Auch zur 20. Ausgabe hat die ibug eine Industriebrache umgestaltet – und woanders sollte das im Kulturhauptstadtjahr sein als in Chemnitz? Über den Sommer ist das Festival für urbane Kunst in die ursprünglichen Presto-Werke gezogen, die später von der Auto-Union AG als Zentrale genutzt wurden, heute bekannt als Audi. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände ins Krankenhaus Stadtpark umgewandelt, nach der Wende wieder abgewickelt. Seit Ende der 1990er Jahre steht es weitestgehend leer.
Ein Problem für die ibug: Verschiedene Eigentümerwechsel haben das Gelände quasi leergefegt. Material für die 70 internationalen Künstler:innen, die vor etwa einem Monat das ehemalige Krankenhaus in ein begehbares Gesamtkunstwerk verwandelt haben, war kaum vorhanden. Doch die Geschichte ist der umgestalteten Industriebrache immer noch anzusehen. Wenn auf den Türen – zumindest in Teilen – etwa das Wort „Röntgen“ zu lesen ist. Oder man in zwei alte Operationssäle lunsen kann – inklusive Froschgraffiti ohne Beine, das aber nicht heuer entstanden ist, sondern schon in den 90ern durch die Hände eines Angestellten des Krankenhauses.
Kunstvermittlung inbegriffen
Solcherlei Geschichten erfährt, wer sich bei der ibug einer Führung anschließt. Die Führungen zu den Kunstwerken finden zu festen Zeiten statt, die historischen kann man vor Ort erfragen. Zudem gibt es jeden Tag Bühnenprogramm und Biergarten im Außenbereich, ergänzt durch Workshops und Kinovorführungen.
Für all das Rahmenprogramm Zeit zu finden, ist gar nicht so einfach, erfordert doch schon die Erkundung der Räume einiges an Aufmerksamkeit. Das Museum für sächsische Fahrzeuge Chemnitz e. V. hat einen kleinen Bereich zu ebenjener Fahrzeuggeschichte vor Ort eingerichtet, an anderer Stelle wurde die Medizingeschichte erlebbar gemacht. Und zu den vergangenen 20 Jahren der ibug gibt es eine Fotodokumentation.
Von kleinen Modellen und großen Ballons
Am spannendsten ist es aber sicherlich, durch die engen Gänge zu wandeln, nach den „Schmiiniaturen“ von André Schmidt aus Leipzig Ausschau zu halten oder auch in einen Heißluftballon zu krabbeln. Marius Hess und Susann Richter, beide Studierende der Bildhauerei, wollten mittels Ballonseide die „Wolkenfabrik“ einer Industriestadt wie Chemnitz sichtbar machen – und haben sich dann vor Ort entschlossen, ihr Konzept anzupassen. Nun liegt er da im obersten Stockwerk des Haupthauses und wird mittels eines Ventilators immer wieder aufgeblasen. Kinder schmeißen sich im Inneren in die Stoffberge, draußen huschen Schatten vorbei. Und wenn die Sonne mitspielt, eröffnet sich eine gelb-grün schimmernde Farbwelt.
Spielerisch wirken auch die diversen Schaukeln, die Element Art im kompletten Gebäude verteilt hat. Mal gar nicht zugänglich, von Schutt umgeben, mal rund um Säulen der Bewegungsfreiheit beraubt, stehen sie für die Grenzen, die andere oder wir selbst uns immer wieder setzen. Und doch sind sie als Sitzgelegenheiten ein Ort der Begegnung und des Gesprächs, was durchaus genutzt wird.
Über Leichen stolpern
Vor allem ist diese ibug aber auch politisch. Der Gaza-Krieg ist omnipräsent und zieht sich übers komplette Gelände. Ein Werk wurde nach Antisemitismusvorwürfen sogar zensiert. Dass Kriege aber auf beiden Seiten Opfer fordern, zeigt etwa die Freizeitgruppe Gestaltung, die Kleidung mit Nummern für die zahllosen Toten versehen und Leichensäcke auf dem Boden drapiert hat. Die sind für deutsche Augen so ungewohnt, dass wir sie mitunter ignorieren und regelrecht über die Säcke stolpern.
Es gibt also viel zu entdecken auf der ibug 2025 – letztmalig zu sehen an diesem Wochenende vom 5. bis 7. September 2025. Die Onlinetickets sind nahezu ausverkauft – da hilft nur Schlange stehen. Ermäßigt kostet ein Tagesticket 10 Euro.
Text: Nadine Faust
Fotos: Matthias Pohl & Nadine Faust