Das US-amerikanische private Raumfahrtunternehmen SpaceX sorgt seit Jahren mit seinen Weltraummissionen und neuartigen Raketen für Schlagzeilen. Dazu trägt zu einem gewissen Teil auch SpaceX-Gründer Elon Musk bei. Dieser sieht in seiner Firma nichts weniger als die Zukunft der Raumfahrt. Doch ist an dieser Behauptung wirklich etwas dran?
Seit Anbeginn der Zeit ist die Menschheit fasziniert von der schier endlosen Weite des Weltraums. Vor gut 60 Jahren, genauer gesagt am 12. April 1961, war Juri Gagarin der erste Mensch im All. Ihm sollten in den darauffolgenden Jahrzehnten zahlreiche furchtlose Männer und Frauen folgen. Während der Weltraumflug Gagarins 1961 eine Sensation war, ist die Raumfahrt heutzutage nichts Besonderes mehr. Mittlerweile brechen Astronauten zahlreicher Weltraumorganisationen, wie der NASA oder der ESA, regelmäßig zu Weltraummissionen auf.
Im September 2008 kam mit SpaceX ein neuer Spieler auf das internationale Parkett der Weltraumfahrt. Kurz zuvor hatte die Falcon 1 des amerikanischen Unternehmens als erste Flüssigkeitstreibstoffrakete aus privater Forschung den Orbit erreicht. Zwölf Jahre später ist SpaceX aus der Weltraumforschung kaum mehr wegzudenken. Obwohl das Unternehmen aufgrund seines charismatischen Gründers Elon Musk zunehmend mediale Aufmerksamkeit genießt, wird vom eigentlichen Wirken und Schaffen des US-Konzerns eher nebensächlich berichtet. Im Interview mit Prof. Martin Tajmar, Direktor des Instituts für Luft- und Raumfahrttechnik und Leiter der Professur für Raumfahrtsysteme der TU Dresden, soll SpaceX’ wissenschaftliche Arbeit sowie die Zukunft der Raumfahrt näher beleuchtet werden.
Am 24. Januar 2021 startete die SpaceX-Falcon-9 Rakete von Florida aus ins Weltall. Mit an Bord war unter anderem auch der Nanosatellit SOMP2b, welcher von Ihrer Professur entwickelt wurde. Wozu wurde er entwickelt?
Wir verfolgen damit zwei wesentliche Ziele: Einerseits wollen wir eine Top-Ausbildung für unsere Studenten und Mitarbeiter sicherstellen, und da ist es essentiell, einen Satelliten selber zu bauen, statt nur in Büchern und Filmen von Raumfahrttechnik zu lesen und zu hören. Andererseits ist der Satellit eine tolle Plattform, um selber Experimente fliegen zu können und Wissenschaft zu betreiben.
Was erhoffen Sie sich von ihm und seinen Messungen?
Wir haben einige unterschiedliche Experimente an Bord. Zum Beispiel einen von uns entwickelten Sensor, der die obere Atmosphärenschicht vermisst, welche einen großen Einfluss auf unser Klima hat, aber noch relativ unerforscht ist. Oder Experimente, die den Einfluss von Weltraumstrahlung auf Nanomaterialien untersuchen. Auch die Möglichkeit, Energie durch den schnellen Tag-Nacht-Wechsel alle 90 Minuten im Orbit zu erzeugen, ist dabei.
Inwieweit könnte dieser Nanosatellit den Stand der Forschung beeinflussen?
Natürlich wollen wir mit den gewonnenen Daten tolle Publikationen schreiben, der wichtigste Output für Forscherin und Forscher. Andererseits planen wir mit der validierten Satelliten-Konstruktion weitere Missionen, wobei wir uns jetzt mehr auf die Experimente konzentrieren können.
Inwiefern planen sie bereits weitere Forschungsprojekte?
Wir haben derzeit knapp 20 laufende Forschungsprojekte an der Professur am Laufen – der Satellit ist nur eines davon. Zum Beispiel entwickeln wir 3D-gedruckte Raketentriebwerke oder eine neue Methode, Weltraumschrott schnell wieder herunterzubekommen.
Die NASA musste ihr Space-Shuttle-Programm 2011 aus Kostengründen beenden. Warum könnte dies in ein paar Jahren auch SpaceX drohen?
Die NASA hat das Space Shuttle aus politischen Gründen eingestellt. Der Nachfolger auf NASA-Seite – das Space Launch System SLS – ist mindestens genauso teuer. Das passiert bei SpaceX nicht, da es sich hier um ein Privatunternehmen handelt, wo der CEO eben nicht nach jeder Präsidentenwahl ausgetauscht wird. Dadurch gibt es eine stabile Langzeitperspektive. Außerdem ist SpaceX hochproduktiv und extrem innovativ – sie haben neue Standards und vor allem Preise gesetzt, die bisher unerreichbar waren. SpaceX hat dadurch die Hälfte des gesamten kommerziellen Satelliten-Start-Markts übernommen und ist damit hochprofitabel.
Wie kann ein Raumfahrtprogramm für ein privates Unternehmen überhaupt lukrativ sein?
