Anfang Februar war es soweit: Per Rundmail informierte der Studierendenrat (StuRa) der TU Dresden über die Änderungen der Beitragsordnung zum Sommersemester 2021. Die wesentlichste Änderung war der Wegfall des Fahrradverleihsystems im Semesterticket. Die Entscheidung zur Abschaffung wird seitdem kontrovers diskutiert.
MOBIbike, sz-bike, nextbike
Das Dresdner Fahrradverleihsystem hieß bis zum Sommer 2020 sz-bike und wurde dann durch MOBIbike abgelöst. Das neue MOBIbike-System wurde durch die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) europaweit ausgeschrieben. Betreiber bleibt weiterhin die Leipziger Firma nextbike, die weltweit mit zahlreichen Fahrradverleihsystemen vertreten ist.
Die Rolle des Studierendenrates
Auf Grundlage des Sächsischen Hochschulfreiheitsgesetzes beschließt der StuRa die sogenannte Beitragsordnung. Nach dieser Ordnung zieht die Uni jedes Semester Geld von den Studierenden für Semesterticket und StuRa-/Fachschaftsbeitrag ein und leitet das Geld an den StuRa weiter.
Der StuRa besteht einerseits aus dem Plenum als beschlussfassendes Organ mit knapp 40 Mitgliedern aus allen Fachschaften und andererseits aus der Exekutive mit ihren Geschäftsbereichen und Referaten. Personelle Überschneidungen von Plenum und Exekutive sind dabei nicht ungewöhnlich. Die Exekutive berät Studierende, organisiert Veranstaltungen, wacht über die Ordnungen oder verhandelt das Semesterticket. Das Plenum bekommt dazu Zwischenstände und Verhandlungsergebnisse vorgelegt und beschließt darüber.
Für das Fahrradverleihsystem hat das Plenum bereits 2019 erste Anforderungen beschlossen, die in die Vergabe der DVB eingeflossen sind. Der Hauptteil der Verhandlungen mit der DVB lief im Sommer und Herbst 2020. Da die Beitragsordnung einer Genehmigung durch das Rektorat bedarf und vier Monate vor Semesterbeginn veröffentlicht werden muss, musste die Entscheidung für den Zeitraum ab Sommersemester 2021 am 29. Oktober 2020 im Plenum fallen.
Gemäß StuRa-Ordnung war für eine Annahme des Vertrages eine 2/3-Mehrheit aller Plenums-Mitglieder erforderlich. Es ist nicht unüblich, die „Hürde“ für bedeutende Behandlungsgegenstände höher zu legen. Beim StuRa trifft dies konkret für bestimmte Wahlen, Ordnungsänderungen und längerfristige, finanzielle Verpflichtungen zu. Zudem kann jedes Mitglied eine geheime Abstimmung beantragen, wobei gegen diesen Antrag aus Gründen des Minderheitenschutzes kein Widerspruch zulässig ist. Davon wird bei kontroversen Themen gelegentlich Gebrauch gemacht, so auch beim Fahrradverleihsystem. Im Ergebnis einer geheimen Briefwahl mit kurzer Frist gaben 30 von 37 StuRa-Mitgliedern ihre Stimme ab. Auf Ja entfielen 21 Stimmen, auf Nein sechs Stimmen. Drei Stimmen waren wegen fehlender Wahlscheine ungültig. Somit war die erforderliche Mehrheit von 25 Ja-Stimmen nicht erreicht.
Die Verhandlung zum Fahrradverleihsystem
Derzeit kann mit dem alten Vertrag zum sz-bike-System übergangsweise noch das neue MOBIbike-System genutzt werden. Die Studierenden profitieren also bereits von einigen der nachfolgend genannten Verbesserungen (neues Stationssystem, mehr Räder …), ohne dafür zusätzlich zu bezahlen. Ab dem Sommersemester 2021 sollte der neue Vertrag mit der DVB in Kraft treten.
Im Laufe der Verhandlung für einen neuen Vertrag wurden immer wieder Zwischenstände mit dem StuRa-Plenum diskutiert. Am Ende stand das finale Angebot der DVB. Der Vertrag mit allen Details wurde nur in der nicht-öffentlichen Sitzung besprochen. Gleiches gilt für die Diskussion der Verhandlungstaktik. Alle öffentlichen Protokolle zum Thema gibt es online.
