Campuskolumne

Ich bin da. In der Mitte, zwischen den Bäumen. Es könnten Erlen sein, vielleicht auch Buchen. Ich trage einen Pulli und eine kurze Hose. Vielleicht ist es Frühling, vielleicht Spätherbst oder ein warmer Wintertag. Erschöpft sehe ich aus, das Haar wirr und der Blick gequält. Vielleicht war ich im Wald spazieren, vielleicht war ich mit Freunden wandern. Oder mit meinem Partner auf dem Weg zu einem romantischen Dinner auf einer idyllischen Lichtung. Was ich erlebt habe, ist eine Möglichkeit. Was Menschen darin sehen – tausende. Und in jedem spielt sich ein anderer Film ab. Denn mein Bild ist auf Instagram. Mein Freund Peter hat es online gestellt, auf seinem privaten Profil, ohne mich vorher gefragt zu haben. Und plötzlich klingeln Glocken. Ich möchte den Bildschirm schwarz anmalen, das Internet löschen, und dann will ich im Boden versinken. Was wiegt mehr – mein Bedürfnis nach Privatsphäre oder sein Bedürfnis, sich auszudrücken?

Soziale Räume gibt es schon immer. Was heute Instagram ist, war früher das Polaroid-Bild, das man ins Fotoalbum klebte, halb verblichen und ein bisschen verschwommen. Man hat die Alben zu Festen aus dem Schrank geholt und sich gemeinsam an schöne und skurrile Zeiten erinnert. Heute ist alles schneller geworden. Mit einem Klick entscheide ich, was online geht. Und was wieder verschwindet, zumindest aus meiner Wahrnehmung. Ich kann mir nachts um zwei überlegen, dass es alle meine Freunde, und das Internet, bereichert, wenn ich auf einen riesigen Plüschpanda kotze. Ich kann morgens um neun, im Angesicht eines Katers und eines Mini-Shitstorms, feststellen, dass das keine gute Idee war. Wie weit das Bild bis dahin gekommen ist, das können wohl nur kluge Mathematiker errechnen. Mir bleibt nichts, als ihm hinterherzurufen und zu wissen, dass meine Worte nicht laut genug sind.

Als ich ein Kind war und Musikfernsehen geguckt habe, dachte ich immer, dass die Moderatoren zu mir, und nur zu mir, sprechen. Als Jugendliche hat es mich verwirrt zu erfahren, dass diese Leute eine Kamera vor sich haben, vielleicht noch einen Tontechniker und einen Regisseur. Sie sprechen in ein schwarzes Loch. Als Erwachsene sehe ich dieses schwarze Loch so, wie ich es sehen will. Und wer gerade darauf reagiert. Sind das Freunde, die es toll finden, dass ich im Wald war? Fremde, die die Bäume schön finden? Oder Bekannte, die es nicht gutheißen, dass ich spazieren gehe, während wenige Kilometer weiter Kohle abgebaut wird? Oder es guckt gar keiner hin.

Soziale Medien sind komisch. Man fühlt sich den Menschen manchmal sehr nah, manchmal sehr fern. Und so verhält man sich. Man möchte Freunden zeigen, was man im Urlaub erlebt hat. Denn es ist so einfach. Anstatt jeden anzuschreiben, stellt man es online und alle 498 Freunde sehen es. Egal, ob man täglich simst oder seit Jahren nur den Status des anderen verfolgt. Man kann anderen zeigen: Es geht mir gut. Mir selbst geht es halb gut damit. Es gibt mir ein gutes Gefühl, mich mit anderen verbunden zu fühlen. Aber es nimmt mir auch die Verantwortung, selbst in Kontakt zu treten. Es schafft Distanz. Ein Teil meiner Freunde würde mir auf das Wald-Foto wohl nur zunicken. Manche würden es kritisieren. Der Großteil würde es ignorieren, weil sie keine Zeit oder Lust haben, zu antworten. Ich flüchte ein Stück vor der Meinung der Menschen, die mir wichtig sind.

Zurück zu Peter: Peter ist ein fröhlicher Mann, der Spaß daran hat, anderen zu zeigen, was er erlebt hat. Ich belohne viele seiner Posts mit einem Herzchen und freue mich, dass er meine Welt bereichert. Trotzdem fühlte ich mich in dieser Situation sehr unwohl. Weil es ein Erlebnis war, das ich mit niemandem teilen wollte. An dem ich mich allein erfreuen wollte. Ich möchte nicht durchsichtig sein. Andererseits kann ich Peter doch nicht die Freude nehmen, seine Erlebnisse zu teilen. Sollte ich zukünftig jedem meiner Freunde eine Liste zusenden mit Situationen, in denen ich nicht fotografiert werden will? Sollte ich sie bitten, mich vor einer Veröffentlichung zu informieren oder in den Privatsphäreeinstellungen notieren, dass ich nicht markiert werden will?

Für einige meiner Freunde ist die Sache klar: Wer nicht gezeigt werden will, soll sich nicht in der Öffentlichkeit bewegen. Auf ein paar Daten mehr kommt es „jetzt“ nicht mehr an. Oder umgekehrt: Soziale Netzwerke sollte man so wenig wie möglich füttern, ihnen sogar ganz entsagen. Womit man das „soziale“ auf andere Plattformen verlegen müsste, sogar zurück in die Realität?

Ich habe keine allgemein gültige Lösung für mich gefunden. Aber ich habe Peter, ganz analog, angerufen, ihm die Sache erklärt und ihn gebeten, die Fotos zu löschen. Er konnte das gut verstehen und wir sind Freunde geblieben. Und ich habe meine Privatsphäreeinstellungen nochmals geprüft.

Und jetzt bist Du dran: Wie privat bist Du im Netz?

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

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