Campuskolumne

Laufen müsste eigentlich furchtbar langweilig sein. Man läuft so durch die Weltgeschichte, einen Fuß vor den anderen, vielleicht mal eine Kurve, vielleicht mal eine Kreuzung, aber an und für sich macht man kilometerlang das Gleiche. Irgendwann hat man fast alle Straßennamen im Kopf (na ja, gefühlt) und erkennt jeden Waldweg beim ersten Schritt. Und dann ist man, von Sängern und Podcasts im Ohr mal abgesehen, auch noch allein.

Laufen ist aber nicht langweilig.

Natürlich muss jetzt die Ode an das Laufen kommen, Ihr kennt das. Freiheit, Bewegung, Flow – da geht alles Zeitgefühl verlustig. Oft werde ich das erste Mal mit einer Uhr konfrontiert, wenn ich für die obligatorische Laufdokumentation auf Instagram stehen bleibe und aufs Handy schaue.

Vor allem aber lernt der Läufer, mit sich selbst vorliebzunehmen.

Er selbst hat, erstens, einen Körper. Natürlich ist der gestählt und gesund, aber irgendwas zwickt bei einem Großteil der Läufer doch immer. Sagen Statistiken. Ich gehöre zu dieser schmerzenden Mehrheit. Also grüble ich erst übers Ziehen im Fuß, dann über die Frage, warum mein linkes Bein das Leben härter findet als mein rechtes, dann werden auch schon die Arme schwer. Wenn ich im Kopf angekommen bin, geht es von unten wieder los – oder ich bin schon am Ende (der Runde).

Er selbst ist, zweitens, ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Lässt ausreden, hält sich kurz, widerspricht nicht. Reden geht natürlich nur, wenn die Luft reicht. Wenn die Beine platzen und die Lunge birst, scheint Langeweile ein Luxus. Im Dauerlauftrott aber ist nichts in der Umgebung vor meinen Kommentaren sicher. Wenn Ihr mal einem Läufer begegnet, der sich in Zimmerlautstärke über Asphalt und E-Bikes aufregt oder Berge und Trails bewundert, bin das eventuell ich. Wenn dieser Läufer (scheinbar!) ohne Grund lacht, bin das auf jeden Fall ich. Irgendjemand muss meine Witze ja würdigen. Wenn Laufen einen Nachteil hat, dann wohl diesen: Man wird, nun ja, recht eigen.

Der Läufer selbst hat, drittens, Sorgen und Probleme und Stress, also: ein Leben. Beim Laufen kann man es bewältigen. Man muss sich nicht extra Zeit nehmen, um To-Do-Listen zu schreiben, um erste Sätze für Texte zu finden, um Teufel an Wände zu malen. Geht alles quasi nebenbei. Das Beste: Beim Laufen kann ich meinen Problemen nicht entfliehen, ihnen nicht davonlaufen, mich nicht stundenlang durch Schrittezählen ablenken. Ich muss Gedanken zu Ende denken. Das aber ist mit Sauerstoff und Vogelgezwitscher wesentlich einfacher als mit Büroluft und Snickers.

Laufen ist wie ein Psychiater, nur ohne Couch. Ideal, um über das Leben nachzudenken. Und das ist nicht langweilig. Garantiert.

Text: Luise Martha Anter

Foto: Amac Garbe

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