Freiminuten
Mit dem neuen Vertrag sollten die Freiminuten je Fahrt von 60 auf 30 Minuten reduziert werden. Ursprünglich war die Kooperation 2017 ebenfalls mit 30 Freiminuten gestartet. Als Entgegenkommen wegen zwischenzeitlich mangelhafter Qualität wurden die Freiminuten auf 60 erhöht. Der Schritt zurück wäre augenscheinlich eine Verschlechterung gegenüber dem Status quo gewesen, der auch in den Verhandlungen ausführlich diskutiert wurde.
Aus fachlicher Sicht sollte damit eine höhere Radverfügbarkeit erreicht werden, weil Räder weniger lange geparkt werden. Die Räder sollen vor der Mensa zurückgegeben werden, anstatt diese für 30 Minuten während des Essens zu parken und damit dem System zu entziehen. Die Reduzierung der Freiminuten ist insofern grundsätzlich nachvollziehbar, auch wenn der Effekt der Maßnahme nach meiner persönlichen Einschätzung überschaubar sein dürfte. Wer gelegentlich länger als 30 Minuten am Stück radeln möchte, kann bereits seit August letzten Jahres für jede Rückgabe an einem MOBIpunkt zehn Freiminuten sammeln, womit eine Ausgleichsmöglichkeit geschaffen ist.
Einzugsgebiet
Die Ausleih- und Rückgabestandorte von MOBIbike entsprechen nicht ganz denen von sz-bike. Nicht jede Veränderung ist allerdings eine bedeutsame Verschlechterung. Im Südosten der Stadt sind acht Stationen nicht mehr angebunden. Auf diese Stationen entfielen jedoch weniger als ein Prozent der studentischen Ausleihen. Außerdem gilt die Faustformel: Je größer das Gebiet bei der gesetzten Anzahl von 1.000 Rädern ist, desto schlechter wird die Radverfügbarkeit.
Der leichten Verschlechterung stehen spürbare Verbesserungen gegenüber. Einige Stadtviertel sind neu erschlossen, so etwa Teile von Löbtau, Pieschen, der Neustadt, Plauen sowie der Sportpark Ostra. Zudem hat sich das Grundkonzept verbessert: Im sz-bike-System gab es eine flexible Rückgabezone in der Innenstadt und Stationen im weiteren Stadtgebiet. Mit den neuen Rückgabestraßen kann man in weiten Teilen der Stadt näher zum eigentlichen Ziel radeln. In die Konzeption des neuen Verleihsystems war das Referat Mobilität des StuRas eingebunden. Dadurch sind z. B. der Hauptcampus der TU Dresden und die Medizinische Fakultät besser erschlossen als früher.
Statt wie bisher nur Dresden und Leipzig wären künftig zudem deutschlandweit fast alle nextbike-Systeme inkludiert gewesen. Darunter fallen Berlin, Erfurt, Frankfurt, Dortmund, Köln u. v. m. Wenige Städte, wie München und Nürnberg, wären aus vertraglichen Gründen ausgeschlossen gewesen.
Nutzungsstatistik
Die bisher durch nextbike dem StuRa zur Verfügung gestellte Nutzungsstatistik könnte besser sein. Mit dem neuen Vertrag wurde auch in diesem Punkt eine deutliche Verbesserung zugesagt. Im ersten Jahr des Fahrradverleihsystems, also von Oktober 2017 bis September 2018, hat sich rund ein Drittel der Berechtigten registriert. Die Folgejahre können leider nicht ausgewertet werden. Grundsätzlich ist die Nutzung stark von Wetter und Vorlesungszeiten abhängig und lag bei sz-bike zwischen 9.000 und 37.000 Ausleihen je Monat. Im September 2020 lag die Anzahl der Ausleihen mit rund 18.000 doppelt so hoch wie im Vorjahr – trotz Corona und eines zwischenzeitlichen Ausfalls der Neuregistrierung. Dieser Trend hat sich auch in den Folgemonaten bestätigt.
In der Diskussion im StuRa-Plenum wurde vereinzelt bemängelt, dass nicht ausreichend Daten zur Verfügung stehen, auf wie viele aktive Accounts die Ausleihzahlen zurückgehen. Dahinter steht die Frage nach der Erwartung an eine Ergänzung des „klassischen“ Semestertickets, die einen Bruchteil des klassischen Tickets kostet: Müssen alle gleich stark profitieren? Oder ist es auch okay, wenn die erste Person das Fahrradverleihsystem intensiv nutzt, die zweite dafür intensiv die Straßenbahn und die dritte beides ab und zu?
