Ein Weltenbummler im Tal der Ahnungslosen

Ein Bachelor aus Ägypten, zwei Master aus Italien und Frankreich und jetzt ein Doktor in Dresden. Mohammed Radi hat mit seinen 28 Jahren vermutlich schon mehr von der Welt gesehen als mancher von uns in seinem ganzen Leben. Nun ist er in Dresden gelandet und macht hier seinen Doktor. Wie es dazu kam und wo ihn sein Weg in Zukunft hinführen wird, das hat er Campusrauschen bei einem Kaffee verraten. Für ihn gab es allerdings nichts, denn während des Ramadan fastet Mohammed als Muslim.

Zum Treffen kommt Mohammed etwas zu spät: Er war noch einkaufen für seinen Urlaub in Ägypten. Sein verschmitztes Lächeln lässt erahnen, dass er sich darauf freut, seine Geschichte zu erzählen. Dabei erweist er sich als guter Beobachter, der auch ein Auge für die kleinen Dinge im Leben hat.

Schon als er noch ein Kind war, war Mohammeds Familie ständig unterwegs. Nach seiner Geburt in Kairo lebten sie unter anderem in den USA, London, Saudi-Arabien oder auf Malta. Schuld daran war der Beruf des Vaters, der als beratender Elektroingenieur an vielen großen Bauprojekten beteiligt war. Für seinen Bachelor kehrte Mohammed jedoch nach Kairo zurück und studierte Elektrotechnik. Anschließend begann er als selbstständiger Ingenieur zu arbeiten. Doch nicht etwa in Ägypten, sondern in Kenia, Dubai, Singapur und Italien, wo er schließlich seinen Doppelmaster in Turin und Grenoble in Frankreich begann. Am Anfang war es dort nicht leicht, vor allem aufgrund von Sprachbarrieren. Außerhalb der Universität sprach praktisch niemand Englisch und auch seine Italienisch- und Französischkenntnisse ließen zu wünschen übrig. Aber dem jungen Ägypter fällt es durch seine offene und herzliche Art leicht, auf andere Menschen zuzugehen. Er weiß immer etwas zu erzählen, aber hört auch gern anderen zu. So fand er bald Freunde und lernte das Leben in Italien und Frankreich zu schätzen. „Vor allem die Gelassenheit der Italiener hat es mir angetan.“

Nach dem Master war klar, ein neues Land will erkundet werden! Dabei boten sich unterschiedliche Möglichkeiten: USA, Vietnam oder doch Deutschland? Mohammed bekam ein Angebot von National Instruments, einem amerikanischen Unternehmen mit einem Standort in Dresden, das es ihm ermöglichen wollte, am Vodafone Chair Mobile Communication Systems an der TU Dresden seinen Doktor zu machen. Da dieses Angebot auch zeitlich ganz gut passte, fiel die Wahl schließlich auf Deutschland. Im Gegensatz zu Städten wie München oder Berlin hatte Mohammed von Dresden noch nie etwas gehört. Deswegen wurden erst einmal Meinungen seiner deutschen Freunde eingeholt. Die warnten vor Fremdenfeindlichkeit in der Landeshauptstadt und brachten Mohammed dazu, sich an seinen zukünftigen Arbeitgeber zu wenden: „Ich schrieb ihnen eine E-Mail, entschuldigte mich und sagte, ich könne nicht an dem Projekt teilnehmen, weil Dresden kein sicherer Ort für mich ist.“ Nach einigen Bemühungen seitens des Lehrstuhls ließ er sich dann doch überzeugen, für ein halbes Jahr auf Probe nach Sachsen zu kommen. Heute, ein halbes Jahr später, kann er über diese Geschichte lachen, denn inzwischen ist Dresden für ihn zu einer Heimat geworden und Rassismus hat er zum Glück noch nicht erlebt.

Im Bus von Turin nach Deutschland packten ihn jedoch erneut die Zweifel. Ausgerechnet an der deutschen Grenze wurde das Fahrzeug kontrolliert. Zwei Mitreisende aus Afrika zogen die Aufmerksamkeit der Beamten auf sich. Beide hatten Probleme mit ihren Aufenthaltsgenehmigungen und wurden gezwungen, den Bus zu verlassen. Mohammed selbst wurde jedoch freundlich behandelt, als sich herausstellte, dass er für die Universität arbeiten soll.

