Campuskolumne

Das Video ist grotesk. Ein blutender Elefant wird mit einem Kran über eine Autobahn transportiert, weitere irren am Straßenrand umher. An der Leitplanke zahllose Schaulustige. Sie sehen die traurige Bilanz eines unnötigen Transports: In Spanien hat sich ein LKW mit fünf Zirkuselefanten an Bord bei einem Überholmanöver überschlagen, eines der Tiere stirbt, zwei sind schwer verletzt. Ein toter Elefant – und alle schauen hin. Sind empört und entsetzt, versehen ihr Facebook-Like mit einem weinenden Smiley.

Die Videos sind grotesk. Man sieht düstere Ställe voller verwahrloster und federloser Gestalten, blutend, schreiend. Sie bleiben in Spalten im Boden stecken, liegen unbeweglich in engen Buchten oder werden gleich geschreddert. Pro Tag werden allein in Deutschland etwa zwei Millionen sogenannte Nutztiere getötet – und die meisten schauen weg. Gehen in den Supermarkt und kaufen sich Gesichtswurst.

Die einen lieben wir, die anderen essen wir. Den einen kaufen wir teure Accessoires, um sie in die Taschen aus der Haut der anderen zu werfen. Welcher Westeuropäer würde das Fleisch eines Golden Retrievers essen? Das Verhältnis vom Menschen zum Tier als gespalten zu bezeichnen, ist nichts als eine nette Umschreibung. Es ist zutiefst widersprüchlich. Die US-amerikanische Psychologin Melanie Joy hat einen Begriff dafür: Karnismus. Er beschreibt ein unsichtbares Glaubenssystem, dass uns von Kindesbeinen an darauf konditioniert, bestimmte Tiere zu essen – und andere zu streicheln. Niemand fragt danach, warum wir eigentlich andere Lebewesen nutzen, obwohl wir hier und heute für unser Überleben nicht mehr darauf angewiesen sind. Wir tun es einfach. Tiere nutzen ist common sense. So wie Wasser nass ist. Joy beschreibt es mit den drei Ns: Normal, notwendig, natürlich. Die perfekte Rechtfertigung. Wer daran rüttelt, wird bestenfalls belächelt, ist aber meist gleich die Leib gewordene Moralkeule. Veganer wollen doch nur anderen ihren Lebensstil aufzwingen und dem guten alten Sauerbraten an den Kragen. Haben zu viel Geld und zu viel Zeit, um sich mit solchen Problemen zu beschäftigen. Sind doch nur Tiere. Krieg, Hunger, Armut: Schon mal gehört?

Das Argument ist hanebüchen: Als ob man die eine Grausamkeit negieren würde, weil man auf die andere hinweist. Doch es hat einen entscheidenden Vorteil: Wer diejenigen a priori disqualifiziert, die einen kritisieren, der muss sie auch nicht ernst nehmen. Der kann weiter behaupten, dass unser Umgang mit „Nutz“-Tieren eben der Gang der Dinge ist. The way things are.

Das mag bequem sein, hat aber fatale Folgen. Nicht nur, weil (vor allem) die industrielle Tierhaltung eine ökologische Katastrophe ist, die Wasser und Ackerfläche verschlingt, zur Resistenz gegenüber Antibiotika beiträgt, Böden und Grundwasser mit Stickstoff belastet. Sondern auch, weil jedes geschredderte Huhn, jede Kuh im eigenen Kot, jedes Schwein mit abgeschnittenem Ringelschwanz eines zu viel ist. Darauf hinzuweisen ist nicht pathetisch. Es ist ethisch.

Text: Luise Martha Anter

Foto: Amac Garbe

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