Für Mission Lifeline war 2018 ein turbulentes Jahr. Ihre sechste Rettungsmission wurde zu einem Politikum, das durch die Medien ging. Gegen den Kapitän der Lifeline läuft ein Gerichtsprozess und das Schiff der Dresdner NGO sitzt seit Monaten im Hafen der maltesischen Hauptstadt Valletta fest. Campusrauschen sprach mit Dorit Starke über die Höhe- und Tiefpunkte der vergangenen Monate. Die 40-Jährige engagiert sich neben ihrem Studium der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Dresden als Vorstandsmitglied bei der Dresdner Seenotrettung.
Spätestens seit dem Krieg in Syrien, der so viele Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen hat, sind die Themen Migration, Flucht und Asyl omnipräsent. Mittlerweile werden auf dem Rücken der Flüchtenden politische Machtkämpfe ausgetragen oder gar das Recht auf Asyl infrage gestellt. Wie bist Du mit dem Thema Flucht in Berührung gekommen und wie kamst Du zu Mission Lifeline?
Bei Mission Lifeline bin ich seit Januar 2017. Damals hat mich der Vorstand angesprochen, ob ich mithelfen möchte, und mittlerweile bin ich selbst im Vorstand. Das Thema Flucht beschäftigt mich aber schon ziemlich lange. Ich komme aus der linken Ecke und da spielt es natürlich eine große Rolle. Ich bin der festen Ansicht: Jede*r sollte leben können, wo er* oder sie* leben möchte. Kein Mensch ist illegal. Und bei Mission Lifeline gibt es einen ganz starken Bezug auf die Menschenrechte, der für mich prägend ist. Jeder Mensch hat das Recht auf Flucht. Kein Mensch sollte auf der Flucht sterben oder in physische oder psychische Not geraten. Jeder Mensch hat ja seine Gründe, warum er von irgendwo flieht – sei es Krieg oder Folter, Hungersnot, Armut – und ich glaube, dass niemand ohne triftigen Grund seine Heimat verlässt.
… und sich in vielen Fällen in Lebensgefahr begibt, um nach Europa zu gelangen. Mit der Schließung der Balkanroute kam es dazu, dass immer mehr Menschen auf Booten den Weg Richtung Europa antraten – Boote, die eine Überfahrt in den meisten Fällen gar nicht überstehen können. Mission Lifeline und andere Organisationen sind im Mittelmeer unterwegs, um solche Boote aufzuspüren und die Menschen darin in Sicherheit zu bringen. Hast Du selbst schon einmal an einer Mission teilgenommen?
Nein. Mir würde das vermutlich zu nahegehen. Ich arbeite im Kontaktcafé für Geflüchtete des AZ Conni und kenne ganz viele Geschichten von Menschen, die über den Seeweg nach Europa und schließlich nach Deutschland und Dresden gekommen sind, und mich nimmt das ganz schön mit. Ich glaube, wenn ich die Menschen retten würde, würde ich mich immer fragen: Was kommt als nächstes? Und dazu kommt, dass ich keine Ärztin oder Maschinistin bin. Deshalb engagiere ich mich lieber hier vor Ort. Wobei ich an dieser Stelle unterstreichen will, wie wichtig die Arbeit der Seenotrettungsorganisationen ist. Erst durch ihr Engagement wird die Misere der Flucht über das Mittelmeer und der damit verbundenen Gefahr, auf dieser zu sterben, für uns sichtbar. Und die NGOs leisten natürlich eine äußerst wichtige Arbeit – denn kein Mensch sollte auf der Flucht in Lebensgefahr geraten.
Welche Voraussetzungen sollte denn jemand mitbringen, der bei einer Mission mithelfen möchte – mal abgesehen von einem starken Nervenkostüm?
