Wenn der Postbote grüßt

127.000.000 Ergebnisse. So viel spuckt Google aus, wenn man nach dem Wort „Heimat“ sucht. Ganz oben: eine Adresse, die mir nur allzu bekannt vorkommt. Der gläserne Mensch. Doch ist es das, was sich hinter dieser Adresse verbirgt – Heimat? Ich schlage den Duden auf, virtuell. „Land, Landesteil oder Ort, in dem man [geboren und] aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend)“. Lege ich diese Definition zugrunde, würde ich sagen, dass ich zwei Heimaten habe. Mein aktueller Wohnort gehört dann nicht dazu, auch wenn er unweit meines Geburtsorts liegt.

Von der Provinz in die Großstadt

Da wäre Heimat 1: der Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Rund 8.000 Einwohner, ein bisschen trostlos. Gebäude werden hier eher abgerissen als wiederaufgebaut, liegen als Schutthaufen an den Straßenecken. Kein Kino, immerhin ein Freibad, in dem wir als Jugendliche oft waren. Provinz. Und dennoch, gehe ich die mir vertrauten Straßen entlang, stellt sich ein Gefühl von Heimat ein. Es sind die Kirchenglocken, deren Läuten einen ganz bestimmten Klang hat. Es sind die Erinnerungen, die einen überkommen, an Sandkastenfreundschaften, glückliche Nachmittage in der Kindheit und die nicht enden wollende Schulzeit, die schließlich in Heimat 2 mündete.

Heimat 2: Kontrastprogramm, Großstadt. Touristenströme im Sommer wie im Winter. Studienjahre, die erste Wohngemeinschaft, Freiheiten, die vielleicht nie wiederkommen. Die anfängliche Sehnsucht nach Heimat 1, die immer mehr dem Gefühl des Angekommenseins wich. Ein kurzer Bruch, eine andere Stadt, die nicht Heimat werden wollte. Und wieder zurück, weil man sich verliebt hatte in die Stadt, die einem das Gefühl der großen, weiten Welt gab und dabei doch manchmal so klein erschien. Heimat ist auch, den Postboten zu kennen, ein kurzes Plaudern an der Tür. Es sind die Nachbarn, die dir ein kleines bisschen die Anonymität der Großstadt nehmen. Gespräche von Balkon zu Balkon, der Grill im Hinterhof.

Eine Sehnsucht, die bleibt

Seit ich Heimat 2 aus persönlichen Gründen verlassen habe, packt mich immer wieder die Sehnsucht. Schon wenn sich die Stadt an der Autobahnabfahrt nähert, spüre ich die Vorfreude aufsteigen. Einiges hat sich verändert, vieles ist geblieben. Die wenigen kostbaren Momente erscheinen intensiver, eine Flucht aus dem Alltag. Wenn ich dann wieder ins Auto steige, packt mich die Wehmut. Doch beim Blick in den Rückspiegel weiß ich eines ganz sicher: Das mit uns ist für immer, ganz egal, wie viele Kilometer dazwischenliegen. Und vielleicht lerne ich ja eines Tages auch dort, wo ich jetzt bin, den Postboten kennen.

Text: Marie-Luise Unteutsch

Foto: Amac Garbe

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