Campuskolumne

Ein herbstlicher Donnerstagabend im Albertinum, Dresden. Einige Besucher*innen haben auf den Stühlen in den ersten Reihen Platz genommen. Viele haben es sich aber auf dem „Demos“ von Andreas Angelidakis bequem gemacht, der genau dafür gedacht ist, was hier passieren soll: Austausch.

Hausherrin Hilke Wagner hat geladen. Bernd Heise, Direktor des Leonhardi-Museums Dresden, Ulrike Kremeier, Direktorin des Brandenburgischen Landesmuseums für Moderne Kunst in Cottbus, Jörg-Uwe Neumann von der Kunsthalle Rostock sowie Hans-Ulrich Lehmann, ehemaliger Oberkonservator am Dresdner Kuperstich-Kabinett, sind gekommen, um unter Anleitung von Andreas Höll vom MDR zu diskutieren: über den Zugang und den Umgang mit Kunst aus der DDR im musealen Kontext. Anlass ist die Ausstellung „Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949-1990“, in deren Rahmen im Albertinum die Veranstaltungsreihe „Wir müssen reden“ läuft.

Viel Interessantes wird an diesem Abend gesagt. Hilke Wagner hat zum Beispiel herausgefunden, dass es den Besucher*innen nicht um Sonderausstellungen und schon gar nicht um Skulpturen geht. Wenn sie DDR-Kunst sehen wollen, dann meinen die geneigten Dresdner*innen wohl vor allem Malerei. Trotzdem würde Wagner die Sammlung gern mit noch fehlender Textilkunst oder Filmen ergänzen. Generell sei ein künstlerischer Kanon etwas Temporäres und müsste immer wieder hinterfragt werden. Kunst sollte als Kunst betrachtet werden, manchmal auch einfach ohne den politischen Hintergrund, betont wiederum Neumann. In anderen Ländern sei es völlig egal, in welchem Auftrag Kunstwerke entstanden sind.

Nach einer knappen Stunde Podium wird die Runde fürs Publikum geöffnet – und schnell kommen die Fragen, warum dieses nicht gezeigt werde und wo jenes Kunstwerk sich befinde. Und überhaupt könne man sozialistische Kunst doch nicht verteufeln.

Was Ersteres angeht, finden die Kunstkenner*innen schnell Antworten: Ausleihen in andere Museen, Restaurierungen und generell haben derartige Institutionen einen Bildungsauftrag und wollen den Besucher*innen auch mal andere Werke präsentieren. Solche, die man nicht schon hundertmal gesehen hat. Solche, die zum Denken anregen. Bernd Heise bringt es auf den Punkt: „Ich erwarte von den Besuchern, dass sie sich Mühe geben!“ Ergo: Kunst sollte nicht nur aus Gewohnheit ausgestellt werden, sie dient vielmehr als Debatten- und Denkraum, wie Ulrike Kremeier betont.

Bei letzterem Vorwurf, man würde sozialistische Kunst verteufeln, herrscht erst einmal Stille – und Ratlosigkeit. Denn niemand hat das an diesem Abend getan. Im Gegenteil! Künstler*innen selbst würden die Einteilung in „staatsnah“ oder „dissidentisch“ nicht mehr wollen. Repräsentations- und Identitätskämpfe gebe es im Museum natürlich trotzdem. Man möchte jetzt aber vor allem Werke zeigen, die zu DDR-Zeiten nicht zu sehen waren, sagt zumindest Kremeier. Und überhaupt müsse man endlich das Täter-Opfer-Denken hinter sich lassen.

Hier trifft Kremeier einen wunden Punkt, wurde der Osten nach der Wende doch mit westlichen Konsumartikeln überflutet. Vom Klopapier bis zur Kunst musste alles aus dem Westen sein, die hiesigen Produkte und damit die Ergebnisse der eigenen Arbeit waren nicht mehr gut genug. Da leidet das Selbstwertgefühl. Und wer ein geringes Selbstwertgefühl hat, der befasst sich auch ungern damit. Zu fragil ist das Bild von sich selbst, um sich mit eigenen Stärken und Schwächen zu beschäftigen und die eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Vielmehr werden Probleme auf das Gegenüber projiziert, Opfer und Täter sind geboren.

Es wird also Zeit, dass „wir Ostdeutschen“ aufrecht stehen und uns selbst betrachten. Denn es ist nicht alles schlecht, was wir selbst tun oder getan haben. Aber eben auch nicht immer gut. Wenn man das erkennt, kann man vielleicht auch dem Gegenüber verzeihen.

Text: Nadine Faust

Foto: Amac Garbe

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