Mehr als eine Woche ist das 33. Filmfest Dresden mittlerweile vorüber, doch es gibt einige Kurzfilme, die hängen bleiben. Wir stellen Euch drei Filme aus dem Internationalen Wettbewerb vor. Zwei von ihnen sind Preisträgerfilme, die am 17. August in der Schauburg ausgezeichnet wurden.
„Thiên đường gọi tên“ (A Trip to Heaven, 2020) von Linh Duong
Linh Duongs viertelstündiger Kurzfilm „Thiên đường gọi tên“, der in touristischen Gebieten in Vietnam gedreht wurde, lebt von seinen kuriosen Dialogen und Umständen, in denen sich die Hauptprotagonistin befindet. Die 50-jährige Tam trifft auf einer Gruppenreise ihre Highschool-Liebe. Zunächst peinlich berührt von seiner Anwesenheit, versucht sie später, die Aufmerksamkeit des Mannes zu gewinnen. Leider hat sich der Traum ihrer schlaflosen Nächte in den vergangenen Jahren zu einem kauzigen alten Mann entwickelt.
Was der Titel des Kurzfilms bereits andeutet und die Bildsprache fortführt, sind Anspielungen auf die letzte Reise, die jeder Mensch irgendwann antreten muss. Die Mutter der Regisseurin inspirierte Linh Duong zu der Geschichte. Diese drohte ihrem Mann – im Scherz – regelmäßig, mit ihrem Jugendfreund durchzubrennen, wenn es Streitereien gab. Dieser Wunsch nach einem anderen Leben, wie ernst oder nicht ernst gemeint er auch immer war, und die damit verbundenen Hoffnungen und Erwartungen spielen im Film eine große Rolle. Duong selbst arbeitet in ihren Filmen nicht nur die Lebenswelt mittelalter Frauen auf, sondern auch die Konflikte zwischen ihrer und der Generation ihrer Eltern – auf eine sehr subtile und humorvolle Weise. (MGA)
„Mex and the Animals“ (2020) von Elisa Gleize
Während diese Zeilen getippt werden, müssen die Leute in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zittern. Denn es sind Gewitter im Anzug, die eigentlich von normaler Intensität sind. Doch die Flutkatastrophe ist erst eine Woche her, die Dämme sind noch zerstört, der Boden kann kein weiteres Wasser fassen. Ein normales Gewitter vermag es nun also im Jahre 2021 in einem hochentwickeltem Land in der Mitte Europas, Angst und Schrecken zu verbreiten. Und etliche Entscheidungsträger:innen müssen schockiert feststellen, dass der Klimawandel nun doch schon uns und nicht erst der folgenden Generation der Fridays-for-Future-Bewegung auf die Füße fällt.
Rückblick auf vorletzte Woche, beim Filmfest Dresden. Hier regnet es auch, aber im Kinosaal fällt das gar nicht auf. Während auf der anderen Seite Deutschlands die Flüsse über die Ufer treten, läuft hier gerade der Kurzfilm „Mex and the Animals“ von Elisa Gleize. Ein virtueller Raum voller grob designter Wesen, allesamt veraltet animierte Abbildungen von Tieren. Dazwischen wandelt der Cyborg Mex, der uns mit elektronisch verzerrter und von Melancholie triefender Stimme seine Geschichte erzählt. Auf der Erde gibt es kein einziges Tier mehr. Sie sind alle verschwunden. Mex hat selbst nie ein Tier gesehen, doch anhand von Bildern hat eine Community sie rekonstruiert. In dem verpixelten Garten Eden simulieren die Menschen für immer verlorene Erfahrungen und erzählen sich wundersame Geschichten über die ehemaligen Mitbewohner:innen der Welt. Zum Beispiel die Kraken, deren Existenz kaum zu glauben ist, klingt ihre Beschaffenheit doch eher nach einem Außerirdischen von einem anderen Stern.
Obwohl Mex‘ Führung sehr gemächlich abläuft, werden wir Zeug:innen einer subversiven Rebellion. Denn es ist verboten, Tiere darzustellen. So wird die Animation eines Delfins zu einem kriminellen Akt. Doch weder erfahren wir den Grund für diese Repression, noch den Grund für das Verschwinden. Laut Mex wisse wohl niemand, warum und wohin die Tiere gegangen sind. Wieso dann die Erinnerung an sie verbieten? Unausgesprochen wächst der Verdacht, dass da eine Obrigkeit die eigene Schuld vertuschen möchte. Welche Schuld das sein soll? Raten wir doch einfach mal ins Blaue: Das Massenaussterben durch einen ungebremsten Klimawandel.
