Selbst sein, Künstlerin sein

Selfies ziehen sich durch unseren Alltag – ein verschlafenes Bild aus dem Bett, ein Schnappschuss vom schicken Konzert, ein aufgeregtes Lächeln kurz vor dem Date. Aber wie stellen wir uns dar? Wie wollen wir gesehen werden? Und was macht der Wunsch nach dem schönsten Selfie mit unserem Selbstwert? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Ausstellung „Your Selfie is Iconic“ der Künstlerin Hannah Doepke.

Die Auseinandersetzung mit ihrer Position als Künstlerin in der Gesellschaft ist wie ein roter Faden, der sich in das Schaffen Hannah Doepkes webt. Sie wurde 1996 in München geboren und ist in der bayrischen Provinz aufgewachsen. Seit 2018 studiert sie an der Hochschule für Bildende Künste Dresden Bildende Kunst. Derzeit absolviert sie ein Gastsemester im Bereich Bühnen- und Kostümbild.

Auf dem Laufsteg zur Kunst

„Gezeichnet und gemalt habe ich gefühlt schon immer. Das wurde auch von meinen Eltern gefördert. Wahrscheinlich ab der vierten Klasse war mir bewusst, dass ich Künstlerin werden wollte. Mein Vater wusste das ab dem Moment, als ich über das Wochenende bei ihm war und eine Modenschau gemacht habe, wie man auf zwölf verschiedene Arten seinen Pyjama tragen kann. Und das hat ihn nachhaltig beeindruckt“, erzählt Hannah Doepke und schmunzelt.

Später besuchte sie eine Fachoberschule mit Schwerpunkt Gestaltung. Dabei ging es vor allem in Richtung Grafik- und Kommunikationsdesign. Doch im Rahmen einiger Praktika merkte sie, dass ihr Weg hier einen Abzweig nehmen würde. Hannah Doepke stellte fest: „Ich möchte nicht für eine Firma arbeiten und dann irgendwas Schickes designen, damit das dann auch gekauft wird. Die Kunst hat viel mehr Möglichkeiten, Menschen zu erreichen, und diese Freiheit und diese Stärke.“

Von der Schule zum Studium

Die nächste Station war Wien – beim Tag der Offenen Tür der Akademie der Bildenden Künste stöberte sie durch die Gänge der Hochschule und realisierte schnell, dass die Stadt nicht zur ihr passte. „Die Leute dort waren ein bisschen hochnäsig. Das ist ein Klischee, das gar nicht stimmen muss, aber ich habe meine Befürchtung bestätigt gesehen, weil ich klein und verängstigt war und unbedingt dahin wollte. Und dann war ich total frustriert, weil es eine total blöde Erfahrung war und ich mich überhaupt nicht dort gesehen habe“, berichtet sie.

Eine Woche später fuhr Hannah Doepke zum Tag der Offenen Tür nach Dresden – und wurde beim Erkunden in der HfBK prompt auf einen Kaffee eingeladen. Die Stadt und sie funktionierten und die Künstlerin fühlte sich sofort wohl. „Der Dresdner Schlag ist ein ehrlicher, direkter. Wenn du auf jemanden zukommst, dann nimmt dich die Person wahr. Es ist kein Ort, an dem man sich total verstecken muss. Man darf schon sein, wie man ist“, sagt sie.

Was ist Zuhause?

Den Kontrast zwischen alter und neuer Heimat hat Hannah Doepke gemeinsam mit Felina Beckenbauer in „Grenzen Küssen“ verarbeitet. Bei dem 2021 initiierten Projekt stellten die beiden Skulpturen küssender Menschen gleichen Geschlechts und/oder unterschiedlicher Ethnie in den bayrischen Dörfern Schondorf, Utting, Diessen und Windach aus. „Wir sind beide ungefähr zur gleichen Zeit weggezogen und wollten wissen, was wir durch dieses Wegziehen lernen konnten, was wir gern gesehen hätten, als wir noch jugendlich und Kind waren in unserem Heimatort. Was wir gern zurückgeben wollen“, erklärt sie.

Auch das Thema Homosexualität wird auf dem Dorf kritischer gesehen als in der Stadt. Daher empfand Hannah Doepke es befreiend, nach Dresden zu ziehen. Sie erläutert: „Für uns beide war es erleichternd, in Bezug auf unsere eigene Sexualität, auf unser eigenes Selbstwertgefühl, was Frau-Sein, Partnerschaft betrifft, in die Stadt zu ziehen und dort eine Akzeptanz und ein Umfeld zu sehen, wo einfach alles möglich ist. Und Leute sich wertschätzen dafür, dass sie so sind, wie sie sind.“

