Literaturtipp des Monats: Die Rassistin

Klug und scharfsinnig porträtiert Jana Scheerer in ihrem neuen Roman eine Frau, der rassistische Äußerungen vorgeworfen werden. Durchzogen von einem inneren Monolog der Protagonistin und zahlreichen Gegenstimmen ermöglicht das Buch einen kritischen Blick auf den Umgang mit Rassismus und Diskriminierung.

Nora Rischer, Vertretungsprofessorin am Lehrstuhl für Soziolinguistik am Germanistischen Institut der Uni Berlin, sitzt gerade auf dem Untersuchungsstuhl einer Kinderwunschpraxis, als sie eine E-Mail bekommt. In einem Seminar gab es einen rassistischen Vorfall von einer Lehrperson gegenüber Studierenden. Nur zwei Stunden später folgt eine E-Mail vom Universitätsdirektor. Vor dem Treffen mit dem Institutsrat sollen sich die Mitglieder des Instituts für Germanistik bei ihm melden, um über die Geschehnisse zu sprechen.

In Rischers gestrigem Seminar gab es tatsächlich einen Vorfall, doch war das rassistisch? Erst hat sie sich über einen kleinen Skandal gefreut, bis sie bemerkt, selbst Täterin zu sein. Rischer bekommt Panik, als sie auf dem Untersuchungsstuhl vergessen wird und feststellt, dass sie ganz allein in der Praxis ist und man sie dort eingeschlossen hat. Der innere Monolog wird hektischer. Denn sie sollte so schnell wie möglich zum Universitätsdirektor, um die Geschehnisse aufzuklären, statt in der Praxis festzusitzen. Doch dann entdeckt sie den roten Panikknopf und drückt ihn.

Jana Scheerers Roman „Die Rassistin“ hat ein Zeitfenster von wenigen Stunden, in denen Lesende in den Kopf der Protagonistin eintauchen. Es ist vergleichbar mit einem Gericht. Nora Rischer klagt sich selbst an, sagt gegen sich aus und verteidigt sich. Doch im Gerichtssaal sitzen nicht nur ihr nahe Menschen wie ihre Partnerin, sondern auch entfernte Bekannte aus der Vergangenheit, ehemalige Lehrer:innen. Innerhalb dieser kurzen Zeit schafft es Rischer nicht, ruhig zu bleiben, stattdessen überschlagen sich ihre Gedanken und geraten in einen Strudel voller Zweifel. Das wird durch die Struktur des Romans begünstigt und ist methodisch klug umgesetzt, etwa dadurch, dass die genauen Geschehnisse in Rischers Seminar erst peu à peu ans Licht kommen.

Diese schwarze Komödie thematisiert unterschiedliche Formen von Diskriminierung und die damit verbundene Frage, ob manche schwerer wiegen. Es werden das Bildungssystem und die aktuelle Debattenkultur kritisiert. Allein, dass Jana Scheerer nicht den Betroffenen, sondern allen anderen eine Stimme gibt, ist bezeichnend. Lesende können sich auf einen hohen Puls vorbereiten.

Text: Alexandra Caspar

Foto: Amac Garbe

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