Die Gesamtakzeptanz wäre im Sommer 2021 anhand einer Umfrage unter den Studierenden überprüft worden, ebenso hätte man zu diesem Zeitpunkt anhand einer aussagekräftigeren Statistik prüfen können, ob Kosten und Nutzung in einem akzeptablen Verhältnis zueinander stehen. Darüber hinaus hätte eine Kündigungsmöglichkeit des Vertrages bestanden.
Besonders vom Fahrradverleihsystem profitieren dürften Austauschstudierende, die vermutlich nur selten ein eigenes Fahrrad besitzen. Aber auch als Besitzer eines eigenen Rades finde ich das Verleihsystem nützlich: auf dem Weg zum Bahnhof, wo man das eigene Rad ungern abstellt, für den Weg in der 20-Minuten-Pause über den Campus, als Zweitfahrrad für Besuch oder nachts für den Weg nach Hause.
Qualitätsaspekte
Während das sz-bike-System mit einem manchmal unbefriedigenden Zustand der Räder und im Unibereich oft leeren Stationen aufgefallen ist, hat sich diese Situation mit MOBIbike gebessert. Wie groß die Verbesserung ist, kann sich erst im normalen Betrieb nach Corona zeigen. Die Radanzahl in Dresden hat sich von rund 500 auf 1.000 verdoppelt, die Räder haben sieben statt drei Gänge und es kümmern sich spürbar mehr Mitarbeitende um Reparatur und Umverteilung der Räder.
Aus der Erfahrung des vorherigen Vertrages war es Wunsch des Referates Mobilität, möglichst konkrete Qualitätskriterien festzuschreiben, etwa wie schnell leere Rückgabebereiche aufgefüllt werden. Klar ist aber auch, dass es weder bezahlbar noch ökologisch sinnvoll ist, jeden Tag hunderte Fahrräder im Transporter den Berg zum Hauptcampus hinaufzufahren. Eine detaillierte Qualitätsvereinbarung sollte nicht sofort, sondern erst mit den Erfahrungen des neuen Systems im Sommer 2021 geschlossen werden. In einem gewissen Maße hätte der StuRa die Katze im Sack gekauft. Wäre es bei der Qualitätsvereinbarung zu keiner akzeptablen Übereinkunft gekommen, wäre eine Kündigung möglich gewesen.
Wichtig ist zudem das Verständnis, was ein Fahrradverleihsystem leisten kann: Eine gute Ergänzung zu Fußweg, Bus und Straßenbahn, die einen häufig schneller und gerade nachts ohne lange Wartezeit ans Ziel bringt. Während ein Fahrplan eine Mobilitätsgarantie bietet, steht das nächste Fahrrad aber manchmal einige Straßen entfernt. Die Reservierungsfunktion in der App ermöglicht aber immerhin eine kurzfristige Planbarkeit.
Preisgestaltung
Zu den größten Kritikpunkten zählte der Preis. Dieser sollte gemäß dem Verhandlungsergebnis zunächst von 2,40 auf vier Euro im Sommersemester 2021 und anschließend auf fünf Euro je Semester steigen. Das war mehr, als sich das Referat Mobilität und das Plenum als Ziel gesetzt hatten. Der Gegenwert von zwei Essen in der Mensa über ein Semester ist allerdings nicht viel. Nimmt man wiederum den Preis des alten Systems oder anderer Unikooperationen als Maßstab, ist der angebotene Preis hingegen sehr hoch.
Löst man den Blick von der Vergangenheit und dem Vergleich mit anderen Unikooperationen, ist der Preis akzeptabel. Denn Fahrradverleihsystem ist nicht gleich Fahrradverleihsystem. Die Anzahl an Fahrrädern (je Studi) ist zumindest schon eine aussagekräftigere Größe. Einmalig irgendwo Fahrräder hinzustellen und nur das Nötigste zu machen, ist günstig. Für ein gutes System braucht es aber auch eine Werkstatt mit Material und ausreichend Mechaniker:innen. Außerdem Fahrer:innen für die Transporter, einen Kundenservice, Mitarbeitende in der Verwaltung und ein IT-System für die Ausleihe. Zudem ist nach vier Jahren ein Inflationsausgleich nachvollziehbar.
Zudem dürfte das Fahrradverleihsystem Bus und Straßenbahn der DVB entlasten. Damit hätten die Semesterticket-Verhandler gute Argumente, einen vor Jahren akzeptierten kleinen Preisaufschlag auf das VVO-Semesterticket weg zu verhandeln. Perspektivisch könnte also ein Teil der Kosten des Fahrradverleihsystems durch eine Preissenkung des VVO-Semestertickets kompensiert werden.
