Und sie rostet doch!

Es ist ein fröhlicher Sonntagabend. Ich habe mit Freund:innen das erste Konzert seit Langem genossen, habe das erste Glas Wein in einem Biergarten getrunken, habe mir das erste Mal nach Monaten die Hände auf einer öffentlichen Toilette gewaschen und desinfiziert. Habe mein Bild im kaputten Spiegel betrachtet, die vom Schweiß verwischte Mascara, die Frau neben mir, die sich schicker gemacht hat als ich. Es ist ein schöner Abend mit guten Gesprächen. Und zu Hause finde ich eine Mail aus meiner Vergangenheit. Von meinem ersten Freund.

Er wolle reden, schreibt er, über unsere Vergangenheit reflektieren, bittet er. Und für fünf Minuten prasselt all die Wut, die nach Jahren noch da ist, auf mich ein. Ein nicht enden wollendes Feuerwerk der Emotionen. Seine Männlichkeit, in tausende Schnipsel zerrissen, immer und immer wieder, bis nur noch Feinstaub übrig bleibt. Ich setze mich mit Geschlechterklischees auseinander, mit Schubladen und Mustern. Aber in diesen 300 Sekunden falle ich in meine alte Rolle zurück: Das Opfer, das nach vier Monaten Beziehung für eine andere Frau verlassen wurde. Ich spüre das Herzklopfen, wenn er eine neue Nachricht schreibt. Die Scham. Weil ich damals nicht gut genug war. Weil ich zu wenig kommuniziert habe. Weil ich auf zu wenige seiner Ratschläge gehört habe. Weil ich nicht laut genug war, zu wenige Ecken und Kanten hatte. Weil ich ihm nicht die Stirn bieten konnte, während ich ihn anbetete. Weil ich ihn nicht weiterbrachte. Weil ich auf seine Flut an Gefühlen mit Rückzug reagierte. Weil ich überfordert von mir und meinen Gefühlen und den Hormonen war, die mein Körper in Massen produzierte.

Noch heute denkt sich mein kleines zerkratztes Herz, dass er inzwischen eine steile Karriere hingelegt hat, einen reichen Freundeskreis bekommen und so viele erotische Erfahrungen gemacht hat, dass sie für einen ganzen Büchertisch reichen. Ein Teil von mir fühlt sich noch immer machtlos. Und obwohl ich weiß, dass all das nur die Gefühle meines jungen Herzens sind, fühlen sich diese Minuten wie Stunden an.

Und plötzlich Freude. Nicht nur unsere Trennung zieht an mir vorbei, sondern auch die Zeit danach. Die Unterstützung, die ich bekommen habe. Durch Freund:innen, Bekannte, Mitfahrer:innen im Zug. Die Erfahrungen, die ich seitdem gemacht habe. Der Moment, in dem ich aus tiefer Trauer wieder aufwachte. Erst auf Knien, später auf meinen Füßen meinem Leben entgegenging. Dass ich langsam, mit jeder Beziehung, jedem Flirt, jedem Partner zu einer Frau wurde, die nicht immer machtlos ist. Einem Menschen, der Nein sagt. Nein zur gemeinsamen Rechnung im Restaurant, weil ich lieber selbst zahle. Nein zum Clubbesuch, weil ich Lust auf Chillen habe. Nein zum Vorwurf, ich sei doof, weil mein Körper nicht will, was mein Partner will.

Dieser Mann hat mich verletzlich werden lassen, weil er das Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung in mir an die Oberfläche geholt hat. Ich konnte damit lange nicht umgehen. Ich konnte die Gefühle, die mein Körper ausdrückte, nicht einordnen, nicht verarbeiten. Ich konnte sie anderen nicht mitteilen. Mittlerweile bin ich besser darin. Ich suche das richtige Maß. Ich versuche, meine Gefühle mit denen meines Kommunikationspartners in Einklang zu bringen. Das klappt nicht immer. Manchmal will ich mehr als mein Gegenüber und dann bekomme ich nichts. Manchmal sitze ich einfach da und warte und erlebe schöne Dinge. Und manchmal gehe ich auf jemanden zu und ein Konflikt löst sich.

Das Erstaunliche ist, dass er mir nach dem Funkengewitter wenig ausmacht. Er hat mal die Hauptrolle in meinem Stück gespielt, mittlerweile habe ich die Rolle mehrfach neu besetzt, die Handlung geändert und die Umstände auch. Es gibt einfach mehr Beziehungen, die ich gern geführt habe. Mehr Menschen, die ich geliebt habe, bevor wir uns auseinanderlebten. Die vier Monate mit ihm? Nur noch ein vergilbtes Foto, das ich mit Klebeecken in mein Album gepappt habe. Und die Clubs, in denen wir zusammen getanzt haben, sind inzwischen auch geschlossen.

Statt zu bedauern, frage ich mich, wer er damals war. Was unsere Beziehung ausgemacht hat. Und ich finde wenig. Einige schöne Erinnerungen, bei denen die Umstände besonders waren, nicht der Partner. Aber mit welcher Persönlichkeit war ich denn zusammen? Welche Eigenschaften mag ich an ihm besonders, welche nicht? Hatte er überhaupt mehr als drei prägnante Charakterzüge? Welcher Mensch steckte hinter der Maske, mit der er mich erobert hat? Würde er mir morgens Frühstück ans Bett bringen oder lieber bis zum Blauen Wunder joggen? Isst er lieber Rühr- oder Spiegelei? Wie viel Freiraum lässt er mir? Und wenn ich im Unrecht wäre, würde er lieber zu mir halten oder seine Meinung vertreten? Müsste ich eine Lobrede auf den Mann halten, der solange meine erste Geige spielte, müsste ich Wikipedia fragen oder auf der Seite seiner Uni nachgucken.

Und zuletzt stelle ich mir die Frage nach der Zukunft. Was verbindet uns heute? Welche Rollen könnten wir spielen? Wühlen wir nur im Vergangenen oder passen wir als Menschen so gut zusammen, dass wir ein Stück zusammen gehen können? Ich dachte, es sei erlösend, wenn ich nach so vielen Jahren eine Entschuldigung fordern könnte. Wenn er das Loch in meinem Herzen endlich stopfen würde. Wenn er meine Hand halten und beteuern würde, dass all das nicht richtig war. Und dass ich lernte, was ich damals falsch gemacht hatte. Wie ich ihn beherrscht hatte und wie ich das zukünftig vermeiden könnte. Wie ich mich besser in andere denken und eine Beziehung führen kann, die wirklich gleichberechtigt und wertschätztend ist. Dass er der erste Mann wäre, mit dem ich eine Beziehung von außen betrachten könnte.

Aber vielleicht hatte ich in Zeiten, in denen ich fast zwei Jahre zum Stillstand gezwungen war, genug von Rückblicken.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

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