Campuskolumne

Das deutsche Hochschulsystem ist unterfinanziert, die Unis platzen aus allen Nähten. Wie man das ändern kann? Ein ungewöhnlicher Vorschlag.

NC-Gegner haben Hochkonjunktur. Mitte Dezember hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die rigiden Auswahlverfahren bei der Medizin dem Grundrecht der freien Berufswahl widersprechen. Prompt forderte unter anderem der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) das Ende des Numerus clausus. Studieren! Für alle!

In zwei Punkten hat der fzs recht. Erstens: Der NC ist Murks. Er ist, wie es in der Neuen Zürcher Zeitung heißt, „Planwirtschaft par excellence“. Die Unis maßen sich an, mit Zugangsgrenzen in die Freiheit und Träume junger Menschen einzugreifen. Dabei ist der Abischnitt ein denkbar schlechter Maßstab: Noten sagen nur wenig über die Leistungsfähigkeit eines jungen Menschen aus. Viel zu sehr sind sie bestimmt durch aktuelle Lebensumstände, Prüfungsangst oder schlicht den Wohnort. Eine 1,0 in Bremen ist keine 1,0 in Bayern.

Der fzs hat, zweitens, mit der Forderung recht, dass die Kapazitäten an den Unis ausgebaut werden müssen. Horrorstories von Leuten mit 2,0-Abitur und 14 Semestern Wartezeit gehören erst der Vergangenheit an, wenn es genug Studienplätze gibt. Die Frage ist nur: Wo sollen die herkommen? Sollen die FinanzministerInnen der Länder alle mal kollektiv in ihren Kellern gucken, ob da zufällig noch ein paar Milliarden mit der Aufschrift „Studienplätze“ rumliegen? Wer „mehr“ fordert, muss auch Lösungen anbieten. Der fzs wartet nur mit der abenteuerlichen Idee auf, die Lehrdeputate von ProfessorInnen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in allen Bundesländern auf acht oder neun Semesterwochenstunden anzugleichen. Diese Beschäftigungsverhältnisse sollen zudem entfristet werden. So würden allein in der Medizin bundesweit 438 neue Studienplätze geschaffen werden – angeblich ohne finanziellen Mehraufwand. Das erkläre mal einer all jenen, die für das gleiche Geld mehr arbeiten sollen.

Es gibt noch eine andere Lösung: Studiengebühren. Ja, wirklich: Studiengebühren. Das arbeitgebernahe Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) schlägt die Einführung sogenannter nachgelagerter Studiengebühren vor: Die Studierenden dürften dann selbst entscheiden, ob sie die Gebühren – in einem Modellversuch in Hamburg lagen sie bei 375 Euro pro Semester – sofort begleichen wollen oder ob die Wohnungsbaukreditgesellschaft das Geld an die Unis auszahlen soll. Erst, wenn die Studierenden später eine bestimmte Einkommensgrenze überschritten haben, müsste das Geld zurückgezahlt werden. Damit wäre nicht nur die finanzielle Grundlage für einen Ausbau der Studienkapazitäten geschaffen. Nachgelagerte Studiengebühren haben sogar das Potential, das Bildungssystem gerechter machen.

Vor allem die ersten Sprossen der Bildungsleiter sind von großer Bedeutung: Kindergarten und Grundschule. Wenn hier die Qualität der Bildung stimmt, können es auch Kinder aus einem sozial schwachen Umfeld aufs Gymnasium und an die Uni schaffen. Weil aber in kaum einem Industriestaat so wenig Geld pro Kind in diese Bildungzweige investiert wird wie in Deutschland, öffnet sich hier schon die soziale Schere. Zusätzliche Gelder sind in diesen Bereichen also dringend nötig.

Durch Studiengebühren wären Länder zudem von den Kompensationszahlungen befreit, die sie bisher für den Wegfall der Studiengebühren zahlen müssen. Dieses Geld wäre anderswo sinnvoller zu investieren – zum Beispiel in die bessere Erhöhung des BAföGs. So könnte das Geld aller dafür sorgen, dass Studierende aus ärmeren Familien nicht mehr so sehr auf Nebenerwerb angewiesen sind – und mehr Zeit zum Lernen haben.

Dass all das keine Hirngespinste sind, zeigt eine Studie aus England. Dort gibt es seit 1998 Studiengebühren. Diese wurden aus genau den hier genannten Gründen eingeführt: die Unterfinanzierung der Hochschulen, die soziale Ungerechtigkeit des Bildungssystems, Hilfe für diejenigen, die sie am ehesten benötigen. Das Ergebnis der Studie: Erstens stieg das Geld, dass die Unis pro Studierendem und Jahr investieren, von 7.000 auf 10.000 Pfund. Zweitens hat sich die Zahl der Immatrikulationen beinahe verdoppelt. Und drittens ist der Anteil von Studierenden aus einem sozial schwachen Umfeld gestiegen.

Natürlich lässt sich das nicht ohne Einschränkungen auf Deutschland extrapolieren. Aber man muss darüber diskutieren. Wenn Studieren in Deutschland eine gute Zukunft haben soll, dann müssen Studiengebühren raus aus der Tabu-Ecke.

Text: Luise Martha Anter

Foto: Amac Garbe

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