Promovieren ist schwer

Ich habe mich nach oben geschlafen. Mein erster Freund war im zweiten Semester, der nächste arbeitete an seinem Diplom. Der dritte hatte seinen Master gemacht und war seit ein paar Jahren im Berufsleben. Und wenn mein jetziger Freund fertig ist, dann hat er einen Doktortitel im Bereich Agrarwissenschaften. Auf dem Papier sieht das elegant und sexy aus. Jemand, der für das Wohl der Tiere und Pflanzen auf den Feldern gekämpft hat und der nun mit einem Schwert auf einem Felsen steht und das Blut seines Herzens noch an der Klinge hat. Oder: All die schöne Freizeit, die er dafür aufgewendet hat.

Die Anfänge

Als wir uns kennenlernten, war er gerade im Bewerbungsprozess für eine Stelle und ich konnte mir darunter nichts vorstellen. Ich habe mich nur gefreut, dass er irgendwo untergekommen war. Rückblickend habe ich wohl einen 9-to-5-Job erwartet, mit ein bisschen Forschen und einem regen Sozialleben.

Anfangs war das auch so. Als es darum ging, sich einzuarbeiten, ein Gefühl für das Thema zu bekommen. Er hat pünktlich Schluss gemacht und viel mit anderen Studierenden unternommen. Doch als die erste von drei Veröffentlichungen (genannt Paper) anstand, wurden die Aufgaben konkreter und die Arbeitszeiten länger. Jetzt sind mehrere Jahre vergangen, die dritte Veröffentlichung steht in den Startlöchern und ich merke, dass mich das auch belastet.

Forschung versus Wirtschaft

In unseren Jobs arbeiten mein Freund und ich auf unterschiedliche Ziele hin. Mein Arbeitsalltag besteht aus Kund:innenanfragen, die ich beantworte. Jeder Kunde und jede Kundin ist anders, aber ich habe einen groben Plan, an dem ich mich orientiere. Ich kämpfe mich von Tag zu Tag, als würde ich eine lange Wanderung durch das Dresdner Umland machen. Im Vergleich dazu muss mein Freund den Fichtelberg erklimmen, mit einem kiloschweren Rucksack und Baumstämmen, die im Weg liegen. Manchmal kommt er mir vor wie MacGyver.

Außerdem ist er auf die Zuarbeit von Kolleg:innen angewiesen, deren Status höher ist als seiner. Wann schreibt man diese Leute an? Welcher Tonfall ist angemessen? Und was passiert, wenn man sich missverständlich ausdrückt? Wie stark darf man jemandem in den Hintern treten, wenn er oder sie einem nach Wochen immer noch nicht die benötigten Infos gegeben hat? Für meinen Freund ist das Neuland, für mich ist das Alltag. Mittlerweile kenne ich meine Kund:innen gut genug und weiß, wie lange sie für Antworten brauchen. Wen ich anschreibe und wen lieber anrufe. Und wenn ich nicht weiß, wie ich etwas am besten formulieren soll, frage ich erfahrene Kolleg:innen. Ich sehe darin aber auch den Vorteil, dass ich ihn ermutigen und positive Beispiele aufzeigen kann.

Auch unsere Arbeitszeiten sind unterschiedlich. Wenn ich am späten Nachmittag den Computer ausschalte, dann habe ich Feierabend. Mein Freund macht oft Überstunden, arbeitet am Wochenende. Er formuliert Sätze um oder formatiert Tabellen, schreibt E-Mails. Er kann sich seine Zeit oft frei einteilen und im Homeoffice arbeiten, aber das führt dazu, dass er oft mehr macht.

Eine Frage der Ausdauer

Jetzt, wo wir dem Ende entgegensehnen, sind es die Korrekturdurchläufe. Welche Formulierung kann er anpassen? Geht inhaltlich etwas verloren oder entsteht eine Dopplung? Und wenn noch Daten benötigt werden, wie lange dauert es, sie zu erfragen und aufzubereiten? Sind die Wünsche des Korrektors oder der Korrektorin berechtigt oder eine persönliche Präferenz? Welche Anmerkungen muss er übernehmen, welche liegen im Auge des Betrachtenden? Es ist ein ständiges Hin und Her, ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten. Immer mit der Hoffnung, dass die Arbeit am Ende nicht nur gut, sondern auch von anderen Wissenschaftler:innen anerkannt wird.

