„Mir bleiben 1,70 Euro am Tag“

Wir haben mit Studierenden gesprochen, die auf BAföG angewiesen sind und kaum über die Runden kommen. So hart trifft die Inflation junge Menschen.

Wer in Deutschland studiert, bekommt vom Staat Geld, wenn die Eltern arm genug sind. Die Förderung für Studierende, Auszubildende und Schüler:innen nennt sich Bundesausbildungsförderung, besser bekannt als BAföG. Seit den 1970ern gibt es sie. Mit dem BAföG will der Staat für mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit sorgen. Ab diesem Wintersemester bekommen Studierende gar höhere BAföG-Sätze. Die Inflation verschlingt das Geld aber direkt wieder. Wir haben mit Studierenden gesprochen, wie sie gerade klarkommen. Spoiler: eigentlich gar nicht.

Einige haben uns gebeten, ihre Namen nicht oder nicht vollständig zu nennen. Wer wenig Geld hat, muss mit einem sozialen Stigma leben, obwohl viele Menschen für ihre Armut gar nichts können. Wir sind den Bitten nachgekommen.

„Die meiste Zeit esse ich Nudeln mit Pesto. Das macht wenigstens satt.“
Josephine studiert Architektur und arbeitet in zwei Nebenjobs. | Foto: privat
Josephine studiert Architektur und arbeitet in zwei Nebenjobs. | Foto: privat

„Jetzt, wo ich krank bin, habe ich doch die Heizung angestellt. Seit einigen Tagen bin ich aus dem Krankenhaus zurück. Dort wurde ich wegen eines Kreuzbandrisses operiert. Gerade kann ich nicht viel mehr machen, als rumsitzen und mein Bein hochlegen – und das ist einfach zu kalt ohne Heizung. Über die Nachzahlung will ich gar nicht nachdenken.

Ich studiere Architektur und habe zwei Jobs. So arbeite ich 40 Stunden in der Woche. Das Studium kommt obendrauf. Damit das klappt, muss ich jeden Tag sehr gut planen. So ein Architekturstudium ist teuer: 100 Euro gehen jeden Monat für Pappen, Cuttermesser und Klebstoff drauf. Zu meinen Prüfungsleistungen gehört es, Modelle zu bauen. Doch das Material stellt die Hochschule nicht.

Aktuell ist es echt schlimm. Ich habe keine reichen Eltern, die mir Geld überweisen können. Meine Familie wohnt in Bayern. Ich sehe sie nur selten. Zugfahrten sind teuer. Es ist ein Unding, dass ich mir so was vom Mund absparen muss. In meiner Freizeit gönne ich mir kaum noch etwas, vielleicht mal einen Kaffee. Aber wirklich nur einen.

Meine Freunde sind heute ins Klimahaus nach Bremerhaven gefahren, einer interaktiven Ausstellung zu Wetter und Klima. Selbst wenn ich gesund wäre, wäre ich wohl nicht mitgefahren. Der Eintritt für eine Studentin kostet dort 14 Euro.

Die meiste Zeit esse ich Nudeln mit Pesto. Das macht wenigstens satt. Für die Abwechslung gibt es auch mal Brot mit dem günstigsten Hummus. Vor dem Studium habe ich viel mehr auf gesunde Ernährung geachtet. Aber gerade ist mir frisches Gemüse zu teuer.

Als Studentin wird man von der Politik mit lächerlichen Beträgen abgespeist: 230 Euro Heizkostenzuschuss für BAföG-Beziehende. Das reicht doch nicht. Man müsste das BAföG einmal komplett umkrempeln und an die Inflation anpassen. Aber bis sich das ändert, habe ich bestimmt schon meinen Studienabschluss.“ – Josephine, 24, Bremen

„Mir bleiben 1,70 Euro am Tag“
Sergej steht in den Semesterferien in der Fabrik, um sich sein Informatikstudium leisten zu können. | Foto: privat
Sergej steht in den Semesterferien in der Fabrik, um sich sein Informatikstudium leisten zu können. | Foto: privat

„Ich bekomme 267 Euro BAföG im Monat. Wenn ich die Krankenversicherung, den Semesterbeitrag und die Fahrkarte für den Zug davon abziehe, bleiben mir 50,80 Euro für Essen, Kleidung, Kino und Bücher. Das sind 1,70 Euro pro Tag. Da kann ich mir mal ein Brötchen kaufen.