Gleichzeitig erkennt die Künstlerin jedoch, dass sie, obwohl Atheistin, von ihrer christlichen Umgebung geprägt wurde. Vor allem den Symbolen, den Kruzifixen. Für sie Zeichen des Drucks, die sie umdeuten wollte. Hannah Doepke beschreibt: „Dieses Heilige, Ikonenhafte ist etwas Schönes und das sollten wir wertschätzen. Das fehlt uns im bayrischen ländlichen Raum.“

Selbstfindung

Sowohl die Stadt als auch das Studium genießt Hannah Doepke sehr. Der Anfang war jedoch nicht leicht. Im Grundstudium wollte sie sich der Malerei widmen, die Technik perfektionieren. Doch bald fragte sie sich: „Braucht die Welt wirklich noch eine Malerin? Darf ich eine Künstlerin sein? Ist das nicht egoistisch? Sollte ich nicht lieber etwas Soziales machen? Sollte ich nicht etwas lernen, bei dem ich etwas zurückgeben kann?“

Hinzu kommt, dass sich die Künstlerin von Menschen und ihrer Umgebung zu angeregt fühlt, um in Ruhe im Atelier zu arbeiten. Daher wechselte sie das Medium: von der Staffelei zu Performance, Video und partizipativen Projekten. Hannah Doepke erläutert: „Dann habe ich gemerkt, dass ich meine sozialen Bedürfnisse nicht auf die Seite schieben muss. Ich kann die Menschen einladen in meine Kunst, ich kann gesellschaftliche Fragen stellen. Dann habe ich angefangen Videos zu machen, mit Leuten zusammenzuarbeiten. Und habe darin total viel Sinn gefunden.“

Unterschiedliche Lehrstile

Die Erwartungen an das Studium selbst wurden für Hannah Doepke nur teilweise bestätigt. Sie erzählt: „Ich habe gedacht, ich habe viel mehr Input. Mit einer Person, die mir Aufgaben gibt oder sagt, was ich machen soll. Das ist gar nicht passiert. Du kriegst nur Zeit und Raum, um zu arbeiten. Wenn du alles machen willst, dann kriegst du dafür Unterstützung, aber wenn du’s nicht machst, dann tritt dir keiner in den Arsch. Ich glaube, das ist auch richtig so. Ich merke, dass es später auf dem freien Markt nicht anders sein wird.“

Einen Kontrast dazu erlebte sie beim Auslandssemester in Athen. Sie hatte nach einer Klasse gesucht, in der das Progressive, Performative im Vordergrund steht. Sie erklärt: „Ich hatte dort einen richtigen Mentor, das war manchmal auch ein bisschen too much. Der kannte alle beim Namen und war so richtig fordernd, von Montag bis Freitag. Ganz viele Präsentationen, viele Gastvorträge, Exkursionen. Es war super. Aber ich habe auch gemerkt, dass die Leute gar keine Zeit haben, ihre persönlichen Projekte umzusetzen.“ Die Entwicklung zum eigenständigen Kunstschaffenden blieb auf der Strecke. Trotzdem zieht Hannah Doepke ein neutrales Fazit: „Es kommt darauf an, was einen interessiert und wie man selbst arbeitet. Ich bin froh, dass ich beides kennenlernen durfte.“

Ausgebremst im Lockdown

Auch die Corona-Maßnahmen gingen an der Künstlerin nicht spurlos vorbei. Während bei Musiker:innen und Kleinkünstler:innen die Auftrittsmöglichkeiten wegfielen, litten die bildenden Künstler:innen unter dem toten kulturellen Leben. Sie durften die Ateliers benutzen, aber die Energie der Stadt war weg. Hannah Doepke erklärt: „Ich hatte erstmal eine totale Krise, im ersten Lockdown. Und fand es richtig schwierig, an meinem Kunstprojekt weiterzuarbeiten. Ich fragte mich: Was ist meine Rolle hier, in dieser Stadt? Was gibt die Stadt mir noch und was kann ich ihr geben?“ Ihre Zweifel waren so stark, dass sie sich auf ihren Körper niederschlugen und sie monatelang Halsschmerzen hatte. Bis ihre Ärztin das Knäul auflöste. Hannah Doepke berichtet: „Sie sagte, es ist okay, überfordert zu sein. Du musst dir eingestehen, dass du auch mal schwach sein kannst. Aber dass es auch vorwärtsgehen darf. Und sie hat mir geraten, dass ich mir wieder einen Alltag gebe.“

Also ging sie wieder jeden Tag ins Atelier. Und plötzlich explodierte sie, künstlerisch. Sie lernte viel über sich, den Schaffensprozess und stellte in 1,5 Jahren vier Ausstellungen fertig. Und gewann die Erkenntnis: „Ich bin die einzige, die rechtfertigt, dass es Sinn ergibt, was ich mache. Und dass ich damit auch was schaffen kann, was für mich heilend ist, was für andere heilend ist und dass ich nicht auf fremdbestimmte Bestätigung warten muss.“

