Michael Klier fragt in seinem neuen Film „Idioten der Filme“ nach dem Umgang mit den Schwachen in unserer Gesellschaft.
Ginnie (Lilith Stangenberg), das Nesthäkchen unter fünf Geschwistern, ist geistig behindert. Die vergangenen Jahre hat sich ihre Schwester Heli (Jördis Triebel) um sie gekümmert, die dafür jedoch ihre Karriere als Künstlerin vernachlässigen musste. Nun will sie ihre Freiheit und ihr eigenes Leben zurückgewinnen, weshalb sie plant, Ginnie in ein Heim zu geben. Am letzten Wochenende im Elternhaus am Rande von Berlin kommen noch einmal die Brüder Bruno (Florian Stetter), Tommie (Hanno Koffler) und Frederik (Kai Scheve) zu Besuch, um gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester Zeit zu verbringen. Dabei erleben sie, wie unberechenbar das Verhalten dieser sein kann.
Eineinhalb Stunden kreist der Film um die fünf Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Nur wenige Szenen spielen außerhalb des elterlichen Grundstückes, nur eine Handvoll weiterer Personen tritt sporadisch in Erscheinung, umso mehr ist der Fokus auf die Geschwister gerichtet. Da ist Heli, die sich für ihre behinderte Schwester aufgeopfert hat und dabei nie auf die Hilfe ihrer Brüder zählen konnte. Da ist Frederik, erfolgreicher Klassikmusiker, ein Karrieremensch schlechthin und stets auf neue Affären aus. Außerdem sind da Tommie, ebenfalls Musiker, der sich mit Jazz auf den Straßen sein Geld verdient, und Bruno, ein Einzelgänger, dessen Unentschlossenheit sowohl sein berufliches als auch sein privates Leben bestimmt. Und schließlich ist da Ginnie, grandios gespielt von Lilith Stangenberg („Wild“), die in ihrer ganz eigenen Welt zu leben scheint.
Produzent und Regisseur Michael Klier, der auch am Drehbuch beteiligt war, ist an diesen Charakteren ganz nah dran. Wie einfühlsam er dabei mit der Thematik umgeht, verwundert nicht: Klier selbst kümmert sich mit mehreren Geschwistern um eine geistig behinderte Schwester. So zeigt der Film eindrücklich, wie jeder der Beteiligten auf eine andere Weise mit seinem eigenen Leben kämpft und zwischen Egoismus und Bequemlichkeit zum Teil das Wohl der benachteiligten Schwester vernachlässigt wird. Die innere Zerrissenheit der Protagonisten greift unweigerlich auch auf den Zuschauer über, der sich der Frage ausgesetzt sieht, wie er selbst in einer solchen Situation handeln würde. Was wiegt höher? Die freie Ausgestaltung des eigenen Lebens oder die Verantwortung für die Schwachen in der Gesellschaft, besonders in der eigenen Familie?
Zugleich wirft der Film die Frage auf, was eigentlich normal ist. Wie schon der Plural im Titel andeutet, verhält sich oft nicht nur derjenige „idiotisch“, von dem man es vielleicht zunächst erwarten würde. Vielmehr ist es Normalität, dass jeder einmal der Idiot ist. Diese Erkenntnis ist wichtig und sollte bedacht werden, bevor man andere Menschen verurteilt oder ausgrenzt. Mit „Idioten der Familie“ ist Michael Klier also ein Film gelungen, der gleich auf zwei Ebenen zum Nachdenken anregt und auch durch das hervorragende Ensemble überzeugt.
Text: Marie-Luise Unteutsch
Zum Foto: Ginnie lebt in ihrer eigenen Welt – eine Herausforderung für ihre Geschwister.
Foto: Nadja Klier