Herz und Hirn für die Wissenschaft

Weltweit fand am 22. April der March for Science statt. Auch in Dresden zog es viele auf die Straße — mit einer klaren Botschaft.

Um 12:30 Uhr ist noch tote Hose. Auf dem Theaterplatz deutet nicht allzu viel auf die Demo hin, die hier eine Stunde später starten soll: der Dresdner Ableger des March for Science. Doch Prof. Michael Kobel, Teilchenphysiker an der TU Dresden und Mitorganisator der Demo, ist optimistisch: „Wir haben ja die Leute vom StuRa dabei, die sind demoerfahren.“ Tatsächlich: Keine halbe Stunde später steht die Bühne, am Lauti werden die Ordner eingewiesen, Demoschilder und Buttons verteilt. Es kann losgehen.

Ein Ziel hat der March for Science schon nach wenigen Minuten erreicht: Wissenschaft in die Mitte der Gesellschaft tragen. Vom Zwinger schallt klassische Musik herüber, eine Touristengruppe bekommt die Semperoper erklärt, Bus und Bahn rattern über das Kopfsteinpflaster am Theaterplatz. Und auf der Bühne steht der Rektor der TU Dresden und wirbt für die Freiheit der Wissenschaft.

In mehr als 600 Städten weltweit gingen die Menschen am 22. April auf die Straße, um Solidarität mit unterdrückten Wissenschaftlern etwa in der Türkei zu bekunden und für den Wert der Wissenschaft einzutreten. Gegründet hatte sich die Bewegung Anfang Januar in den USA — dank Donald Trump, seinen alternativen Fakten und Einreiseverboten, die viele ausländische Wissenschaftler betreffen. Als dann das Weiße Haus Ende Januar sämtliche Informationen über den Klimawandel von seiner Seite löschte, war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Über die sozialen Netzwerke verbreitete sich die Idee zum March for Science binnen weniger Tage um die ganze Welt.

In Dresden fand sich Teilchenphysiker Kobel Anfang März mit seinen Mitstreitern zusammen — Konstantin Macher, der Internationale Beziehungen an der TU Dresden studiert, und Florian Frisch vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik. „Aber Donald Trump gab nur den Ausschlag“, sagt Kobel. „Wir brauchen wieder einen gesellschaftlichen Diskurs. Ohne die Akzeptanz wissenschaftlicher Fakten haben wir keine gemeinsame Basis.“ Dabei sieht er auch die Wissenschaft selbst in der Pflicht: Sie müsse allen Bürgern zugänglich sein, die Wissenschaftler ihre Forschung offen kommunizieren und auch diskutieren. „Die Wissenschaft muss raus aus dem Elfenbeinturm.“ Der Wind pfeift ihm um die Ohren, es ist kalt an diesem Samstagmittag. Trotzdem hat sich weit mehr als ein Häuflein Wetterfester auf dem Theaterplatz versammelt. Viele halten Schilder mit Slogans wie „There is no alternative to facts“ oder „Für Wissenschaft! Für Demokratie!“ in die Höhe. Ein kleines Mädchen stolziert mit einem „We <3 Science“-Schild durch die Gegend.

Auch auf der Bühne herrscht reger Betrieb. Dem Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen folgen — unter anderem — die Biologin Pia Henscheid von der TU Dresden, der Generaldirektor der SLUB Prof. Thomas Bürger und der Wissenschaftsjournalist Marcus Anhäuser, der den Blog Placeboalarm betreibt. Alle werben für den kritischen Geist der Wissenschaft — aber auch dafür, dass dieser vom Labor in die Gesellschaft getragen werden muss.

Möglich gemacht hat die Demo ein breites Netzwerk von Unterstützern, das von der TU Dresden über Dresden concept bis hin zu verschiedenen Dresdner Museen und der SLUB reicht. Einen jedoch will Kobel nicht unterschlagen: den Studentenrat der TU Dresden. „Wir haben von der Demo gehört und einfach gefragt, ob wir helfen können“, sagt StuRa-Mitglied Georg Renner, während er mit einigen anderen die Bühne zusammenbaut. Der StuRa machte aber nicht nur für die Demo Werbung bei den Fachschaftsräten (FSR) und half bei der Vorbereitung. Er steuerte auch Finanzen bei — neben Spenden und einem kleinen Anteil von der deutschen Dachorganisation die einzige Geldquelle des Dresdner March for Science. Dass von der Uni gar kein Geld kam, sieht Renner kritisch: „Mit den Lorbeeren schmückt sie sich ja auch gern.“

Die Lorbeeren starten gerade ihre Route durch die Stadt, vom Theaterplatz über Neumarkt und Carolabrücke zum Ziel, der Staatskanzlei. Die Demonstrierenden sind bunt gemischt, Jung und Alt, Wissenschaftler wie die Geologin Bianca Spörle, die extra von der TU Bergakademie in Freiberg gekommen ist — und ganz normale Bürger. Er sei „spontan vorbeigekommen“, sagt ein älterer Herr. „Es ist doch selbstverständlich für einen aufgeklärten Menschen, hier mitzugehen.“

Nur: Wo sind eigentlich die Studierenden? Dem Äußeren nach zu Urteilen sind zumindest jüngere Semester eher die Minderheit. Immerhin weht eisern eine Fahne des FSR Physik im Wind. „Wir wollten den March for Science auf jeden Fall unterstützen“, sagt FSR-Mitglied Jenny Christ. „Die Resonanz bei den Studierenden war sehr positiv.“ Physik, Geologie und noch mal Physik — wer sich unter den Demonstrierenden umhört, wähnt sich mitunter auf einem „March for Mint“. Liegt Naturwissenschaftlern die Idee harter, gesicherter Fakten vielleicht einfach näher?

Der letzte Redner greift diese Kritik auf: „Die Humanities scheinen konträr zum Ansinnen des March for Science zu liegen“, sagt der Historiker Prof. Gerd Schwerhoff. Sei es doch ganz normal, zum selben Phänomen verschiedene Hypothesen zu haben — alle gut begründbar. Jedoch: „Die wissenschaftliche Diskussionskultur, das Hinterfragen und Prüfen, durchzieht die gesamte Wissenschaft.“ Doch für diese Methode muss wieder aktiv geworben werden — Zehntausende haben das an diesem Samstag auf der ganzen Welt gemacht. In Dresden blickt Michael Kobel zufrieden auf die knapp 2.000 Demonstrierenden: „Das ist ein Riesenzeichen.“ Neben ihm stehen Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange und der Rektor, beide nicken.

Text: Luise Martha Anter

Foto: Amac Garbe

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