Wenn sich Kinos auf dem Land nicht mehr halten, dann sind mobile Lösungen gefragt.
Es regnet. Die Wolken hängen tief über dem Erzgebirge, die Landschaft changiert zwischen hell- und mittelgrau. Die Dame am Einlass des Autokinos Greifensteine am Freizeitbad bei Geyer händigt einen Zettel aus. „Der Ton kommt über das Autoradio. Frequenz auf Ukw/FM 88,2 MHz.“ Empfehlung: Verkehrsfunk ausschalten. Daneben eine Palette an Speisen und Getränken. Pizza, Bockwurst mit Toast, Kaffee. Popcorn klein, Popcorn groß, Bier. Auf der Rückseite eine Stempelkarte. Beim 11. und 20. Stempel ist der Eintritt frei.
Heute wird das Autokino wetterbedingt wohl leer bleiben, prophezeit Yvonne Nicolai. Bei „The Fast and the Furious“ ist es aber gern mal rappelvoll. Von Montag bis Sonntag werden hier Filme gespielt, von April bis Oktober. Eine zweite Spielstätte gibt es in der Alten Messe Leipzig, an der ihr Mann und Inhaber Jörg Nicolai die Stellung hält. In den 90ern hatte er auf der Naturbühne Greifensteine Freiluftkino gemacht, dann suchte er zur Jahrtausendwende nach einer wetterfesten Variante. Das Autokino war geboren.
Mittlerweile hat sich auf dem Parkplatz gegenüber vom Freizeitbad ein junges Paar in seinem Auto dazugesellt. Für ihn ist das komplett neu, sie war schon ein paar Mal hier. Die Alternative: mehr als eine halbe Stunde Fahrt nach Chemnitz oder das Clubkino in Gelenau. „Da laufen aber fast nur Kinderfilme“, sagt sie. Langsam wird es dunkel, auf der Radiofrequenz wechselt sich Rockmusik mit solcher von Hans Söllner ab. Ein Knacken verheißt den Filmstart. Es folgt: regionale Werbung.
Die Liste deutscher Autokinos ist nicht allzu lang. Im Westen und Süden Deutschlands gibt es fünf Drive-In-Kinos, allesamt im großstädtischen Raum angesiedelt oder zumindest im Speckgürtel dieser. Auch rund um Berlin gibt es Autokino, hinzu kommen vereinzelte Spieltermine verteilt in Deutschland. Umso erstaunlicher ist es, dass nur 50 Kilometer Luftlinie von Geyer entfernt ein weiteres existiert. Andreas Osse betreibt seit 1990 das Autokino Langenhessen an der Talsperre Koberbach. „Wir hatten in Crimmitschau einen Kinobetrieb und an der Talsperre ist im Sommer immer Freiluftkino gezeigt wurden. Und weil da der Parkplatz war, haben sich auch Autos mit hingestellt. Das ist ja ein Naherholungsgebiet und das Potenzial für ein Autokino war schon immer da“, erzählt der 55-jährige Osse. Von Mitte März bis Mitte November spielt er Filme, seit 15 Jahren sogar auf drei Leinwänden. Es gibt Toiletten und ein Imbissgebäude, die Angestellten sind auf Inlineskates unterwegs. Zu Filmen der „The Fast and the Furios“-Reihe veranstalten Osse und seine Angestellten zudem Tuningtreffen, bei „Fluch der Karibik“ oder dem NVA-Film gibt es Verkleidungen. Hauptsächlich Komödien, Action- und Horrorfilme nimmt er ins Programm. „Wir brauchen die kommerzielle Schiene, um solche Besucherzahlen zu erreichen, dass wir wirtschaftlich arbeiten können“, sagt Osse. In den Ferien kommen Kinder- und Familienfilme hinzu.
„Wir versuchen, die publikumsstarken Filme zu spielen. Was in den Charts aktuell in den Top 5 ist“, bestätigt auch Jörg Nicolai. Und so flimmern heute kuschlige Tiere und gruselige Friedhöfe über die Leinwand. Aber Nebel zieht auf und streut das Bild. Klitzekleine Wassertröpfchen setzen sich auf die Frontscheibe und machen den Filmgenuss schwieriger. Also Auto an und wischen. Das Problem: Abblend- und Rücklicht lassen sich nicht abschalten. Plötzlich klopft es an der Seitenscheibe, ein Schreck fährt durch die Glieder. „Ich hänge ihnen mal Tücher ans Auto, dann können sie es anlassen“, sagt Yvonne Nicolai und geht routiniert ans Werk. Das ist anscheinend nicht das erste Mal, dass jemand seine Lichter nicht ausmachen kann.
Nach den Vorteilen des Autokinos gefragt, sind sich Andreas Osse und Jörg Nicolai einig. Man kann die Lautstärke so weit aufdrehen, wie man will. Man kann quatschen, lachen und die Füße hochlegen. Man muss sich nicht hübsch machen und kann sein Baby mitbringen. Man kann rauchen, essen und trinken, ohne jemanden zu stören. „Das ist halt sehr ungezwungen“, sagt Nicolai. Der 49-Jährige habe null Motivation, im Sommer in ein festes Kino zu gehen. Das behält er sich für den Winter vor.
Die Autokinomacher, sie sind mit Herzblut dabei. Dennoch: „Im ländlichen Bereich ist es nicht leichter geworden“, sagt Nicolai. In Leipzig kann er Zuwächse verzeichnen, auf dem Land ist die Tendenz abnehmend – weil die Jugend in die Städte zieht. „Vor 20 Jahren war es genau andersherum.“ Schon zu DDR-Zeiten ist man mit dem Kinoprogramm übers Land gezogen, kann Andreas Osse bestätigen. „Da sind wir zur Talsperre, zu Bädern und Jugendeinrichtungen gefahren und haben dort Filme gezeigt“, erzählt er.
Eine Tradition, die das Camillo-Kino in Görlitz weiterträgt. Seit 2016 führt der hier beheimatete, 1994 einst von Studierenden gegründete Filmclub von der Rolle Landkinotouren durch. „Wir wollen Kino da machen, wo es längst keins mehr gibt“, sagt Vorstandsvorsitzende Franziska Böhm. Das Problem: Viele können sich die Kosten nicht leisten. Auch der Filmclub arbeitet ehrenamtlich und geht für den Rest des Jahres 2019 in Klausur, um sich personell und finanziell auf solidere Beine zu stellen. So wird auch das Fahrradkino auf dem Gelände von Rabryka in diesem Jahr ausfallen. Dabei geht es zwar vordergründig um Nachhaltigkeit, es ist aber vor allem flexibel einsetzbar. So leiht zum Beispiel auch Tim Baudermann aus Markkleeberg seine Oekotrainer samt Kinobox gern für Filmvorführungen auf dem Land aus. „Das Tolle am Fahrradkino ist, dass man es fernab eines Stromanschlusses verwenden kann. Insofern steht Veranstaltungen auf dem freien Feld nichts entgegen. Ich hatte auch einmal einen Kunden, der sich dem Wiederaufleben der Tradition des Landkinos aus der DDR gewidmet und das Fahrradkino eingesetzt hat, um mit einem alten Projektor einen Film vorzuführen. Die Möglichkeiten sind vielfältig“, sagt er.
An den Greifensteinen hat sich der Nebel mittlerweile zurückgezogen, das Bild ist klar. Die Scheiben beschlagen und der Puls steigt. Doch dieses Mal findet der Horrorstreifen kein Happy End. Yvonne Nicolai nimmt flugs die Tücher vom Auto. Es regnet.
Text: Nadine Faust
Foto: Amac Garbe