Die Raumfahrt ist ein großes globales Business im Bereich von vielen hunderten Milliarden Euro pro Jahr. Dazu gehört natürlich auch, Satelliten in den Weltraum zu bringen. Ein Start bei SpaceX kostet ca. 60 bis 100 Millionen Dollar und Raketen starten jede Woche. Noch dazu arbeitet SpaceX am Aufbau der ersten Mega-Konstellation von Satelliten, um globales Internet zur Verfügung zu stellen – Starlink. Das wird die Umsätze nochmals in eine andere Dimension katapultieren. SpaceX wurde nicht gegründet, um Geld zu verdienen – sondern um eine zweite Heimat für Menschen auf dem Mars zu schaffen. Diese Projekte dienen dazu, dieses große Ziel zu erreichen. SpaceX wird derzeit mit 100 Milliarden Dollar bewertet. Zum Vergleich: Das jährliche Budget der NASA beträgt circa 20 Milliarden Dollar.
Wie würden Sie die Nachfrage nach Reisen ins Weltall bewerten? Wie könnte sich diese in der Zukunft noch entwickeln?
Im Moment ist das noch ein exklusiver Kreis, aber bald werden kommerzielle Reisen in den Weltraum ganz alltäglich sein. Tom Cruise hat für nächstes Jahr schon ein Ticket bei SpaceX gebucht, um den ersten Hollywood-Blockbuster im Weltall zu drehen. SpaceX plant das Mars-Raumschiff Starship auch für Reisen auf der Erde zu verwenden – also um zum Beispiel von Deutschland nach Australien in 30 Minuten zu fliegen zum Preis eines Business-Class-Tickets. Eine Infrastruktur dafür wird schon aufgebaut. Damit kann wirklich jeder zumindest einen kurzen Sprung in den Weltraum wagen.
Warum könnte eine solche Privatisierung die Zukunft der Raumfahrt sein?
Kommerzielle Unternehmen arbeiten wesentlich schneller und effektiver – leider. Staatliche Kontrolle bedeutet eine Unmenge von Papierkram. Zum Beispiel: Ein Mitarbeiter einer Universität möchte eine Dienstreise machen. Das bedeutet ein paar Formulare: Mindestens 3 Angebote für Flugreisen, 3 Angebote für Hotels, kein Taxi, Begründungen für die Notwendigkeit der Auswahl und Nachweise, dass die Preise unterhalb von Richtlinien liegen, die für einzelne Länder in separaten Listen festgelegt sind. Nach der Dienstreise müssen ebenfalls wieder Formulare ausgefüllt und Nachweise erbracht werden. Nach einem halben Jahr bekommt man dann das Geld zurück, das man dafür selber ausgelegt hat – natürlich mit einem weiteren Formular zur Endabrechnung. Bei SpaceX hat jeder Mitarbeiter eine Kreditkarte – bei einer Reise wird das Geld einfach abgebucht, fertig! Das Gleiche passiert bei Materialbestellungen, dem Einstellen von Mitarbeitern etc. Das gehört dringend geändert. Wenn die Luftfahrt bis jetzt in staatlicher Hand wäre, gäbe es keinen Flugverkehr, wie wir ihn heute kennen. Private Raumfahrt ist die Zukunft.
Sie betonten vor allem die Vorteile und Möglichkeiten, die eine Privatisierung der Weltraumbranche mit sich bringt. Inwieweit könnte eine solche Privatisierung und damit einhergehende staatliche Unabhängigkeit jedoch auch Gefahren bergen?
Hat es einen Nachteil, wenn man ein Flugzeug oder ein Auto privat kaufen kann und nicht von einer staatlichen Behörde? Ist es ein Nachteil, wenn ich in einem Reisebüro einen Urlaub einfach buchen kann oder sollte ich vom Staat für einen Urlaub „ausgewählt“ werden? Ich denke, das erinnert uns eher an vergangene Zeiten. Klar kann ich mit einem Flugzeug einen Absturz haben. Auch das Space Shuttle ist zweimal nicht wieder zurückgekommen. Der Staat sollte sich auf die Zulassung z. B. durch den TÜV beschränken, damit ein Mindestmaß an Qualität sichergestellt ist. Das Fahrzeug selber sollte aber im Wettbewerb privat entwickelt werden.
Ein wichtiger Bestandteil der Raumfahrt ist auch der internationale Charakter einer Raumfahrtmission. Wie kann ein US-amerikanisches Privatunternehmen den Aspekt der Internationalität überhaupt gewährleisten?
Das ist nur ein politisches Spiel. Wenn ich privat ein Raumschiff kaufen kann, kann ich jeden mitnehmen.
Einige Menschen könnten eventuell Bedenken gegenüber SpaceX und seinen Raumfahrtprogrammen haben, weil es ein privates Unternehmen ist, dem die jahrzehntelangen Erfahrungen fehlen. Warum sind diese Bedenken eventuell gerechtfertigt?
