Ab sofort stellen wir Euch ausgewählte Kandidaten vor, die in Dresden für die Bundestagswahl am 24. September kandidieren. Den Anfang macht Richard Kaniewski, 31 Jahre jung, Dresdner, Politikwissenschaftler, Vorsitzender der SPD Dresden und rechte Hand von Integrationsministerin Petra Köpping (SPD). Kampfthemen: Rente und Arbeitsmarkt. Strategie: Hausbesuche mit Kasten oder Kuchen.
Warum wollen Sie in den Bundestag?
Ich habe in den vergangenen 15 Jahren, die ich politisch aktiv gewesen bin, verschiedene Stellschrauben erkannt, an denen man drehen muss, um etwas zu verändern. Gerade in den Feldern Soziales, Arbeitsmarkt und Integration werden in Berlin viele grundlegende Entscheidungen getroffen, die dann vor Ort umgesetzt werden. Ich will anpacken, mitmachen und selbst Politik gestalten – das war die Motivation für mich zu sagen: Ich kandidiere für den Bundestag. Das heißt aber nicht, dass ich nach Berlin ziehen würde. Berlin wäre ein Arbeitsort, mit Plenum, Fraktionssitzungen und weiteren Terminen, die mit dem Bundestagsmandat zusammenhängen. Wenn ich gewählt werde, werde ich so viel wie möglich in meinem Wahlkreis sein. Ziel ist es, in Berlin Politik für die Region Dresden zu machen.
Warum sollten gerade junge Menschen Sie wählen?
Ein gängiges Klischee ist ja, dass Politik „alt“ ist. Und da ist es doch spannend für junge Menschen, auch mal junge Kandidaten zur Auswahl zu haben. Die SPD hat aus meiner Sicht ein gutes Angebot – für alle Altersgruppen. Zum Beispiel sind das Recht auf lebenslanges Lernen und das Verständnis dafür, dass Menschen mehr als nur eine Chance verdient haben, fest im SPD-Programm verankert. Konkret für Studierende haben wir zum Beispiel eine regelmäßige und bedarfsdeckende BAföG-Erhöhung geplant, sodass jeder junge Mensch Zugang zu Bildung hat – unabhängig vom Einkommen der Eltern. Aber auch für eine Mindestausbildungsvergütung und mehr Investitionen in Bildung werden wir kämpfen.
Die Bildungspolitik von Frau Kraft (SPD) wurde bei der Landtagswahl in NRW kürzlich abgelehnt. Woran lag’s?
Im Bereich Bildung ist die SPD in NRW offenbar dem eigenen hohen Anspruch nicht gerecht geworden. Ich weiß, dass es dort einen massiven Investitionsstau gab und man mit begrenzten Mitteln nicht immer alle notwendigen Investitionen in Schulen umsetzen konnte. Vielleicht gab es darüber hinaus Probleme bei der Kommunikation und der konkreten Umsetzung der schulischen Inklusion. Insgesamt kommen bei einer Abwahl immer viele Sachen zusammen, die man aus der Ferne nur schwer beurteilen kann.
Welche Herausforderungen für junge Menschen sehen Sie derzeit? Und wie könnte man diese angehen?
Ein wesentlicher Punkt ist ja: Kann ich mir ein Studium oder eine Ausbildung leisten? Für junge Menschen aus weniger gut verdienenden Familien ist die finanzielle Belastung eines Studiums oftmals sehr groß. Jeder sollte die Möglichkeit haben, das zu studieren oder die Ausbildung zu absolvieren, die er möchte. Deshalb muss Bildung kostenfrei sein. Relevant ist ebenfalls der Wohnungsmarkt. Die SPD will die Schaffung von neuem Wohnraum stärker unterstützen und mehr Studierendenwohnheime schaffen. Wir haben da einen ganzheitlichen Ansatz, der die Wohnsituation, das Studium, die Ausbildung und die sich anschließende Jobsuche einbezieht. Und beim Thema Jobsuche muss auch der Staat als Arbeitgeber seine Hausaufgaben machen: Wir haben in Sachsen zum Beispiel ein gutes Lehramtsstudium, aber die Vergütung ist im Vergleich mit anderen Bundesländern miserabel. Die Politik sollte ein Interesse daran haben, dass hier Ausgebildete auch einen Job in der Region bekommen.
Wie kann man Unternehmen denn Ihrer Meinung nach dazu bringen, faire Löhne zu zahlen und zum Beispiel Praktika zu vergüten – auch wenn sie gesetzlich nicht dazu verpflichtet sind?
Grundsatz sollte sein, dass alle Praktika vergütet werden. Man muss die Unternehmer moralisch in die Pflicht nehmen und ihnen die Verantwortung ihres Unternehmens, zusammen mit den Beschäftigten ein gutes Arbeits- und Lebensumfeld zu schaffen, vor Augen führen. Wenn einem Unternehmen das gelingt, haben auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine positive Grundhaltung gegenüber der Firma und die Motivation, gute Arbeit zu leisten, ist größer. In den meisten Unternehmen ist außerdem Geld für vergütete Praktika auch durchaus vorhanden. Wenn aber alle Appelle nicht fruchten, muss der Staat gegebenenfalls auch gesetzlich eingreifen, wie wir es beim Mindestlohn schon getan haben. Ich wäre da in Sachen Praktika durchaus bereit.
Die SPD hat gerade in Dresden sehr viele junge Mitglieder. 40 Prozent sind unter 35 Jahre. Wie schätzen Sie generell die politische Aktivität junger Menschen ein? Wie könnte man sie steigern?
