Ich habe sie alle gehabt: Blumenbeete in Coschütz, Mauern in Cotta und Bäume im Großen Garten. Und ich habe andere dabei beobachtet, meistens völlig schamfrei – vor Fassaden an Schulen, am Baum vorm Haus und natürlich an Garageneinfahrten zur BRN. Die Rede ist von: Wildpinkeln. Oder, von der anderen Seite aus betrachtet: einem Mangel an öffentlichen Toiletten in Dresden.
Seinen Urin an Orten laufen zu lassen, an denen er nicht gesammelt, abgeleitet und gefiltert werden kann, ist eine Ordnungswidrigkeit, die in Dresden im Jahre 2016 40 Euro gekostet hat. In schweren Fällen kann Wildpinkeln als Erregung öffentlichen Ärgernisses gewertet und mit einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden.
Außerdem schadet es der Umwelt: Es kann Pflanzen Wasser entziehen, Schadstoffe wie Drogen verteilen und aufgrund des Phosphors die Gebäudesubstanz angreifen oder Flecken hinterlassen. Und natürlich will man fremden Menschen ungern dabei zugucken, wie sie den körpereigenen Wasserschlauch rausholen oder einem den Hintern entgegenstrecken.
Wer sucht, der findet
Ein relativ genaues Bild der Situation zeigt der Themenstadtplan mit der Karte der öffentlichen Toiletten. Da fällt auf, wie sehr die Möglichkeiten in Dresden begrenzt sind. Befindet man sich im Viereck zwischen St. Petersburger Straße, Zwinger, Hauptbahnhof und Neumarkt, sieht’s gut aus – am Altmarkt, der Wallstraße und Pirnaischen Platz finden sich öffentliche Toiletten, außerdem gibt’s die Altmarkt Galerie, die QF Passage und auch eine Toilette unter der Carolabrücke. Außerhalb dieser Zone ist die Lage weniger gut. U. a. in Weixdorf und Klotzsche gibt es insgesamt drei Toiletten, in Cotta zwei und am Großen Garten ebenfalls zwei. Meistens befinden sich diese in Ortsämtern, Bibliotheken oder Einkaufszentren, sodass man an deren Öffnungszeiten gebunden ist. Außerdem sind Einkaufszentren unübersichtlich. In der Neustadt gibt es immerhin das Projekt Nette Toilette, bei dem Gastronomen ihre Toilette der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.
Wenn man sich nicht in der Nähe eines Restaurants aufhält, hat man die Qual der Wahl: Man macht sich sprichwörtlich einen Knoten in den Rüssel. Oder redet sich ein, dass unsere Blase ein kleines Fassungsvermögen hat, aber nur dann Urin ablässt, wenn unser Körper von unserem Verstand dazu aufgefordert wird. Oder man lässt an einem Bäumchen seiner Wahl laufen.
Drang vs. Schamgefühl
Körperflüssigkeiten jeglicher Art sind mit Scham behaftet – Schweiß, (Perioden-)Blut und eben auch Urin. Es sind Dinge, die man nicht öffentlich zur Schau stellt. Weil sie etwas mit unserem Körper zu tun haben, dem Wichtigsten, Heiligsten. Man zeigt ihn nicht jedem. Das hat etwas mit Privatsphäre und Verletzbarkeit zu tun. Und man zeigt auch nicht jedem, dass man sich gerade einem Bedürfnis hingibt, für das man nichts kann. Es hat etwas Tierisches. Den meisten Menschen ist es daher unangenehm. Es sei denn, die Hemmschwelle sinkt aufgrund von Alkohol oder Übermut.
Andererseits kann es genauso schambehaftet sein, in einer Kneipe zu fragen, ob man die Toilette benutzen darf. Man kommt mit fremden Menschen in Kontakt, nimmt deren Wasser in Anspruch, obwohl man weder etwas isst noch trinkt. Ich finde es daher wichtig, dass Menschen möglichst einfach eine Toilette finden. Abgesehen davon, dass es Menschen gibt, die infolge körperlicher oder seelischer Krankheiten darauf angewiesen sind, dass eine Toilette schnell zur Stelle ist.
Optik und ihre Kosten
Außerdem sind viele (halb-)öffentliche Toiletten kein rosa-rotes Wunderland mit Duftstäbchen und Tampons, sondern oft klein und manchmal nicht mal sauber. Wenn ich eine silber-graue Toilette sehe, frage ich mich, ob ich da wirklich rein will. Man fühlt sich ihn ihnen geschützt, aber auch ein bisschen unwohl.
Was man jedoch nicht vergessen darf: Gratis ist ein stilles Örtchen nicht. Je nach Kommune können die Unterhalts- und Wartungskosten zwischen 30.000 und 50.000 Euro liegen. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn nach einem Spiel von Dynamo Dresden auf der Lennéstraße alle Besucher des Stadions eine einzelne Toilette benutzen und dafür einen Euro bezahlen würden, wäre sie finanziert.
Bei vielen öffentlichen Toiletten hat man das über Werbung gelöst – sie befanden sich u. a. in Litfaßsäulen bzw. wurden von Unternehmen betrieben. Da diese Verträge jedoch 2021 neu ausgeschrieben wurden, sind diese Toiletten erst einmal weggefallen.
(K)eine Lösung in Sicht
Derzeit werden Konzepte entwickelt, wie man das Wasserlassen attraktiver und gleichzeitig umweltfreundlicher machen kann, besonders bei Großveranstaltungen. Zum Beispiel, indem man sie als Blumenbeete tarnt und das Wasser in einen Klärteich ableitet. Allerdings ist das noch Zukunftsmusik.
Egal, wie man es dreht und wendet: Muss ich mal pinkeln, ist keine Toilette zur Stelle. Und so werde ich auch weiterhin nach einem schönen Baum mit guter Aussicht Ausschau halten, mich dahinter verstecken und laufen lassen.
Text: Vivian Herzog
Foto: Amac Garbe