Empfehlung der Verhandler
Auch wenn mehr Transparenz bei den Kosten des Systems für die Abstimmung hilfreich gewesen wäre, hielten wir als Verhandler das Gesamtpaket letztlich für akzeptabel und haben dem Plenum empfohlen, dem Vertrag zuzustimmen. Um es auf eine kurze Formel zu bringen: doppelter Preis, doppelte Radanzahl, doppelte Nutzungszahlen und deutlich bessere Qualität. Gleichzeitig Halbierung der Freiminuten mit Ausgleichsmöglichkeit, dafür eine deutschlandweite Nutzung.
Die Entscheidung
Wäre das Angebot von einer Mehrheit der abstimmenden Mitglieder abgelehnt worden, wäre die Interpretation klar: ein schlechtes Verhandlungsergebnis, das nicht mehrheitsfähig ist.
Die Abstimmung endete allerdings mit einer deutlichen Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Fortführung der Kooperation – und trotzdem gibt es vorerst keine mehr. Eine Konstellation, die in vielen Mails an den StuRa auf Unverständnis stieß. Gleichzeitig begann die Diskussion um die Deutungshoheit. Manche drückten ihr Unverständnis über diese StuRa-Entscheidung aus, wieder andere meinten, der StuRa müsse die Entscheidung des Plenums nach außen verteidigen und die Argumente gegen das Fahrradverleihsystem herausstellen. In der Rundmail an die Studierenden wurde schließlich lange um jede Formulierung gerungen.
Persönlich halte ich die Nein-Stimmen teilweise für eine emotionale Entscheidung, die aus dem Gefühl resultiert, eine Preissteigerung nur im moderaten Verhältnis zum alten Preis zu akzeptieren. Wenn sich der Preis verdoppelt, die Freiminuten aber halbiert werden, müsse man doch übers Ohr gehauen worden sein.
Im Nachhinein wurde auch viel über die sieben Plenumsmitglieder spekuliert, die nicht abgestimmt haben. An eine Abstimmung, bei der alle Plenumsmitglieder teilgenommen haben, kann ich mich aber trotz langer Tätigkeit im StuRa nicht erinnern. Auch wenn sich insgesamt viele Menschen in der studentischen Selbstverwaltung engagieren, wird insbesondere die Arbeit im StuRa von vielen als anstrengend wahrgenommen. Manch ein Fachschaftsrat (FSR) hat Probleme, Menschen für das StuRa-Plenum zu finden, sodass manch ein:e Vertreter:in länger im Amt bleibt, als er:sie es gut leisten kann. Besser jemand, der:die das Amt halbherzig ausfüllt, als niemand.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Demokratie und Diskussion mit fast 40 Menschen ist oft anstrengend. Menschen, die Dinge kompliziert machen oder auf persönlicher statt auf einer Sachebene argumentieren, gibt es vereinzelt auch in der studentischen Selbstverwaltung. Trotzdem macht es Spaß, bringt einen selbst weiter – und den Umgang mit schwierigen Persönlichkeiten zu lernen ist ein unschätzbarer Startvorteil für das spätere Berufsleben.
Wie es weitergehen könnte
Eine erneute Abstimmung zum Fahrradverleihsystem scheint angesichts der Rückmeldungen aus der Studierendenschaft wahrscheinlich. Als Basis könnte eine Umfrage unter den Studierenden dienen. Auch hier läuft bereits die Diskussion, ob es wie bisher beim Semesterticket eine nicht bindende Abstimmung unter den Studierenden werden soll oder mehr eine Studie, in der auch versucht werden soll, die Position derjenigen einzubeziehen, die nicht an der Umfrage teilnehmen.
Eine Entscheidung für das Wintersemester 2021/22 müsste auf Grund der eingangs erwähnten Fristen spätestens im März angestoßen werden und im April fallen.
Text: David Färber
Transparenzhinweis: Der Autor dieser Zeilen war seit 2013 im StuRa aktiv, hat mit ein paar Pausen bis Anfang 2021 dem Plenum angehört, die eine oder andere Semesterticket-Verhandlung geleitet, 2017 das Fahrradverleihsystem eingeführt und zuletzt den Vertrag für das neue Fahrradverleihsystem mit verhandelt.
Foto: Amac Garbe
Ein Gedanke zu “Semesterticket: Warum MOBIbike wegfällt”