Zugegeben: Der Titel des neuen Films von Regisseur Andreas Dresen klingt etwas sperrig. Und wer etwas jünger ist, kann mit dem Namen Kurnaz vielleicht auch nicht direkt etwas anfangen. Ein Grund mehr, sich mit dem Film, der auf der diesjährigen Berlinale zwei Silberne Bären fürs Beste Drehbuch (Laila Stieler) und die Beste Hauptdarstellerin (Meltem Kaptan) abgeräumt hat, zu befassen.
Rabiye erfährt im Oktober 2001 am Telefon, dass ihr Sohn Murat nach Pakistan reisen will, um sich in einer Koranschule auf die Ankunft seiner türkischen Frau in Bremen vorzubereiten. Wenig später wird er dort festgenommen und gegen eine Zahlung von 3.000 Dollar an die US-Streitkräfte übergeben. Diese verbringen Murat in das Gefangenenlager Guantanamo, das die USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingerichtet haben. Aber es gibt keinen konkreten Verdacht gegen Murat, keine Anklage, keine Verhandlung.
Rabiye versucht von Bremen aus, Murat wieder nach Hause zu bringen. Sie wird bei der Polizei vorstellig, schreibt verschiedene Institutionen an und landet schließlich beim Rechtsanwalt Bernhard Docke. Zusammen mit anderen Betroffenen reichen sie 2004 beim Supreme Court eine Klage gegen die Bush-Regierung ein, um den Inhaftierten die Möglichkeit zu geben, gegen die Haft vorzugehen. Der Oberste Gerichtshof der USA gibt den Klagenden Recht, was noch nicht heißt, dass Murat bald auf freiem Fuß ist.
Menschen machen’s menschlich
Dresens neuestes Werk startet unvermittelt und bewegt sich dann rasant durch die Nullerjahre, so dass es am Anfang etwas schwerfällt, in die Geschichte einzusteigen. Doch Meltem Kaptan als Mutter Rabiye und Alexander Scheer als Rechtsanwalt Docke machen es Zuschauenden wirklich leicht, sie zu mögen. Wirkt Docke zuerst spröde und unnahbar, schafft es die Comedienne Kaptan als Rabiye, seine professionelle Haltung zu knacken und den Menschen Bernhard herauszuschälen. Denn Rabiye ist selbst in den schwierigen Momenten herrlich unterhaltsam und liebenswürdig. Und wenn sie mal am Boden ist, ist am Ende Bernhard für sie da.
Zu den beiden tragenden Charakteren kommt das Thema hinzu. Hätten Dresen und Drehbuchautorin Stieler allerdings Murat Kurnaz’ Zeit in Guantanamo verfilmt, hätte das viele Menschen vermutlich von einem Kinobesuch abgehalten. Zu düster, zu schwer, zu bedrückend. Rabiye und Bernhard zeigen hingegen den Weg durch den Rechtedschungel und legen den Finger tief in eine bestimmte Wunde: die Abwesenheit von Menschenrechten in einer demokratischen Welt. Denn neben der US-amerikanischen hat sich auch die deutsche Regierung in diesem Zusammenhang alles andere als mit Ruhm bekleckert, allen voran der damalige Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator Frank-Walter Steinmeier.
So vereint „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ zwei grundlegende Dinge: gute Unterhaltung mit einer wichtigen Botschaft. Kleine Ungereimtheiten sind da zu verschmerzen.
Im Programmkino Ost Dresden (17 Uhr) und in den Passage Kinos in Leipzig (20 Uhr) gibt es am Samstag (30.4.) jeweils eine Premiere in Anwesenheit von Andreas Dresen, Laila Stieler und Alexander Scheer.
Text: Nadine Faust
Zum Foto: Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) und Bernhard Docke (Alexander Scheer) im Flugzeug nach Washington, D. C.
Foto: Luna Zscharnt, Copyright: Pandora Film
Hinweis: Der Artikel wurde am 30.04.2022 korrigiert.