Campuskolumne

Ein Besuch in Bielefeld beginnt überraschend, verläuft okay — und endet mit einer verstörenden Erkenntnis.

Es fing ja schon seltsam an: Freitagabend, 18.39 Uhr, Bielefeld Hauptbahnhof. Ungläubiger Blick auf die Uhr. Kann das sein? Der Zug — pünktlich? Tatsächlich: Auf die Minute. Schnell raus aus dem Zug, bloß nicht weiter nach Hamm. Schlimmer geht ja bekanntlich immer. Unsichere, zaghafte erste Schritte auf den Bahnsteig. Fühlt sich normal an. Mustern der Menschen in der näheren Umgebung. Soweit unauffällig. Doch dann, auf dem Bahnhofsvorplatz, entgleisen die Gesichtszüge. Schnappatmung, Zittern, Schweißausbrüche. Eine U-Bahn. In Bielefeld. Eine U-Bahn! In einer Stadt, die es doch, wie man der Wikipedia des Hörensagens entnehmen kann, gar nicht gibt. Gut, nach drei Stationen fährt sie oberirdisch weiter, die U-Bahn. Und verursacht dabei so einen Lärm, dass Telefonieren mit der Außenwelt ausgeschlossen ist.

Guckt man halt aus dem Fenster. Karstadt, Vapiano, Sportscheck. Graue Bauten treffen bunte Leuchtdioden. Deutsche Mittelgroßstadtrealität. Bisschen ruhig vielleicht, bisschen arg wenig Grün. Um die Bäume in manchen Straßen an einer Hand abzuzählen, muss man nicht einmal die Hand aus der Jackentasche holen. Bielefelder Kinder denken wahrscheinlich, dass das Wort „grün“ nur erfunden wurde, damit sie ihr Lehrer mit der Frage ärgern kann, was sich denn darauf reimt (Ergebnis nach fünf Stunden Zugfahrt: nichts). Aber das sieht man ja nachts nicht. Und im Stadtzentrum gilt ohnehin: Außen pfui, innen hui. Dort kann man sogar Kaufräusche befriedigen, wenn diese nach edlen Espressomaschinen oder Upcycling-Klamotten lechzen.

Bielefeld: eine Geht-so- oder eine Muss-ja-Stadt. Irgendwie fast schon entspannt hier. Das will gefeiert werden. Also auf in ein nettes Café an der Straßenecke — Kaffee, Kuchen, Gemütlichkeit. Die Gäste reden über Arminia Bielefeld und Tee, über Uniklausuren und gar nichts. Nichtsahnend holt man den Laptop raus, der Blick fokussiert automatisch die WLAN-Netze. Und dann das: Bundesnachrichtendienst. Eines der Netze trägt tatsächlich diesen Namen, der einen vor Furcht erstarren lässt. Jetzt ist es aus! Aus und vorbei! Irgendwas werden sie finden. Wer sucht, der findet. Filzen werden sie einen, und den armen, kleinen, unschuldigen Laptop noch dazu! Wie hieß noch dieser Romanheld, der unsichtbar werden konnte? War das nicht … Hamlet? Egal. Das Gehirn eine Blackbox. Überhaupt, warum sind die Leute hier so furchtbar ruhig und reden immer noch über Uni und Tee und Gott und die Welt? Warum schiebt hier keiner Panik? Hallo, hey, Hilfe! Die Spitzel unter uns! Die Spitzel … neben mir.

Plötzlich fügt sich das Bild: Bielefeld wird betrieben vom BND. Die Ruhe in den Straßen, die skeptischen Blicke der Menschen, die Pseudo-Normalität — alle Zweifel lösen sich in Luft auf. In die gespannte Luft einer Stadt, in der nur Überwachungsfreaks und Datenheinis leben. Und wahrscheinlich ein paar Cyborgs, die sich ihre Rundum-24/7-Überwachungskameras ins Auge haben pflanzen lassen. Die Gewissheit wirkt regelrecht sedierend, verwandelt die Panik in ein fatalistisches laissez faire. Bielefeld, ein riesiges Feldexperiment des BND. Beschädigt langjähriges Spitzeltum die Gesundheit? Wie sozial sind Spitzel? Solche Fragen werden hier erforscht, ganz sicher. Und man selbst mittendrin, als Versuchskaninchen wider Willen. Ergebnis der Studie: BND-Bielefeld wirkt auf Fremde irgendwie … nicht.

Text: Luise Martha Anter

Foto: Amac Garbe

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