Ich lebe bei meinen Eltern in Löchgau, etwa eine Stunde von Stuttgart entfernt. An der Hochschule in Stuttgart studiere ich Informatik. Jeden Tag fahre ich erst mit dem Bus, dann mit dem Zug und dann laufe ich zur Hochschule. Miete, Wasser und Strom muss ich zum Glück nicht zahlen. Aber ich möchte meinen Eltern und meinem kleinen Bruder gern helfen. Darum versuche ich schon, einmal in der Woche für uns alle einzukaufen.

Das geht nur, weil ich in den Semesterferien arbeite. Dann stehe ich mehr als zwei Monate lang in der Fabrik und stecke Teile für eine Kunststofffirma zusammen. Dafür gab es bisher 10,50 Euro pro Stunde. Seit Oktober gilt der neue Mindestlohn, in den nächsten Ferien bekomme ich zwölf Euro. Ich arbeite Vollzeit und im Schichtdienst. So verdiene ich in den Semesterferien mehr als 3.000 Euro. Das Geld muss bis zu den nächsten Semesterferien reichen, also ein halbes Jahr lang.

Urlaub ist da nicht drin, höchstens mal eine Woche in Deutschland. Ich muss ja auch Bücher und Materialien fürs Studium bezahlen. Vor Kurzem habe ich mir überlegt, ein Tablet zu kaufen. Viele meiner Kommilitonen haben eins und müssen nicht mehr auf Papier mitschreiben. Ich habe mich dann gegen den Kauf entschieden. Zurzeit geht das einfach nicht.

Die BAföG-Erhöhung in diesem Semester bringt mir nichts. Sie wird komplett von der Inflation verschlungen. Was mir wirklich helfen würde, wäre, den Semesterbeitrag nicht mehr zahlen zu müssen. Das sind mehr als 200 Euro.

Ich bin jetzt im zweiten Semester. Aber ich weiß schon, dass ich das Studium nicht in der Regelstudienzeit packe. Das Pensum ist hoch. Ich musste einige Seminare auf spätere Semester schieben und eine Matheprüfung wiederholen. BAföG gibt es allerdings nur während der Regelstudienzeit. Wie ich mich ohne BAföG finanzieren soll? Ich habe keine Ahnung! Vielleicht muss ich das Studium dann abbrechen.“ – Sergej Ponomarjow, 28, Stuttgart

„Ich schmiere mir nur noch Brote“
Unsere Gesprächspartnerin möchte anonym bleiben. Tagsüber betreut sie ihr Kind, nachts studiert sie. | Foto: privat
Unsere Gesprächspartnerin möchte anonym bleiben. Tagsüber betreut sie ihr Kind, nachts studiert sie. | Foto: privat

„Meine Tochter ist ein Jahr alt. Sie ist glücklich, wenn sie auf dem Spielplatz im Sand wühlt. Und ich bin dankbar, dass ihre Hobbys mich noch nicht so viel kosten.

Es macht mich so müde und mürbe, ständig über Geld nachzudenken. Wir leben in Mannheim, ich bin alleinerziehend und habe nun ein Studium begonnen. Gleichzeitig begleite ich meine Tochter bei der Eingewöhnung in der Kita. Nachts lese ich dann so viel ich kann aus den Seminaren. Ich habe begonnen, Soziale Arbeit zu studieren, damit es uns später mal besser geht.

Gerade ist es so: Die Kita kostet 600 Euro im Monat, für die Miete zahle ich 900 Euro. Um das zu stemmen, arbeite ich in der Psychiatrie im Schichtdienst. Trotzdem bleiben uns pro Woche nur acht Euro für Essen und Freizeit. Ich kaufe mir nie unterwegs etwas. Stattdessen schmiere ich mir nur noch Brote.

Mein BAföG-Antrag ist zwar gestellt, aber noch nicht genehmigt. Ständig will das Amt ein neues Formular oder einen neuen Nachweis. Solche Hilfen zu beantragen, kostet unglaublich viel Zeit und Nerven. Selbst wenn ich den BAföG-Höchstsatz bekäme, müsste ich weiterhin arbeiten. Zum Glück bringt meine Mutter uns ab und zu ein paar Lebensmittel vorbei.“ – Anonym, 30, Mannheim

Interviews: Sabrina Winter

Foto: Amac Garbe

Dieser Text ist zuerst auf vice.com/de erschienen.

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