Die NASA hat bei SpaceX ordentlich mitgeholfen, weil sie wissen, sie können ihre Ziele sonst nicht mehr erreichen. SpaceX ist in vielem schon weiter, als es die NASA jemals war. Stichworte: Wiederverwendbarkeit, Effizienz bei Raketentriebwerken etc. Heute ist das Gegenteil der Fall: Alle versuchen, SpaceX zu kopieren, weil sie Dinge können, die allen anderen fehlen.
Obwohl SpaceX auf dem Papier deutlich weniger Geschichte und Erfahrung hat als zum Beispiel die NASA oder die ESA, setzen sie sich große Ziele. Die erste bemannte Marsmission soll 2025 stattfinden. Die NASA hingegen rechnet mit einer solchen Mission erst fünf Jahre später, 2030. Kann SpaceX wirklich so viel weiter sein als die NASA? Inwieweit hat sich SpaceX vielleicht sogar selbst überschätzt?
Die NASA würde es ohne die private Raumfahrt wahrscheinlich in den nächsten 20 Jahren nicht schaffen, Menschen auf den Mars zu bringen. Bei einer staatlichen Behörde muss alles tausendmal geprüft werden – SpaceX baut einfach die Rakete und fliegt zum Mars, so einfach ist das. Jemand von Boeing hat mir einmal gesagt, wenn jemand privat eine Raumstation wie die ISS bestellt, könnten sie es zum 20. Teil des Preises machen, den die NASA bezahlen muss. Die NASA hat das erkannt und zieht sich immer weiter aus der Entwicklung heraus und bestellt einfach z. B. eine Rakete, einen Mondlander, vielleicht auch einmal eine Raumstation. Wie viel hat die Entwicklung des Space Shuttle gekostet?Ungefähr 200 Milliarden Dollar. SpaceX baut mit Starship ein 100 Prozent wiederverwendbares Raumtransportsystem mit der 10-fachen Kapazität – zu einem Bruchteil des Preises und innerhalb von ein paar Jahren. Der erste Prototyp ist ja kürzlich bereits abgehoben.
Sie haben gesagt, dass Boeing in der Lage wäre, einem Privatkunden eine Raumstation wie die ISS zu einem Bruchteil des Preises zu bauen, den die NASA für diese bezahlen müsste. Warum ist eine Raumstation für einen Privatkunden günstiger als für die NASA?
Das ist auf die Bürokratie zurückzuführen. Man kann sich das gar nicht vorstellen – wenn z. B. ein Angebot für eine Raumfahrtmission bei der ESA abgegeben werden muss, kommt ein LKW – so viel Papier bedeutet das! Bei der ISS kommt noch dazu, dass es um internationale Zusammenarbeit geht mit unterschiedlichen auch technischen Standards, Kontrolle, dass da keine militärisch relevanten Informationen übertragen werden usw. Wenn man privat einfach eine Raumstation „bestellt“, kann man sich leicht ausmalen, wie viel einfacher das dann wird. Deshalb ist die private Raumfahrt für unsere Zukunft so wichtig.
Elon Musk selbst versteht sich ja als Visionär. Inwieweit kann ihm diese Einstellung eventuell zum Vorteil gereichen?
Ein Chef muss eine klare Vision haben, damit alle Mitarbeiter an einem Strang ziehen. Genau das macht Elon Musk – er hat eine ganz klare Vorstellung, was er will. Und glücklicherweise ist er der reichste Mensch der Welt, der sein Geld lieber dafür ausgibt als große Partys zu feiern.
Nicht nur für Elon Musk, sondern auch für viele andere Menschen ist der Weltraum etwas unglaublich Faszinierendes. Woher, denken Sie, kommt diese Faszination?
Das ist Teil unserer DNA. Wir kamen aus dem Wasser auf das Land. Haben dann Schiffe gebaut, um andere Kontinente zu entdecken. Danach wurde die Luft erobert. Der Weltraum ist der nächste Schritt für die Menschheit. Es ist das große Abenteuer, die Möglichkeit, völlig Neues zu entdecken. Vielleicht entdecken wir, dass die Menschen nicht alleine im Universum sind?
Wie hat sie sich bei Ihnen geäußert?
Ich habe als Kind „Raumschiff Enterprise“ gesehen und wusste: Das will ich bauen!
Würden Sie sich wünschen, dass sich mehr junge Menschen für die Raumfahrt interessieren?
Ich kenne eigentlich kein Kind, dass sich nicht leicht für die Raumfahrt begeistern kann. Die wichtige Nachricht ist: Alle können mitmachen. Der Weltraum ist die Zukunft für die Menschheit.
Gibt es eventuell noch etwas, was Sie jungen Menschen sagen wollen?
Wir leben in einer Zeit, in der wirklich alles möglich ist. Wenn ihr einen Traum habt, könnt ihr ihn verwirklichen. Nutzt eure Zeit, um neugierig zu sein!
Text: Paula Lüdecke (Dieses Interview entstand ursprünglich im Rahmen der Schülerredaktion des Gymnasiums Bürgerwiese.)
Zum Foto: Martin Tajmar, Professor an der TU Dresden, mit einem Antriebsbauteil.
Foto: Amac Garbe