Es gibt viele tolle Begleiter im Alltag: Sei es der Familienhund, der fröhlich neben einem herdackelt, das Handy, was einen mit der aktuellen Lieblingsmusik versorgt, der To-Go Becher, der den heißgeliebten Kaffee warmhält, oder der beklebte Kalender, der einen nur ganz selten einen Termin vergessen lässt. Meine alltägliche Begleitung ist nicht bunt, sondern unsichtbar und leider gar nicht so nützlich wie ein To-Go Becher: meine stets anwesende Unsicherheit.
Dank ihr brauche ich für tagtägliche Erledigungen doppelt so lange: Nachdem ich mich mehrmals umgezogen habe, unsicher darüber wie kalt es draußen ist, mache ich mich auf den Weg zum Supermarkt. Zitternd und dankbar über die Wärme komme ich im Laden an. Nun stehe ich eine halbe Stunde vor den endlosen Kaffeesorten, um zu überlegen, welche wohl die richtige für mich ist. Aus lauter Überforderung entscheide ich mich für das Sonderangebot. Gefühlte drei Stunden später habe ich meine fünf Lebensmittel beisammen und stehe an der Kasse. „Bar oder mit Karte?“ Ich brauche etwas, um mich zu entscheiden: Unsicher darüber, ob ich mein Bargeld heute noch anderweitig brauchen könnte.
Auf dem Rückweg eine WhatsApp-Nachricht: „Ja, heute Abend passt.“ Kein Smiley. „Enthusiastisch ist das ja nicht grade“, denke ich mir und gehe in meine Wohnung. Ob meiner Freundin das Treffen heute Abend doch nicht so gut passt? Sollte ich fragen, ob wir es lieber verschieben sollen? Was wohl mit der Nachricht gemeint ist? Steht hinter der Nachricht „Ja, ich freue mich, heute Abend passt!“ oder eher „Na ja, muss ja, das passt …“? Während ich darüber nachdenke, setze ich das Wasser für einen Kaffee auf und bemerke, dass ich aus Versehen Kaffee mit Karamellaroma gekauft habe. Genervt und leicht am Verzweifeln hake ich bei meiner Freundin nach, ob es ihr morgen besser passen würde.
Während ich auf die Antwort warte, checke ich meine E-Mails und verfasse die Antwort auf die Nachfrage meines Dozenten, was denn jetzt mein Seminararbeitsthema sein wird. Ich lösche den Entwurf und fange noch mal an. Nach drei Versuchen gebe ich auf und schlürfe meinen unerwartet gut schmeckenden Karamellkaffee. Mein Handy vibriert, eine Nachricht meiner Freundin: „Nein, alles gut, heute Abend passt.“ „Das muss sie ja schreiben“, flüstert meine stetige Begleitung mir zu. Mal schauen, wie es wird.
Auf dem Weg zum Treffpunkt überlege ich mir, ihr einen kleinen Blumenstrauß mitzubringen. Falls ihr das Treffen doch eher ungelegen kommt, habe ich wenigstens ein nettes Mitbringsel, und wenn sie sich nicht über mich freut, dann wenigstens über die Blumen. Beim Blumenhändler meines Vertrauens bemerke ich, dass ich nicht mehr genügend Bargeld habe. Zum Glück erlässt mir der nette Verkäufer die fehlenden 10 Cent. Auf den letzten Metern zum Ziel gehe ich in meinem Kopf mögliche Gründe durch, warum meine Freundin mir böse sein könnte oder ob meine stetige Begleitung mich alles anzweifeln lässt.
Angekommen strahlt mich meine Verabredung an und umarmt mich herzlich. Verwundert nimmt sie den Blumenstrauß entgegen und fragt nach dem Anlass. Ich erzähle ihr, lachend und erleichtert über ihre freudige Begrüßung, von meinem Tag mit meiner treuen Begleiterin.
Mit der Unsicherheit ist es nämlich so: Sie beansprucht zwar keinen Platz in der Tasche, aber umso mehr Gedanken und Zeit. Sie lässt alles hinterfragen und anzweifeln. Das ist anstrengend, aber sie lässt mich, wenn ich mir die Zeit nehme, sorgfältig und umsichtig sein. Sie sensibilisiert mich für mein Umfeld und meine Bedürfnisse und schenkt mir auch immer wieder unerwartete Begegnungen und Erfahrungen. Sie lässt mich beim nächsten Kaffee-Einkauf geduldiger mit mir sein und erinnert mich daran, dass es nette Menschen gibt, die alle Fünfe auch gerade sein lassen. Sie fordert mich dazu heraus, mehr Vertrauen in mich und meine Freundschaften zu haben, und veranlasst mich jeden Tag, etwas mutiger zu sein.
Text: Anika Radewald
Foto: Amac Garbe