Volle Säle mit Musik und Politik

Die Preise sind vergeben, die Goldenen Reiter in den Vitrinen verstaut und neue Erlebnisse beginnen, die Erinnerungen ans 35. Filmfest Dresden zu überlagern. Höchste Zeit also, noch einmal zurückzublicken.

Mehr als 370 verschiedene Kurzfilme sowie zwei Langfilme flimmerten vom 18. bis 23. April 2023 über Dresdner Kinoleinwände in der Neustadt, in Striesen, an der Uni oder auch in der Altstadt. Mehr als 16.000 Besucher:innen kamen zum Kurzfilmfestival und bevölkerten die Kinos, das Open Air auf dem Schlossplatz oder die Fachveranstaltungen in Videotheken, im Garten eines alten Künstlercasinos oder auch in einem Projektraum der freuen Kulturszene. Kurzum: Es war Filmfest-Zeit.

Die Preisträgerfilme lassen sich prima online nachlesen, doch was war abseits der Wettbewerbe zu sehen? Zum Beispiel die Schwerpunktprogramme zum Thema Anti-Rassismus, die sehr unterschiedlich ausgelegt waren. So wurde das erste Programm vom mexikanischen Kollektiv Los Ingrávidos kuratiert, das unlängst mit dem experimentellen „Xiuhtecuhtli“ bei den Kurzfilmtagen Oberhausen den Förderpreis des Internationalen Wettbewerbs gewann.

Landnahme und Ahnenraub

Experimentell war auch das für Dresden kuratierte Programm „Exit Happyland – Tierra“, wobei der Begriff Erde dabei wirklich zentral ist, haben die indigenen Menschen Amerikas doch stets die Erfahrung gemacht, dass ihnen ihr Land genommen oder abgesprochen wird. Und dazu gehören mitunter auch menschliche Gebeine, die in den USA seit 1990 durch den Native American Graves Protection and Repatriation Act eigentlich den Nachfahren indigener Überreste übergeben werden müssen, damit diese sie entsprechend ihrer Kultur bestatten können. So entbrannte in den 1990er Jahren ein Streit um den sogenannten Kennewick-Mann, dem man die indigene Herkunft absprach, was Untersuchungen schließlich widerlegten. Der Film „The Violence of a Civilization without Secrets“ greift dieses Beispiel derart auf, dass er die generelle westliche Praxis hinterfragt, Menschen aus ihren letzten Ruhestätten zu holen, um sie zu untersuchen und im Anschluss samt Grabbeigaben auszustellen. Eine Praxis, die wir selbst mit jedem Besuch in derlei Museen unterstützen.

Los Ingrávidos schlossen ihr Programm schließlich „schwerelos“ mit dem eigenen Film „Tierra en Trance“ ab – einem 38-minütigen Experimentalfilm, der einer „grenzüberschreitenden audiovisuellen Meditation“ gleicht und dabei hölzerne Rhythmen mit pulsierenden Aufnahmen von indigenen Skulpturen und tanzenden Menschen verbindet, um schließlich in eine flirrende Orgie aus schrillen Tönen und flackernden Bildern zu münden.

Die Einsamkeit der kreativen Köpfe

Orgienhaft könnte man auch die Filme des Franzosen Yann Gonzalez nennen, wurde der Autodidakt doch vor allem von Horror-, Monster- und erotischen Filmen inspiriert. Einflüsse, die in seinen Filmen kulminieren. Einflüsse, die auch seine Jugend spiegeln, als er seine Homosexualität entdeckte, sich damit aber allein gelassen fühlte. Als er sich seltsam fühlte. Ein Gefühl, dass sich wunderbar in seinem Musikvideo für Oliver Sims „Hideous“ spiegelt, wobei hier eigentlich vier Songs des THE-XX-Frontmannes zu einem Kurzfilm versponnen sind, wovon „Hideous“ selbst sowie „Fruit“ schon als einzelne Videos erschienen sind.

Als neuestes Werk von Gonzalez war übrigens das Musikvideo zum Song „Oceans Niagara“ von M83 zu sehen, der Band seines Bruders Anthony. Eine Orgie in Farbe und Sound auf der großen Leinwand.

In eine Art Rausch geriet auch das Publikum der Festival Drag Party, die sich nach der Preisverleihung in der Groovestation abspielte. Das Berliner QT*BiPoC-Kollektiv QueerBerg verband dabei Anti-Rassismus mit Geschlechtergerechtigkeit, und das auf äußerst unterhaltsame Weise. Politisch feiern geht eben auch.

Abschied nehmen und in die Zukunft blicken

Leisere und vor allem nachdenklichere Töne schlug etwa das Animationsprogramm für Paul und Menno de Nooijer an, das den bedeutungsschwangeren Titel „We’ll Meet Again, Don’t Know Where, Don’t Know When“ trug. Paul de Nooijer ist krank, konnte die Reise nach Dresden nicht antreten. So stellte Menno die elf gezeigten Filme allein vor, wozu auch der Trailer für das 28. Filmfest Dresden gehört, der exemplarisch die Technik des Fotofilms in aller Kürze vorstellt.

Menno sei damit aufgewachsen, erzählte er. Und so ist jedes Filmfest eine Zeitreise, die mitunter 100 Jahre umfasst und sich um die halbe Welt spannt. Die Erlebnisse sind schon aufgrund der Vielzahl der gezeigten Filme und die Mehrzahl der Screenings vielfältig und gleichzeitig einzigartig. Erstmals seit dem Auftreten von Corona waren die Säle aber wieder richtig voll und der Austausch dauerte bis spät in die Nacht, und das in der familiärsten Festivalatmosphäre, die er kenne, wie Volker Schlecht bei der Preisverleihung sagte. Wer das nächstes Jahr nicht verpassen will, sollte sich schon mal den 16. bis 21. April 2024 vormerken.

Audiovisuelle Einblicke ins Festival bekommt Ihr übrigens auf unserem Instagram-Kanal.

Text: Nadine Faust

Foto: Amac Garbe

Transparenzhinweis: Die Autorin ist selbst fürs Filmfest Dresden tätig.

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