Mein Freund bearbeitet ein Nischenthema, sodass es nur wenige wissenschaftliche Arbeiten gibt, an denen er sich orientieren kann. Er hat auch wenige Kolleg:innen, die in einem ähnlichen Gebiet forschen und ihn unterstützen können. Auch, weil mein Freund jemand ist, der gewissenhaft arbeitet und eine inhaltlich fundierte Doktorarbeit schreiben will. Es gibt wahrscheinlich Studierende, die ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen der Qualität der Arbeit und der ihres Lebens finden. Meinem Freund ist die Promotion sehr wichtig.

Und natürlich spielt die Frage eine Rolle, wann er fertig wird. Mir ist das egal, es macht ihn nicht weniger attraktiv. Aber das Thema gehört zu jedem Treffen mit Freund:innen dazu. Ich rede über meine aktuelle Haarfarbe, er über die Doktorarbeit. Jede:r Student:in und jedes Fachgebiet ist anders, aber es stresst ihn. Denn es gibt Leute, die nach zwei Jahren ihre Urkunde bekommen.

Zusammenhalt

Ich bewundere meinen Freund. Ich mag sein Thema und bin mir sicher, dass er dazu einen wichtigen Beitrag leistet. Ich bin stolz, dass er einen Job gefunden hat, der zu seiner Persönlichkeit passt, denn für mich ist er ein Forscher. Aber der Druck nervt.

Das Gefühl, dass diese Arbeit seine weitere akademische Karriere bestimmen wird. Seine Ratlosigkeit, wenn er auf eine wichtige E-Mail wartet, die nicht kommt. Sein Frust, wenn eine Anmerkung tagelange Verbesserungen nach sich zieht. Das stundenlange Grübeln über eine Formulierung in der Danksagung. Dass er auch an den Weihnachtsfeiertagen arbeitet oder im Urlaub. Weniger, aber immer noch zu viel. Das mit ansehen zu müssen, das ist hart für mich.

Die Angst zu versagen

Es ist vor allem eines: Machtlosigkeit. Weil ich den akademischen Betrieb nicht kenne und weil ich geübt darin bin, berufliche Probleme zeitnah zu lösen. Ich versuche, mich in ihn hineinzufühlen, aber das klappt oft nicht. Weil ich nicht er bin und diesen ganzen Prozess nur von außen betrachten kann. Manchmal wünschte ich, ich könnte einfach in ein Büro stürmen und seine Kolleg:innen zusammenschreien, damit sie ihm geben, was er braucht. Ich würde wichtige Anrufe für ihn machen und ihm andere Promotionsschriften suchen, damit er weiß, dass er auf dem richtigen Weg ist.

Und immer die Angst, dass sein Körper ihm eine Grenze aufzeigt. Dass der Sport, den er betreibt, und sein Interesse für Politik und Gesellschaft nicht genügend Ausgleich sind. Dass auch seine sozialen Kontakte darunter leiden, weil er nicht immer Zeit dafür findet.

Ein:e Partner:in hält das aus!

Aber auch für mich ist es belastend. Die Zeit für Zweisamkeit geht verloren. Und wenn ich nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause komme und mir anhöre, was nicht funktioniert hat und wie wir das am besten lösen, dann zehrt das an mir. Meine Freund:innen sagen, dass das zu einer Partnerschaft dazugehört. Und natürlich gibt es Beziehungen, die unter mehr Stress leiden als wir beide. Aber es ist eine Aufgabe, die ich jahrelang mittrage. Wir kämpften uns von Paper zu Paper, über Zwischenberichte, Präsentationen, Tage der offenen Türe, die ebenfalls nebenbei vorbereitet werden müssen. Ein ständiges Pendeln zwischen Fortschritt, Stagnation, Rückschritt, dann wieder Fortschritt. Um bei der Metapher zu bleiben: Ich muss den Berg nicht selbst besteigen, aber ich fahre langsam mit der Seilbahn hoch und feuere ihn ständig mit einem Plakat an oder reiche ihm Snacks.

Daher löst es meine Anspannung, wenn ich darüber witzle, dass ich mich durch einige akademischen Grade geschlafen habe und nun fast beim höchsten angekommen bin. Weil es mich kurz davon ablenkt, wie steinig der Weg ist, den wir zusammen gehen.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

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