Für Missionen braucht es natürlich besondere Fähigkeiten. Neben den Personen, die das Schiff steuern und reparieren können, werden vor allem Sanitäter*innen, Krankenpfleger*innen und Ärzt*innen gebraucht. Zur Crew gehören aber auch ein Koch* oder eine Köchin* und eine Ansprechperson für die Medien. Allerdings haben wir immer mehr Bewerbungen, als Posten zu vergeben sind. Wer noch keine Erfahrungen hat, für den wäre die Arbeit in der Werft ein ganz guter Einstieg. Am Schiff ist eigentlich immer etwas zu tun. Und gerade jetzt, wo es festsitzt, muss es gepflegt werden. Es wird repariert, gestrichen und geputzt. Die Arbeit in der Werft wird auch von Ehrenamtlichen durchgeführt. Im Moment kümmern sich in Malta acht Personen um die Lifeline.
Und wenn diese ganzen Personen gefunden sind, wie läuft dann eine Mission ab?
Eine Mission dauert ungefähr zwei Wochen. Ab dem Zeitpunkt, wenn alle Crewmitglieder an Bord sind, dauert es bei gutem Wetter etwa 24 Stunden, bis man in die SAR-Zone gelangt, also in den Search-and-Rescue-Bereich. Während der ganzen Zeit werden Trainings gemacht: Erste-Hilfe-, Sicherheits- und Rettungstrainings, so dass das Team bestmöglich auf einander eingestimmt ist. Und dann schauen wir, ob Boote in Seenot sind. Bisher war es immer so, dass wir das dann dem MRCC Rom [Maritime Rescue Coordination Center Rom, Anm. d. Red.] – der Leitstelle für Seenotrettung in den Seegebieten um Italien – mitgeteilt haben und dann muss es einen Auftrag geben, dass wir retten dürfen. Es kann aber auch anders herum sein, und zwar, dass die Schiffe vom MRCC Rom angefunkt werden und gesagt bekommen: ‚Da ist ein Boot gesichtet worden, das in Seenot ist. Fahrt da bitte hin und rettet das!‘ Und dann geht der Rettungseinsatz los. Weil wir nicht so viel Platz auf unserem Schiff haben, ist es ganz oft so, dass wir erst einmal Rettungswesten verteilen und schauen, ob die Menschen auf dem Boot soweit sicher sind. Und dann begleiten wir sie manchmal auch zu einem größeren Schiff. Das kann ein Containerschiff oder auch das einer anderen NGO sein, das sich in unserer Nähe aufhält und welches mehr Kapazitäten hat. Die Lifeline ist ein First-Responder-Schiff, was bedeutet, dass sie direkt für die Erste Hilfe ausgestattet ist. Da seerechtlich festgeschrieben ist, dass jedes Schiff dazu verpflichtet ist, Menschen in Seenot zu retten, kann es vorkommen, dass wir nur zur Unterstützung bei einem Rettungsakt hinzukommen. Unsere Ausrüstung ist aber oft eine bessere.
Was berichten Deine Kolleg*innen nach einer Mission?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich glaube schon, dass es ein total bestärkendes Erlebnis ist, an einer Mission teilzunehmen – wenn man Menschenleben rettet –, dass es aber teilweise auch anstrengend ist. Aber darüber denkt die Crew kurz nach einer Mission weniger nach, glaube ich. Sondern sie freut sich, dass es eine schöne und erfolgreiche Mission war – gerade wenn das Team gut zusammen funktioniert hat. Und das war bisher immer so. Ich glaube, fast alle wollen wieder auf Mission fahren.
Kann man sagen, dass man sich die Teilnahme an einer Mission leisten können muss?
Alle Mitglieder der Crew arbeiten ehrenamtlich, nehmen teilweise Urlaub, um dabei sein zu können. Das Essen wird natürlich gestellt, aber ein großer Posten sind für viele die Reisekosten. Und da muss man schauen, wie man sich Unterstützung holen kann, zum Beispiel im Freundeskreis oder man lässt sich eine Mission schenken.