Wir haben tatsächlich viele junge Mitglieder und als ehrenamtlicher Vorsitzender freut man sich natürlich, dass wir in den vergangenen Wochen und Monaten viele Menschen dazugewinnen konnten – aus ganz unterschiedlichen Alters- und Berufsgruppen, aber auch aus dem Kreis der Geflüchteten. Aber auch wir stehen, wie jede Partei, vor dem Problem: Wie aktiviert und mobilisiert man Menschen und wie kommt man mit möglichst vielen ins Gespräch. Der Ausdruck klingt komisch, aber die persönliche Ansprache von Menschen ist nach wie vor am wichtigsten. Deshalb komme ich bei meinem „Kasten mit Kaniewski“ ja auch mit einem Kasten Getränke direkt in WGs vorbei oder bringe Kuchen für den Kaffeeklatsch mit. Politik darf kein geschlossener Raum sein. Deshalb sind fast alle Veranstaltungsformate der Dresdner SPD offen. Auch wenn gerade kein Wahlkampf ansteht.
Gibt es ein Projekt, das Sie in Berlin als erstes angehen würden?
Bis vor Kurzem hätte ich jetzt die Ehe für alle genannt, aber das hat ja nun doch noch geklappt. In den nächsten Jahren geht es meiner Einschätzung nach vor allem um die Zukunftsfähigkeit und Gerechtigkeit unseres Sozialsystems. Wir müssen das Rentenniveau im Interesse der jüngeren und mittleren Altersschichten halten und endlich ein solidarisches Gesundheitssystem mit einer Bürgerversicherung einführen.
Erreicht man mit den Themen Rente, Arbeitsmarkt und Gesundheit denn viele junge Menschen? In meinem Freundeskreis war das Thema Rente noch nie präsent, wenn über Politik gesprochen wurde. Viele Gespräche enden bei: Wir bekommen im Alter eh keine Rente mehr.
Ich weiß, dass das für einige junge Menschen nicht immer die ansprechendsten Themen sind. Aber auch Akademiker kann Arbeitslosigkeit betreffen und mit dem Thema Pflege oder Rente sind wir irgendwann definitiv konfrontiert. Und die Frage ist doch auch, warum vielen jungen Leuten Themen wie die gesetzliche Rente egal sind. Weil jahrelang nur von Kürzungen gesprochen wurde, man an das System gar nicht mehr glaubt und eben nicht geschaut wurde, wie man solche Systeme zukunftsfest und gerecht aufstellen kann. Letzteres will ich vorantreiben.
Wie lautet Ihr Fazit der vergangenen vier Jahre Große Koalition?
Ich finde, dass die Politik der SPD in den vier Jahren Große Koalition schon wahrnehmbar ist. Gerade die Außenpolitik von Frank-Walter Steinmeier hat viele Dialoge geschaffen, Konflikte vermittelt. Er hat sich meiner Meinung nach extrem gut geschlagen. Und die Bilanz der SPD als Regierungspartner auf Augenhöhe mit der Union kann sich sehen lassen: Zum Beispiel in Sachen Rentenangleichung, Mindestlohn oder der Unterstützung für alleinerziehende Mütter und Väter. Die Koalition hat viele sozialdemokratische Projekte umgesetzt. Wir haben jedoch auch Entscheidungen mitgetragen, die ich für falsch halte, zum Beispiel die Maut. Und auch vielen schwerwiegenden Änderungen im Asylrecht hätte ich definitiv nicht zugestimmt. Aber ich bin auch in der Vorteilssituation, in der ich die Freiheit habe, Dinge zu kritisieren, die ich selbst nicht mitentschieden habe. Es ist halt immer wichtig zu sehen, was man mit welchen Partnern umsetzen kann.
Wären weitere vier Jahre Große Koalition für Sie denkbar?
Demokraten und Demokratinnen müssen immer fähig sein, eine Koalition zu bilden. Ich würde kein generelles Nein gegenüber einer Partei aussprechen – von AfD oder NPD abgesehen. Im Grunde muss man sich aber fragen: Mit wem kann ich am meisten sozialdemokratische Prozesse anstoßen? Und da ist die Schnittmenge mit Grünen und Linken größer als mit der Union. Es gibt natürlich Baustellen, aber die lassen sich ausräumen. Ich erlege mir da keine Denkverbote auf und letztlich geht es um Inhalte, nicht darum, ob man eine Partei mag oder nicht. Die Gemeinsamkeiten mit der Union sind nach vier Jahren Großer Koalition aber an vielen Stellen wirklich verbraucht.
Zuletzt: Welches Politiker-Klischee erfüllen Sie auf ganzer Linie? Ich habe da eine Vermutung …
Ich rede manchmal sehr viel. Wobei das wirklich ein Klischee ist. Politikerinnen und Politiker müssen auch zuhören können. Dass man Antworten gibt, wenn man etwas gefragt wird, aber auch zuhören kann – das zeugt von Respekt. Gerade in Ostdeutschland ist es wichtig, dass Menschen wieder Vertrauen zur Politik aufbauen und dass Menschen, die sich nicht im Politikbetrieb bewegen, Politikerinnen und Politiker kennenlernen. Am Ende sind das alles auch normale Menschen, mit denen man auf Augenhöhe reden kann. Das versuche ich zu vermitteln, auch über den Wahlkampf hinaus.
Interview: Marie-Therese Greiner-Adam
Foto: Amac Garbe