Die aktuelle Ausstellung

Ein weiteres Ergebnis dieser Arbeit ist die aktuelle Ausstellung „Your Selfie is Iconic“ Hannah Doepke rief dazu FLINTA* (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen) auf, anonym Nackt-Selfies von sich einzusenden. 49 Menschen schickten ihre Werke. Die Besucher:innen können diese nun nicht nur betrachten, sondern auch erleben. Mittels eigens konstruierter Sessel lässt Doepke die Besucher:innen die Posen einnehmen, die beim Fotografieren der Porträts eingenommen worden. Die Künstlerin beschreibt: „Ich glaube, dass diesem Projekt ein persönlicher Wunsch zu Grunde liegt, mich damit zu beschäftigen. Ich möchte irgendwie meine eigenen Komplexe überwinden, ich möchte das mit anderen Menschen teilen. Was ich an dieser feministischen Kunst und Arbeit liebe ist, dass es ein Gruppenmoment ist. Wir können uns zusammen eine Identität, aber auch eine Stärke aufbauen, und wir können uns gegenseitig supporten. Und ich glaube, dieser Wunsch, gemeinsam ein Thema zu erforschen, Erfahrungsmomente zu kreieren, das ist die Grundidee dieser Arbeit.“

Die Auseinandersetzung findet an mehreren Stellen statt: Beim Auswählen und Einsenden des Bildes, beim Verarbeiten und Betrachten, anschließend in der Diskussion miteinander. Dem Selfie wird dabei eine besondere Rolle zuteil. Hanna Doepke beleuchtet: „Jedes Foto ist Fake, denn man trifft so viele Entscheidungen. Was man zeigt und was nicht, was man vorspielt. Und mit dieser Erkenntnis, dass Fotos eigentlich nicht echt sind, aber dass sie trotzdem eine Wirkmächtigkeit haben, können wir auch selber entscheiden, wie wir uns darstellen wollen. Verbunden mit der Frage: Wie will ich eigentlich mit dieser Problematik umgehen? Einfach zu sagen, dass man nicht damit umgeht, ist keine Lösung.“

Geschlechtergerecht?

Eine wichtige Frage bei der Konzeption der Ausstellung war die Frage, ob die Beschränkung auf FLINTA* passend war. Hannah Doepke begründet das so: „Eigentlich habe ich mich damit nicht wohlgefühlt. Aus den richtigen Gründen habe ich mich dafür entschieden, aber eigentlich ist es mir wichtig, da keinen Unterschied zu machen, wenn es darum geht, dass jemand wirklich mitmachen will, hinterfragen will.“

Ausschlaggebend war für sie die Frage, wie groß die Privilegien sind und wer in welchem Grade diskriminiert wird. Besonders von Frauen wird im Alltag erwartet, dass sie sich der Gesellschaft anpassen. Bestimmte Verhaltensweisen, was sie tun dürfen und was sie nicht tun sollten. Durch diesen Druck bleibt ihnen jedoch die Möglichkeit verwehrt, sich selbst neu und besser kennenzulernen. Außerdem gibt es Anforderungen an das Aussehen. Dazu stellt Hannah Doepke fest: „Wenn du eine männlich gelesene Person bist, bist du den Bewertungen erst mal weniger ausgesetzt, gerade was Körper angeht.“

Seit Beginn des Aufrufs hat die Künstlerin viel Unterstützung erfahren. Auch von Männern, die sich mit dem Thema identifizieren konnten. Doch ihr ist auch bewusst, dass sie als Künstlerin bereits auf das Werk einwirkt, bevor es entsteht. Sie erläutert: „Es macht einen Unterschied, ob ich als junge, dünne, weiße Person diesen Aufruf mache oder als alte, dicke, nicht-weiße Person. Und ich glaube, dass es deswegen auch Menschen gibt, die sich weniger dazu ermutigt fühlen. Und das ist auch voll okay. Ich glaube, wenn meine Ausstellung am Ende nicht divers ist, dann ist das auch ein Spiegel dessen, wie schwierig dieses Thema ist. Und trotzdem zählt jedes Bild.“

Die Ausstellung „Your Selfie is Iconic“ ist bis zum 20. Dezember täglich, außer donnerstags, von 15 bis 18 Uhr bei BIAS Contemporary FLINTA* Projects in der Rudolf-Leonhard-Straße 19 geöffnet.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

Ein Gedanke zu “Selbst sein, Künstlerin sein

  1. Vielen Dank über Deinen Bericht über die Künstlerin Hannah Doepke.
    Es zeigt mir wie aufgeschlossen viele Menschen in unserer Zeit sind und sich mit Begebenheiten des Lebens auseinandersetzen.
    Danke Vivian für diesen Artikel und auch an Campusrauschen, dass Ihr diese Sichtweise aufzeigt.

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