Ja, das wäre doch wirklich mal ein sinnvolles Weihnachtsgeschenk … Die Frage, was mit den Menschen passiert, die durch Euch gerettet werden können, stellt sich natürlich unmittelbar. Habt Ihr irgendeinen Einfluss darauf, wie deren Weg weitergeht?
Wir können Öffentlichkeit schaffen, aber einen direkten Einfluss haben wir natürlich nicht. Es gibt von der Mission 6 immer noch Geflüchtete, die in Malta festhängen. Um ihnen zu helfen und Druck zu machen, dass sie ein faires Asylverfahren bekommen, brauchen wir die Öffentlichkeit. Aber auch darauf haben wir leider keinen Einfluss. Wir kümmern uns in erster Linie darum, dass die Menschen vom Wasser geholt werden. Wenn man daran denkt, in welche Gefahr sie sich begeben, ist es total wichtig, präsent zu sein. Und ohne die Seenotrettungsorganisationen würde vermutlich gar nicht publik werden, wie viele Menschen im Mittelmeer sterben.
Allein in diesem Jahr sind mehr als 2.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Erst vor ein paar Tagen gab es verschiedene Aktionen, den Toten zu gedenken. Seit der italienische Hafen nicht mehr angelaufen werden darf, sind die Zahlen zuletzt gestiegen. Aber Du sprachst gerade von der Mission 6. Mit 234 Menschen an Bord musste die Lifeline diesen Sommer sechs Tage lang warten, ehe sie in Malta anlegen durfte. Hast Du das Gefühl, dass sich durch diese Mission und die dazugehörige Berichterstattung die öffentliche Wahrnehmung verändert?
Nach der Mission 6 haben wir super viel Zuspruch bekommen. Gerade dadurch, dass die Mission durch die Medien ging. Damals haben sich ganz viele Menschen gemeldet und uns darin bestärkt, wie wichtig unsere Arbeit ist. Aber entscheidend für unsere Arbeit ist natürlich auch, wie die Politik agiert. Rechtspopulistische Politiker*innen wie Matteo Salvini in Italien, der verhindert hat, dass die Lifeline im italienischen Hafen einläuft, Sebastian Kurz in Österreich oder Viktor Orbán in Ungarn machen sich ja leider dafür stark, dass keine Geflüchteten mehr in ihre Länder kommen. Sie arbeiten an der Festung Europa und daran, Einwanderungsgesetze zu verschärfen. Sie prägen ein negatives Bild von Migration. Genauso Horst Seehofer in Deutschland …
… der sich darüber freut, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden …
Eigentlich ist die CSU ja eine bürgerliche Partei, die aus der Mitte kommt. Wenn man für christliche Werte einstehen will, dann sind solche Äußerungen nicht tragbar.
Inwieweit hat das Erstarken ultrakonservativer bzw. rechter Kräfte in Deutschland und ganz Europa einen Einfluss auf Deine Motivation? Lässt Dich der Rechtsruck manchmal verzweifeln?