Spät abends am Hauptbahnhof Dresden angekommen, war die Überraschung zunächst groß: Kein Mensch war mehr auf den Straßen. Die nächste Überraschung folgte gleich am nächsten Tag. Gemeinsam mit einem zukünftigen Kollegen ging es in die Stadt, um sich bei der Stadt anzumelden, ein Konto zu eröffnen und sich um eine Krankenversicherung zu kümmern. Und entgegen der gängigen Klischees über ausufernde Bürokratie in Deutschland klappte das alles an einem Tag. „In Italien braucht man für alles einen Termin, hier ging ich einfach zur Bank und hatte eine halbe Stunde später ein Konto.“ Aber auch in Dresden kommt man nur mit Englisch nicht immer zurecht, gerade außerhalb der Universität. Deshalb will Mohammed auch Deutsch lernen und hat sich dafür eine ungewöhnliche Strategie zurechtgelegt: „Ich höre sehr viel zu und spreche gar nicht, bis es irgendwann klick macht und ich mich verständigen kann.“ Mal sehen, ob das klappt …

Natürlich unterscheiden sich verschiedene Länder und Städte nicht nur im Hinblick auf die Effektivität ihrer Behörden. „In Städten wie Dresden oder Turin muss man den Tag viel besser planen. Hier muss ich immer schauen, wann ich welchen Bus und welche Bahn nehme. Wenn ich in Kairo vor die Tür gehe, um einen Freund zu besuchen, muss ich mir darüber keine Gedanken machen, denn es kommt immer was.“ Neben den klassischen Verkehrsmitteln gibt es in der ägyptischen Hauptstadt auch private Busse, die das Angebot erweitern. Und natürlich spielt auch das Wetter eine Rolle: „Vor allem im Winter will ich nicht draußen 15 Minuten auf den Bus warten, deswegen muss ich schon vorher schauen, wann er kommt.“ Auch dass es in der Dresdner Straßenbahn ziemlich still ist, war neu für Mohammed: „Ich habe das Gefühl, dass selbst Babys plötzlich ruhig werden, sobald sie in der Straßenbahn sind.“ Dafür verschwendet man hier nicht so viel Zeit, um von A nach B zu gelangen. In Kairo ist man schnell mal zwei Stunden unterwegs, meint er.

Toll an der Stadt sind auch die vielen Grünflächen und die Offenheit der Deutschen für verschiedene Küchen aus der ganzen Welt. Hervorheben will er außerdem die vielen Regeln, die es hier zum Schutz von Arbeitenden gibt: „Ich habe gelesen, dass es ein Gesetz gibt, das vorschreibt, dass jedes Büro ein Fenster haben muss. Das ist wirklich wichtig“, sagt Mohammed und lacht. So selbstverständlich scheint das also nicht überall zu sein. In Dresden hat er bereits viele neue Leute kennengelernt, etwa durch seine WG, in der er mit einem Deutschen und einem Ukrainer lebt, oder auf Exkursionen mit dem Welcome Center der Universität. War er davor im Urlaub, haben die anderen Glück. Denn dann bringt Mohammed Massen an Süßigkeiten und anderen Leckereien mit und hört nicht auf sie zu verteilen, bis die Tüten leer und alle glücklich sind.

Der Unialltag ist für ihn als Doktorand etwas anders als für den „normalen“ Studenten. Lediglich zwei Klausuren müssen geschrieben werden, um sicherzustellen, dass man auch fachlich in der Lage ist, seine Doktorarbeit zu schreiben. In Vorbereitung dafür gibt es Vorlesungen, die auch dringend nötig sind, denn in der Klausur werden Ergebnisse mit einer 1 vor dem Komma erwartet. Später leiten die Doktoranden auch Übungen für andere Studierende im Bachelor und Master. Den Großteil der Zeit forschen und arbeiten sie jedoch an verschiedenen Projekten, wie etwa 5G, dem Nachfolger von LTE, das bis zu 100 Mal schneller sein soll. Dabei steht Mohammed häufig frei, woran er als nächstes arbeiten möchte. Im Vergleich zum Studium und der Arbeit in Italien oder Ägypten wird in Deutschland ein größerer Fokus auf die Ausgewogenheit von Arbeit und Freizeit gelegt. Das hängt jedoch auch stark von der jeweiligen Universität ab. „Ich denke, die einzelne Hochschule macht da mehr aus als das Land.“ Was sicherlich jeder bestätigen kann, der schon einmal eine andere Universität besucht hat.

Wie es in Zukunft für Mohammed weitergehen soll ist klar: „Ich will ein neues Land finden! Die USA oder Lateinamerika wären interessant. Es macht immer Spaß, für zwei bis drei Jahre an einem Ort zu arbeiten und dann etwas Neues zu entdecken“, sagt er und seine braunen Augen leuchten dabei. Man kann förmlich die Sehnsucht nach der nächsten Herausforderung spüren. Sein großer Traum ist das Silicon Valley, aber rein beruflich betrachtet gibt es auch in Deutschland tolle Perspektiven, vor allem in München. Ob er irgendwann einmal sesshaft werden will, weiß Mohammed noch nicht: „Beides hat Vor- und Nachteile, aber persönlich würde ich es bevorzugen, weiter zu reisen.“ Es scheint wohl in der Familie zu liegen.

Text: Hans Leonhardt

Foto: Amac Garbe

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