „Fridays For Future“-Demos. Christian Lindner machte sich mit der Aussage, Klimaschutz sollen die SchülerInnen doch bitte den Profis überlassen, unbeliebt. Die CDU steht den Protesten auch kritisch gegenüber. Peter Altmaier beispielsweise deutet sogar an, dass einige der DemonstrantInnen nur den Mathestunden entkommen wollen. Als er auf einer der Demos erschien, erschallten Sprechchöre wie „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut!“. Anschließend sprach er nur mit Presseleuten. Niemand in der Führungsriege scheint sich des Problems ernsthaft anzunehmen, denn bisher gibt man sich langsam und träge, wenn es um umweltschonende Maßnahmen geht. Es ist kurz vor den Europawahlen und die deutschen DemonstrantInnen, egal warum sie protestieren und mit welchem Hintergrund, dürften sich ungehört fühlen. Hunderttausende gingen dieses Jahr in Deutschland bereits mehrmals auf die Straße … und wo bleibt die große Veränderung? Das große Einlenken? Das lässt auf sich warten. Wie hoch kocht nach den enttäuschenden Reaktionen seitens der Politik die Stimmung, vor allem bei den jungen Menschen, noch? Wann ist das Fass zum Überlaufen voll? Es scheint momentan eine Gratwanderung zu sein und jedes neue Gesetz, jede Reform, von der wir vielleicht noch nichts wissen, könnte das Zünglein an der Waage sein.

In ganz Europa brodelt die Stimmung. 700.000 Personen protestierten im vergangenen Oktober in London gegen den Brexit und für ein gemeinsames Europa. Obwohl das die zweitgrößte Demonstration des Jahrhunderts darstellte, zieht sich der Brexit mit all seinen Unklarheiten hin, bis zum heutigen Tag. Auch in Frankreich ist es nicht still. Lange nichts mehr von der Gelbwestenbewegung gehört? Es gibt sie noch und erst Ende März gab es wieder eine große Demonstration in Paris mit 10.000 Menschen und heftigen Ausschreitungen. Emmanuel Macrons Politik und soziale Ungerechtigkeiten brachten Hunderttausende Menschen zum Demonstrieren. Dabei wurden Läden und Autos angezündet und zerstört, auch die Polizei lieferte sich mit den DemonstrantInnen harte Auseinandersetzungen. Die Polizei arbeitete mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Protestierenden. Dabei verloren bisher 14 Personen das Augenlicht und 1.700 Menschen wurden verletzt. Auch habe ein Demonstrant durch eine Blendgrante vier Finger verloren.

Wut und Unzufriedenheit werden laut und lauter in Europa. Soziale Ungerechtigkeit, aber auch Grund- und Freiheitsrechte werden thematisiert. Werden die Menschen gehört? In Frankreich beispielsweise lenkt Macron erst nach monatelangen gewaltsamen Massenprotesten ein und möchte den Mindestlohn anheben. Artikel 13, Polizeigesetz- und KlimawandelgegnerInnen sowie AktivistInnen bleiben in Deutschland bislang unbeachtet. Zwar gibt es Diskussionsrunden und Medien berichten darüber, stellen sich teilweise sogar auf die Seite der DemonstrantInnen, aber die gewünschten Forderungen konnten nicht durchgesetzt werden. Erlischt der jüngst so hochgekochte revolutionäre Geist von Jung (und Alt) jetzt wieder? Oder wird durch die Ignoranz seitens der Politik der Wille, laut zu werden, erst richtig angeheizt?

Wer weiß, vielleicht rufen die DemonstrantInnen am Ende des Jahres 2019 „Viva la revolución!“, die soziale Ungerechtigkeit wird beigelegt, Menschen bekommen einen fairen Lohn für ihre Arbeit, Nachhaltigkeit siegt über Konsumwahn, Menschenrechte über Überwachung, Prävention über Repression und Vertrauen über Misstrauen. Das wäre eine wünschenswerte Utopie, die momentan greifbarer scheint als in den vergangenen Jahren.

Text: Emilie Herrmann

Foto: Amac Garbe

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