Nein. Es stachelt mich eher an. Ich werde wütend und ich finde es umso wichtiger, dass es Menschen gibt, die sich stark machen, laut sind und für Öffentlichkeit sorgen. Wenn NGOs kriminalisiert, die Schiffe beschlagnahmt, irgendwelche Gerichtsprozesse angestrebt und dann noch verzögert werden, damit die Seenotrettung in ihrer Arbeit behindert wird und damit niemand mehr mitbekommt, was passiert, genau dann ist es total wichtig, laut zu werden und Wege zu finden, Öffentlichkeit zu schaffen. Auch ist es überhaupt nicht tragbar, die geretteten Menschen nach Nordafrika zurückzubringen. Das sind keine sicheren Staaten. In diesen kommt es immer noch zur Verfolgung von homosexuellen oder queeren Menschen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Ich will noch mal betonen, dass es gerade aus Sicht der Menschenrechte nicht zu rechtfertigen ist, dass Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, sich auf einen absolut menschenunwürdigen Weg machen und sich in diese seeuntauglichen Boote setzen, um ihre Familien und ihr eigenes Leben in Sicherheit zu bringen, sich der Gefahr aussetzen müssen, dabei zu sterben. Wir sollten endlich Verantwortung dafür übernehmen, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, ein sicheres Leben zu führen, Bildung zu genießen und an den Früchten unserer kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung zu partizipieren. Und wenn wir noch nicht in der Lage sind, allen Menschen dies in ihrer Heimat zu sichern, dann müssen wir so solidarisch sein, es an anderen sicheren Orten unserer Erde zu ermöglichen. Nach meinem Verständnis ist Seenotrettung dabei nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Du hast den Gerichtsprozess angesprochen. Die Rettungsmission im Sommer endete ja nicht nur darin, dass Euer Schiff im maltesischen Hafen festgehalten wird, sondern auch mit der Anklage gegen Euren Kapitän, der das Schiff falsch registriert haben soll. Gibt es Neuigkeiten aus Valletta?
Wir stehen in sehr gutem Kontakt zu Claus-Peter Reisch. Er hat unsere volle Solidarität und wir arbeiten eng zusammen, gerade auch was die Strategie des Gerichtsprozesses angeht. Zuerst ging es ja im Prozess darum, dass wir nicht nach europäischen Absprachen, was die Seenotrettung betrifft, gehandelt hätten. Dieser Vorwurf steht nun nicht mehr im Raum. In den folgenden Verhandlungstagen wird es nur noch um die Flaggenfrage gehen. Wir werden beschuldigt, unser Schiff nicht rechtmäßig angemeldet und genutzt zu haben. Aber das ist, meines Erachtens, vor Gericht nicht haltbar, da wir uns hier ganz eindeutig an das europäische Recht – und ganz speziell an das holländische Schiffsrecht – gehalten haben. Ich glaube, Claus-Peter Reisch geht es gut, er ist auch gerade zu Hause. Wir sind da zuversichtlich. Ich finde, einen Kapitän zu kriminalisieren, der sich in der Seenotrettung stark macht, ist überhaupt nicht haltbar. Die Menschen, die andere Menschen retten, sollten nicht kriminalisiert werden, sondern man sollte ihnen Orden verleihen.
Zumindest hat er kürzlich den Preis zur Wahrung und Erhaltung der Menschenrechte von der Österreichischen Liga für Menschenrechte bekommen. Aber der Gerichtsprozess zieht sich noch bis nächstes Jahr hin …
Ja, diesen hat er im Namen aller Seenotretter*innen entgegengenommen – er sieht sich bei solch einer Ehrung als Vertretung aller, die Menschenleben im Mittelmeer retten.
Der Gerichtsprozess von Jugend Rettet, deren Schiff wie einige andere auch beschlagnahmt wurde, lief ja auch ewig. Ich glaube, so ist die Strategie, dass auch unser Verfahren hinausgezögert wird und das wird auch in Zukunft viele NGOs betreffen. Eine Verschleppung des Verfahrens bedeutet natürlich auch, dass die Gerichtskosten in die Höhe schnellen und im schlimmsten Fall muss unser Kapitän eine Strafe zahlen. Aber auch hier werden wir ihn nicht allein lassen, sondern alle Repressionen irgendwie gemeinsam stemmen. Wir wissen ja mittlerweile und sind sehr dankbar, dass wir viele Menschen hinter uns haben. Jan Böhmermann hatte, nachdem bekannt wurde, dass gegen unseren Kapitän ermittelt wird, einen Aufruf gestartet, Mission Lifeline finanziell zu unterstützen. Und es kamen wirklich viele Spenden zusammen, für die wir uns gar nicht oft genug bedanken können.
