Wie viel hast Du heute schon getrunken? Ich meine nicht Wasser, Tee oder einen Smoothie. Ich meine C₂H₆O – Ethanol. Wahrscheinlich nicht pur, sondern mit dem Geschmack roter Trauben, grünen Hopfens oder beiger Gerstenkörner. Wie viele Gläser sind Dein Maß?
Alkohol und ich, wir hatten lange Zeit gar keine Beziehung. Es gibt von mir keine Anekdoten, dass ich mich mit Mon Cherie vollgefuttert oder mal zur falschen Flasche gegriffen habe. Keine Hassbriefe im betrunkenen Zustand und leider auch keine guten Texte. Es gibt nur die von dem Handy, das in Kombination mit einer Granitplatte und der physikalisch besten Höhe den Weg des finanziell dümmsten Ausgangs nahm und sich in die Tiefe der Nacht stürzte – befeuert von einem alkoholgeschwängerten „Isssss mir egal!!“. Peinlicher wird es nicht, denn von zu viel Alkohol wird mir meist eher schwindlig, als dass ich irgendwelchen Blödsinn machen kann.
Jedenfalls hab ich mich an Alkohol rangetastet – „alle“ haben es gemacht und ich habe schluckweise probiert. Habe mich durch Sorten und Mengen getestet und festgestellt, dass es keine Regel gibt. An manchen Abenden trinke ich zwei kleine Gläser, an anderen signalisiert mir mein Körper nach einem Schluck bereits, dass er keine Lust hat. Es gibt Abende, an denen ich gern Wein trinke, und solche, an denen ich gern Rum mag, und solche, an denen ich gar nichts trinke. Es kann sogar vorkommen, dass mir dieselbe Weinsorte in unterschiedlichen Situationen komplett unterschiedlich schmeckt.
Ich trinke, weil ich den Geschmack mag. Weil durch den Umwandlungsprozess von Saft in Alkohol auch Geschmacksstoffe entstehen, die ich vielfältig finde. Weil die Hitze, die durch den Reiz hervorgerufen wird, den Genuss sogar verstärkt. Dieses Empfinden führt in der Praxis zu Vor- und Nachteilen. Ich bin mit wenig zufrieden, manchmal reichen mir zwei Schlucke und ich bin glücklich. Dann ist das Glas aber noch halb voll. Außerdem ist es schwer, alkoholfreie Alternativen zu finden, die ähnlich interessant schmecken. Denn die Getränke-Karte ist ist den meisten Restaurants eher simpel.
Allerdings trinke ich nicht, um mich in sozialen Situationen besser zu fühlen. Wenn ich auf einer Party bin und keinen kenne, kann mich der Genuss von Alkohol kurz ablenken, aber er macht mich nicht zu einem besseren Gesprächspartner. Er gibt mir keine Selbstsicherheit. Er gibt mir nur die Unsicherheit, dass ich auf dem Heimweg von einem Auto überfahren werden könnte, weil ich nicht richtig aufpasse. Und ich habe das Glück, dass das in meinem Umfeld keinen interessiert. Natürlich werde ich auf Grillfeten gefragt, ob ich „wie immer“ ein Glas Wein trinke – aber wenn ich keine Lust habe, ist das auch okay. Ich bin froh, dass es keine Situationen gibt, in denen ich trinken muss, um dazuzugehören.
Ich kenne das, dass man mit Alkohol besondere Situationen feiert. Das beginnt ganz einfach bei einem Glas Sekt zur Firmenfeier und endet im Restaurant, in dem das Bier den Besuch vermeintlich noch schöner macht. Obwohl nicht klar ist, was die gesellschaftliche Vorgabe ist und was Genuss.
Die Werbung macht es nicht einfacher: An Haltestellen erinnern uns Plakate mit Leuchttürmen daran, dass man nur dann ein guter, mutiger Mann ist, wenn man Bier trinkt. Und dass zum Vorglühen bei Frauen immer ein Gläschen bunter Sekt gehört. Keine After-Work-Party ohne das passende Trend-Getränk.
Auch in der Literatur ist es gang und gäbe, dass von Liebeskummer geplagte Heldinnen ihren Frust mit Alkohol ertränken – scheinbar ist das eine automatische Reaktion des Körpers, wenn man verlassen wird. Oder Männer auf Partys, die im Bierrausch mit anderen Männern knutschen. Aus dramatischer Sicht verständlich, denn das löst einen Konflikt aus und der Leser weiß bis zum Höhepunkt nicht, ob sich die Figuren wirklich wollen. Für den Leser aber das völlig falsche Signal – dass dumme Taten gerechtfertigt sind, solange sie im Rausch passieren. Und dass Betrunkene immer die Wahrheit sagen.
Im Gegensatz dazu ein paar Mal jährlich die Kenn-dein-Limit-Kampagne, die uns aufklärt, wie peinlich und gefährlich Alkohol werden kann.
Und vielleicht ist es das, was in mir einen Zwiespalt auslöst: Dass wir als Gesellschaft nicht über Zwischentöne reden können. Es gibt Werbung, die Alkohol heroisiert, soziale Gruppen, die ihn tolerieren, und es gibt Menschen, die ihn verteufeln. Aber letztlich kann und sollte jeder selbst entscheiden, ob und wie viel er trinken möchte. Ob es der Abend, die Situation wert ist, dass man dafür ein Stück seiner Persönlichkeit und ein paar Gehirnzellen ausschaltet. Wir sollten nicht trinken, um einem Ideal zu entsprechen, um dazuzugehören oder anderen zu gefallen. Wir sollten nicht trinken, weil wir denken, es sei normal oder weil wir uns betäuben wollen. Sondern weil wir das in dieser Situation mit all seinen Konsequenzen tun wollen.
Text: Vivian Herzog
Foto: Amac Garbe