Die „neue“ Sicht auf den Klimawandel ist inzwischen an der vordersten Front der Popcorn-Blockbuster angekommen. In den Actionfeuerwerken „Tenet“ und „The Tomorrow War“ rast eine unheilvolle Zukunft auf die Gegenwart zu und nimmt deren Generation in die Pflicht, die kommende Welt zu retten (das Wetter wird hier von Terrorist:innen und Alienmonstern vertreten). „Mex and the Animals“ geht von dort aus noch einen Schritt weiter und schildert einen Kampf, den die Menschheit schon vor knapp fünfzehn Jahren verloren hat. Der Schlüssel für diese Lesart ist Second Life. Dieses Programm liefert die virtuellen Räume und Avatare für Gleizes Film. Second Life ist seit 2003 verfügbar und hat damals einen gigantischen Hype generiert. Abermillionen aktive Accounts, ganze Städte wurden nachgebaut, es wurde gehandelt und große Firmen haben investiert. Heute vegetiert die virtuelle Parallelwelt in der Irrelevanz, aktive Nutzer:innenzahlen werden nicht mal mehr bekannt gegeben, um den Exodus zu kaschieren.
In dieser entvölkerten Ödnis hat Gleize nun ihren Film animiert, inklusive der Grafik von vorgestern. Dieser Zusammenfall eines überholten und vergessenen Internetphänomens mit einer dystopischen Zukunftsversion verschärft die Anklage weitaus massiver, als sie in „The Tomorrow War“ explosiv erhoben wird. Wir erinnern uns: Im Jahre 2006, da hat der Erfolgsmotor bei Second Life so richtig geschnurrt, wies uns Al Gore auf „Eine unbequeme Wahrheit“ hin und wurde von vielen Seiten als irreführende, unwissenschaftliche Propaganda zerrissen. Andere haben vor lauter Betroffenheit gar nichts geändert. „Mex an the Animals“ ist eine Zeitreise in eine alternative Vergangenheit, in der das Thema bereits damals mit seiner Überdringlichkeit allgegenwärtig gewesen ist, in der Gores Dokumentation nicht für ein Schisma, sondern für ein gemeinsames Umdenken gesorgt und das Kino reihenweise mahnende Filme produziert hat. In der Second Life neben dem Nachbau der Alten Meister in Dresden (inzwischen gelöscht) auch für „Mex and the Animals“ genutzt wurde.
Gleizes Kurzfilm ist ein ungezwungenes, aber gnadenlos entlarvendes Spiel mit der Zeitgeschichte und „voll politisch“, wie auch der Preis benannt ist, den Gleize beim Filmfest Dresden für „Mex and the Animals“ verdientermaßen erhalten hat. (AS)
„Play Schengen“ (2020) von Gunhild Enger
Der 15-minütige Kurzfilm „Play Schengen“ (2020) von Gunhild Enger aus Norwegen hinterlässt einen bittersüßen Geschmack. Die Handlung ist kurz erzählt: Über ein nostalgisches Videospiel sollen junge Menschen mit dem Thema EU vertraut gemacht werden. Sie spielen Nationalvögel, die über dem Schengen-Raum brüten und nisten sollen. Fliegen dürfen diese allerdings nur mit einem Visum, das sie erhalten, wenn sie Brüsseler Bürokrat:innen auffressen.
Der Film nimmt ein paar der Absurditäten der EU in den Fokus. Gerade in den vergangenen Monaten und Jahren, die geprägt waren von einer menschenunwürdigen Flüchtlingspolitik, zurückhaltenden Klimazielen, dem Brexit-Drama oder der Beschneidung diverser Menschenrechte in manchen Mitgliedsstaaten, hielt die EU lange nicht das, was sie sich zur Gründung auf die Fahnen geschrieben hatte. Viele Menschen sind enttäuscht von der EU und damit trifft „Play Schengen“ einen Nerv. Auf sehr subtile Art und Weise vermag es der Film, das vermeintlich gescheiterte Konzept EU aufs Korn zu nehmen. Den Game Designern dabei zuzusehen, wie sie versuchen, ihr lächerliches Spiel gut zu verkaufen, ist genauso zum Schießen wie der Sound Designerin dabei zu folgen, den Klang der EU einzufangen. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. „Play Schengen“ gewann den Dresdner Kurzfilmpreis des Verbandes der deutschen Filmkritik. (MGA)
Text: Marie-Therese Greiner-Adam & Alexander Stark
Zum Foto: Die vor Ort anwesenden Preisträger:innen des 33. Filmfest Dresden im Leone-Saal der Schauburg.
Foto: Amac Garbe
Transparenzhinweis: Alexander Stark war beim 33. Filmfest Dresden in der Jury für den Filmpreis Luca und ist zudem für die Spielstätte Filmgalerie Phase IV tätig.