Das Ende des Prozesses wollt Ihr auf gar keinen Fall abwarten, bevor Ihr wieder auf Missionen fahrt. Ihr wart bereits auf dem Mittelmeer unterwegs, und zwar mit privaten Segelbooten und Yachten …
Ich denke, wenn keine Schiffe mehr auf dem Mittelmeer unterwegs sind, weil viele NGOs mit ihren großen Schiffen blockiert werden – zuletzt wurde auch die Crew der Aquarius behindert –, dann muss man nach einer anderen Lösung suchen. Und sicherlich kann man mit Yachten nicht so viele Menschen an Bord nehmen wie mit einem großen Schiff wie der Lifeline, aber so können wir sie mithilfe unseres Equipments, indem wir beispielsweise Rettungswesten und -inseln verteilen und Hilfe holen, doch vor einem Tod durch Ertrinken bewahren. Es ist ganz wichtig, dass Menschen vor Ort bleiben und die Situation dokumentieren, Öffentlichkeit schaffen und nach neuen Wegen einer möglichen Rettung schauen.
Und durch die großzügigen Spenden unter anderem der Fantastischen Vier könnt Ihr sogar ein neues Rettungsschiff kaufen, solange die Lifeline festsitzt. Wann startet Ihr damit?
Wir haben die Suche nach einem neuen Schiff noch nicht abgeschlossen. Ihr werdet davon erfahren, wenn wir dazu mehr sagen können.
Man kann aber sagen: Es gibt einen Lichtblick nach den Rückschlägen, die Mission Lifeline 2018 ertragen musste. Was ist Dein Fazit nach diesem Jahr?
Für mich gibt es zwei besondere Höhepunkte. Zum einen ist es natürlich die Mission 6, bei der wir 234 Menschen gerettet haben. Dass wir Öffentlichkeit geschaffen und einen so großen Zuspruch bekommen haben – einmal in den Medien, aber auch über die ganzen E-Mails, die wir bekommen haben, oder Leute, die uns angesprochen haben, die uns sehr bestärkt haben. Ich glaube, dies ist der gesamten Seenotrettung zugutegekommen, nicht nur Mission Lifeline. Ein anderes Highlight 2018 ist, dass der Film über Mission Lifeline fertig geworden ist. Ravir Film, ein junges Filmkollektiv aus Dresden, hat über uns eine Dokumentation gedreht. Ich habe sie schon gesehen und finde, es ist ein wunderschöner Film geworden. Ich freue mich, wenn er 2019 in die Kinos kommt.
Die Mission 6 war aber auch ein Tiefpunkt 2018. Zum einen das Festsetzen unseres Schiffs, aber vor allem das Verhindern des Einlaufens durch Salvini und später auch durch den maltesischen Minister, der Druck bekommen hat. Die Ungewissheit, wie es der Crew geht und den Menschen an Bord des Schiffes …
Wie kann man das rechtfertigen, Menschen so in Gefahr zu bringen?
Das ist eben politisches Geklüngel und eine Möglichkeit, Macht zu demonstrieren.
Die politische Debatte, die dazu geführt hat, dass die Lifeline so lange auf dem Mittelmeer bleiben musste, ist das eine. Aber dann kam auch noch die libysche Küstenwache an Bord und wollte die von Euch Geretteten wieder zurückbringen …
Die libysche Küstenwache war schon bei einer der ersten Missionen 2017 an Bord der Lifeline. Meistens machen sie Krawall und treten aggressiv auf. Und manchmal machen sie auch von ihren Waffen Gebrauch. Sie wollen die Menschen in Seenot wieder nach Libyen zurückbringen. Es ist ein großes Geschäft, wenn diese Menschen dann wieder erpresst werden und viel Geld für den nächsten Versuch, mit einem seeuntauglichen Boot nach Europa zu gelangen, bezahlen. Da verdienen viele dran. Ich glaube, wir alle haben auch von diesen unmenschlichen Lagern gehört, die es in Libyen gibt. Mich macht das total wütend, dass Menschen so leben müssen und gefangen gehalten werden und genauso diese kapitalistische Geldmaschinerie, die dahintersteckt. Und wenn man sich dazu noch überlegt, dass von Europa ein Haufen Geld nach Libyen geht, um das dortige Militär auszustatten …
Welche Rolle spielt der Alltag in Dresden da eigentlich noch? Immerhin habt Ihr in diesem Jahr einen Prozess gegen Pegida gewonnen, die Euch nicht mehr als Schlepper bezeichnen dürfen.
