„Was willst Du später mal studieren? Geschichte? Bist Du Dir sicher? Werd doch lieber Anwalt!“ Drei Jahre lang habe ich vor Studienbeginn eine altmodische Ausbildung absolviert. Natürlich war sie sehr BWL-lastig. Irgendwas mit Wirtschaft ist schließlich immer gut. Wahrscheinlich kennt kaum jemand den Ausbildungsberuf „Steuerfachangestellte*r“. Doch auch wenn der Name Programm ist, war lange nicht alles, wie ich es erwartet hatte.
Einige Kolleg*innen waren schwierig im Umgang und das Kaffeekochen ging mir irgendwann auch auf die Nerven. Ich wurde mit vielem konfrontiert, bei dem ich dachte: Das hätte ich bereits während des Abiturs lernen sollen: wie viel Urlaub mir zusteht, welche Regelungen für Minijobs gelten, was beim Arbeitsschutz zu beachten ist oder was ich mache, wenn mein Betrieb vorübergehend in einer polizeilichen Sperrzone liegt. Okay, das mit der Sperrzone ist vielleicht etwas dick aufgetragen.
Trotzdem fand ich mich 2018 in einer unangenehmen Situation wieder, als der Bombenfund in Dresden-Löbtau mich vor diese Frage stellte. Während der Ausbildungszeit gab es viele dieser Momente, in denen ich einfach nicht wusste, was meine Vorgesetzten von mir erwarten. Wo sich andere enthusiastisch in das allgegenwärtige Paragraphengewitter stürzen, saß ich nur da und sinnierte über den Sinn des Lebens. Oder noch besser: den Unsinn. Der praktische Teil meiner Ausbildung hinkte um fast ein ganzes Lehrjahr hinterher, weil Dinge wie Ordner zu beschriften oder den Empfang zu organisieren meinem Betrieb lange Zeit wichtiger waren. Die technische Ausstattung meiner Berufsschule hatte die DDR ins 21. Jahrhundert getragen. Und zu allem Überfluss fand die Abschlussprüfung auf dem ehemaligen Gelände einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft statt. Von einem leicht würzigen Eau de (Rinder-)Toilette getragen, waren die drei Teile der Prüfung natürlich ein Kinderspiel.
Diese abschreckenden Erfahrungen beflügeln mich heute, elanvoll Geschichte zu studieren. Die Entscheidungen, Missgeschicke, Kriege, Erfindungen und Philosophien, die zur Entstehung unserer Gegenwart beitrugen, faszinieren mich. Es ist spannend, alte Akten in verstaubten Archiven aufzustöbern; Texte in den Händen zu halten, die vielleicht seit Jahrhunderten niemand mehr gelesen hat; feine Details zu finden, die hin und wieder mein Bild einer ganzen Epoche verändern; oder einfach nur über einen mir bisher unbekannten Handlungsstrang der Vergangenheit zu stolpern. Schon die Vorstellung reicht aus, um mir eine Gänsehaut über den Rücken zu jagen und ein wenig Indiana-Jones-Feeling aufkommen zu lassen.
Mittlerweile ist es mir egal, dass viele klassische Geisteswissenschaften heute nicht mehr als die beste Berufswahl gelten, denn jede Entscheidung ist irgendwie die richtige, weil schließlich niemand wissen kann, was die Zukunft bringt. Auch wenn meine Familie regelmäßig mit mir darüber diskutiert; auch auf die Gefahr hin, letztendlich zu scheitern. Es ergibt für mich keinen Sinn mehr, einem Ziel hinterherzujagen, das nicht mein eigenes ist. Denn am Ende schreibt schließlich jede*r seine*ihre eigene Geschichte.
Text: Johannes Knop
Foto: Amac Garbe
Ein Gedanke zu “Eine lange Geschichte”