Spurensuche im Oktogon

Die Ausstellung „Existenz Kapitel 2: Spuren“ der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden im Rahmen des europäischen Bündnisses EU4ART wurde von der Kuratorin Susanne Greinke initiiert. Internationale und nationale Künstler*innen, Student*innen, Lehrende und Alumni der HfBK widmen sich dem zweiten Teil der Ausstellungsreihe. Die Kunstwerke thematisieren mittels verschiedener Formate und Medien das Sujet der Spuren.

Das Erste, was beim Betreten des Oktogons auffällt, ist die Stille. Es wirkt, als warte das Oktogon auf Besucher*innen. Die von über 80 verschiedenen nationalen und internationalen Künstler*innen geschaffenen Werke sind Bestandteil der mehrteiligen Ausstellungsreihe „Existenz“. Diese Ausstellung und der zweite Teil der Reihe widmet sich Spuren. Die Vielfältigkeit der Thematik spiegelt sich in der Diversität der Werke wider: Installationen, Fotografien, Gemälde, Skulpturen und Medienformate. Jedes Werk wirft, auf ganz individuelle Weise, die Frage nach Spuren auf.

In einigen sind sie vermeintlich auf den ersten Blick zu erkennen und zeigen sich beispielsweise in einer Videoaufnahme von Tieren im Wald oder in den verfestigten Teilabdrücken der Hände, die eine Skulptur formten. Andere lassen länger nach Spuren suchen: wie die Installationen von Katina Rank, „Wash your fruits“. Der Fernseher, platziert auf einem auf dem Kopf stehenden Wäschekorb, zeigt eine Aufnahme in Dauerschleife von Obst in einer Waschmaschine.

Katina Rank: Wash your fruits

Die auffällige zweiteilige Installation von Markus Wirthmann wiederum sticht durch die Farben ins Auge: drei große Fotografien auf Holz an der Wand, die Momentaufnahmen von Götterspeise zeigt, die auf einem Scanner zerfließt. „Applied Kitchen Sciences“ nennt sich das Werk. Davor eine Installation namens „Tracht und Habitus“, eigens für das Oktogon angepasst, die an einen flachen Teich erinnert: Sie besteht aus einer Salzwasserlösung mit Pulver vermengt, welches die spiegelnde Oberfläche in einem Grün erscheinen lässt. Auf den zweiten Blick erkennt man die orangene Kristallisierung an den Rändern des Salzsees. Ein Prozess der Spurenbildung, der im Hier und Jetzt stattfindet und sich beobachten lässt.

Markus Wirthmann: Applied Kitchen Sciences und Tracht & Habitus (Remix Oktogon)

In einem weiteren Raum ist eine Vitrine platziert, die vergangene Spuren thematisiert. Sie stellt Fotos, Zigarrenembleme, Notizen und kleine Gemälde aus. Dabei handelt es sich um einen Nachlass von den Schwestern Ursula und Edith Rzodeczko. Ein Foto aus ihrer Kindheit, welches in den 1930ern in Schlesien aufgenommen wurde und das Titelbild der Ausstellung ziert, veranlasst dazu, über vergangene Existenzen nachzudenken und die Spuren, die diese hinterlassen. Die Notizen und Sammlungen von Fotos, welche Tischdekorationen abbilden und Ähnlichkeiten zu den kleinen Gemälden aufweisen, lassen einen an die Bruchstücke von Existenzen denken, die bleiben. Spuren, die auf ein vergangenes Leben, auf heimliche Leidenschaften, Vorlieben und Eigenarten verweisen.

Nachlass von Ursula und Edith Rzodeczko: Ohne Titel

Andere Werke erinnern an weitere Hinterlassenschaften von Menschen: eine Skulptur, die an Fäkalien erinnert, oder Fotoaufnahmen von einem überquellenden Mülleimer. Weitere Kunstwerke thematisieren die gegenwärtige Situation, wie eine Fotocollage auf dem Boden, welche aus mehreren Einzelfotos besteht. Jedes zeigt eine auf der Straße liegende, scheinbar vergessene Maske. Ein Werk von Lisa Pahlke, der passende Titel: „Spuren der Zeit“. Beim Betrachteten entsteht ein Dialog mit den Werken, den Installationen, Fotografien und Skulpturen.

Lisa Pahlke: Spuren der Zeit

Es ist schön, dass Kunst Interpretation zulässt, sogar dazu auffordert, sich selbst ein Bild zu machen. Die Kombination und die Einzelwerke schaffen es, den Dialog immer weiterzuspinnen: neue Anreize, neue Blickwinkel, neue Spuren. Die eingravierten und eingemeißelten Worte auf Steinen, in einer fremden Sprache, erinnern an das zuvor Dagewesene. Die mehrteilige Installation von Simone Bacco, „Your ideals (my infinities)“, besteht aus Steinen, die von einer Stehlampe angeleuchtet auf einer Palette platziert wurden. Sie erweckt den Eindruck, als warten die aus Marmor bestehenden Elemente darauf, Teil eines neuen Gebäudes, einer neuen Existenz zu werden. Daneben eine einem Totem ähnliche Skulptur von Ulrike Mundt, bestehend aus Holz, Keramik und Beton. Eine Kombination, die an alte Kulturen und neues minimalistisches Design denken lässt.

Simone Bacco: Your ideals (my infinities)
Ulrike Mundt: Totem II

Die verschiedenen Kunstwerke regen zu einer Spurensuche an. Sie lassen über die eigene Existenz sowie andere, vergangene und kommende nachdenken. Mal auf leichte, mal schwere Art und Weise. Die einzige Spur, die fehlt, ist die Spur von Besucher*innen. Das Fehlen verweist auf die Existenz der Pandemie. Um einen ersten Einblick zu bekommen, stehen Videoclips auf der Webseite der HfBK zur Verfügung. Die mit einer Drohne als eine Art Platzhalter für die Besucher*innen gedrehten Kurzfilme bieten einen Einblick. Es bleibt abzuwarten, ob die noch stille Ausstellung bald mit flüsterndem Austausch und Schritten von Besucher*innen gefüllt sein wird.

Die Schau läuft regulär bis Ende März 2021 im Oktogon der HfBK Dresden. Glücklicherweise wird diese, sofern es die Inzidenzwerte zulassen, bis voraussichtlich Juni 2021 verlängert, damit ein Besuch vor Ort möglich sein wird. Die Spurensuche lohnt sich, regt zum Nachdenken und Sinnieren über eigene Eindrücke und erfahrene Spuren an.

Katharina Kretzschmar: Vögel
Mira Friedrich: Löwentisch
Pentagon Süd
Pentagon Ost
Alte Bibliothek

Text: Anika Radewald

Fotos: Amac Garbe

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