Das sind so die kleinen Nebengeschichten, die am Rande unserer Arbeit passieren. Ich finde, da gibt es einen großen Unterschied. Das eine ist die Seenotrettung im Mittelmeer – da bekommt man von dem, was in Dresden passiert, total wenig mit. Und das andere ist das, was hier passiert. Aber über Pegida mache ich mir wirklich weniger Gedanken. Natürlich ist das ein Erfolg, dass sie uns nicht mehr öffentlich Schlepper nennen dürfen. Aber am Ende sind es so viele Fronten, an denen wir kämpfen: Da ist die Stadtpolitik in Dresden und die Landespolitik in Sachsen, dann die Bundespolitik und die europäische Ebene.
Und wenn es um globale Abkommen geht, wird es erst recht kompliziert. Begleitet von lautem Gebrüll von Rechtsaußen wurde am Montag der UN-Migrationspakt beschlossen. Obwohl er nur Lösungsansätze vorschlägt, rechtlich aber nicht bindend ist, sehen rechte Parteien darin eine Gefahr.
Da merkt man, dass es wirklich um Meinungsmache geht und darum, Menschen zu beeinflussen – und nicht um Fakten. Ich finde, jede*r sollte hingehen, wo er*sie ein besseres Leben führen kann, und wir können ruhig ein Stück von unserem Kuchen abgeben. Wenn ich so über unsere europäische Geschichte nachdenke, bin ich natürlich bei der Kolonialisierung. Wir haben die Menschen auf anderen Kontinenten unterdrückt, halten sie immer noch klein und verdienen so viel Geld damit. Wenn man sich die Flüchtlingsrouten in Afrika anschaut, dann sieht man, dass die Diamanten- und Edelsteinminen dort sind, wo die Menschen auf ihrer Flucht ankommen und kein Geld mehr haben, um weiterzureisen. Und sie arbeiten dann dort für einen Hungerlohn und unter menschenunwürdigen Bedingungen, um weiterreisen zu können. Wir haben alle unsere teuren Handys und denken überhaupt nicht darüber nach, was wir da gerade in der Hand halten. Die Rohstoffe dafür stammen viel zu oft aus solcher Arbeit.
Was erhoffst Du Dir von 2019? Mal abgesehen davon, dass viele Menschen den Film über Mission Lifeline sehen …
Dass wir natürlich den Gerichtsprozess gewinnen und alle anderen Seenotretter*innen davon profitieren. Wir werden auch 2019 alles daransetzen, Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Und das große Ziel für 2025 ist, dass wir gar keine Seenotrettung mehr brauchen, da wir dann alle frei sind – welch großes Ziel! Bis es soweit ist, können wir aber jede Menge Unterstützung gebrauchen, auch hier vor Ort. Da gibt es die Spendendosenbetreuung oder die Möglichkeit, bei Veranstaltungen für Mission Lifeline zu werben. Und wenn es nur das Liken und Teilen von Beiträgen ist, die wir in den sozialen Medien verbreiten – auch das hilft. Nur durch diese vielschichtige Unterstützung ist unsere Arbeit überhaupt erst möglich. Und für diese Unterstützung seit dem Bestehen des Vereins kann ich mich nur im Namen aller Mission-Lifeliner*innen ganz herzlich bedanken.
Interview: Marie-Therese Greiner-Adam
Foto: Amac Garbe
5 Gedanken zu “Ein Stück vom Kuchen abgeben”